Umbau im Vorstand Wirecard beschränkt Macht von CEO Braun

Markus Braun Quelle: REUTERS

Der Zahlungsdienstleister zieht Konsequenzen aus dem Vertrauensverlust der Anleger. Der CEO Markus Braun wird operativ beschränkt.

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Für Markus Braun geht es jetzt um alles. Kein anderer Chef eines Dax-30-Konzerns ist so stark mit seinem Unternehmen verbandelt und steht gleichzeitig so sehr in der Kritik wie der Wirecard-Boss. Der Wiener lenkt den Zahlungsabwickler seit fast zwei Jahrzehnten, er ist der größte Aktionär und hat die einstige Neue-Markt-Bude in die Königsklasse der Frankfurter Börse geführt. Doch die Vorwürfe der Bilanzmanipulation kann der erfolgsverwöhnte Manager nicht abschütteln. Nach massiven Kurseinbrüchen und einer missglückten Kommunikation um eine Sonderprüfung entzog der Aufsichtsrat Braun nun Teile seiner Macht und sortierte Aufgaben im Vorstand neu. Die Forderungen nach einem Rücktritt des 50-Jährigen bleiben aber.

„Der Vorstand hat jegliches Vertrauen verspielt“, sagt Ingo Speich, Leiter des Bereichs Corporate Governance bei der Fondsgesellschaft Deka – einem der Großinvestoren des Konzerns – und findet damit ungewöhnlich harte Worte in Bezug auf einen Dax-Konzernchef. Mit der am Freitagabend angekündigten neuen Struktur im Vorstand starte Wirecard zwar mit den notwendigen Aufräumarbeiten. „Wenn weiterhin alle Machtstrukturen auf Braun ausgerichtet sind, ist das aber nicht der Befreiungsschlag für Wirecard.“ An seiner Forderung nach einem Rücktritt von Braun hält Speich fest. Bis zur Hauptversammlung Anfang Juli müsse Wirecard für Aufklärung der Bilanzfälschungsvorwürfe sorgen.

Der promovierte Wirtschaftsinformatiker Braun steht schon lange in der Kritik, zu viel Macht auf sich zu konzentrieren und den Zahlungsdienstleister nicht reif für den Dax gemacht zu haben. Unter Beschuss steht er jetzt wegen einer Sonderprüfung durch KPMG. Die Wirtschaftsprüfer hatten monatelang die Bilanzen des Unternehmens durchpflügt, konnten Manipulationsvorwürfe aber nicht entkräften. Zudem warfen sie dem Wirecard-Management vor, Untersuchungen behindert und bei internen Kontrollen versagt zu haben. Andreas Mark, Fondsmanager beim Wirecard-Großaktionär Union Investment, kritisiert: Die „schleppende Aufklärung“ werfe ein Schlaglicht auf „grundsätzliche Governance-Schwächen“ bei Wirecard. Auch mit der Finanzaufsicht Bafin hat sich Wirecard Ärger eingehandelt. Seit Februar 2019 untersucht die Behörde, ob Wirecard den Kapitalmarkt über Insiderinformationen rechtzeitig und vollständig informiert hat.

Investoren fürchten, dass sich bald auch Kunden abwenden. „Es besteht das Risiko, dass sich der Imageverlust auf das operative Geschäft niederschlägt“, sagt Speich. „Reputation ist für einen Finanzkonzern wie Wirecard das A und O.“ Der Konzern mit seinen gut 5000 Mitarbeitern steuert nicht nur das bargeldlose Bezahlen via Smartphone oder Kreditkarte an der Ladenkasse, sondern geht für Händler und Kunden auch ins Risiko. Wirecard prüft in Online-Shops, ob der Kunde vertrauenswürdig ist, nimmt den Kaufpreis entgegen und leitet ihn abzüglich einer Gebühr an den Händler weiter. Besonders lukrativ ist nach Einschätzung von Experten das Geschäft mit Partnerfirmen im Ausland, das nun im Zentrum der Manipulationsvorwürfe steht.

Bislang hält Braun an einem Jahresergebnis von über einer Milliarde Euro fest. Für den 14. Mai werden die Zahlen des ersten Quartals erwartet.

Analysten senken reihenweise den Daumen

Im Herbst 2018 wurde Wirecard von Anlegern noch gefeiert, als der Zahlungsdienstleister die Commerzbank aus dem Dax verdrängte. Die Aktien kletterten immer weiter nach oben auf fast 200 Euro. Der Börsenwert war damals mit rund 23 Milliarden Euro höher als der der Deutschen Bank. Doch die in Berichten der „Financial Times“ und anderen Medien geäußerten Vorwürfe machten die Titel zum Spielball von Zockern. Es ging auf und ab wie bei keinem anderen Dax-Wert. Mittlerweile kosten die Aktien weniger als die Hälfte, Analysten senkten reihenweise ihre Kursziele und Ratings, die DZ Bank stellte ihre Bewertung gleich komplett ein.

„Wirecard braucht eine tiefgreifende Umgestaltung, um das Vertrauen der Investoren zurückzugewinnen“, sagt Analyst Antonin Baudry von HSBC. Fondsmanger Mark drängt auf eine grundlegende Verbesserung der internen Prozesse. Einen Rücktritt von Braun fordert er nicht, betont aber: „Wirecard braucht eine stabile, verlässliche Führung, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.“

Als Braun 2002 mit nur 31 Jahren den Chefposten bei Wirecard übernahm, hatte das Startup gerade so die wilde New-Economy-Zeit überstanden. Der Österreicher, den Weggefährten als Visionär und Analytiker mit einem Gespür für Trends bezeichnen, löste Wirecard aus der Abhängigkeit von Firmen, die Glückspiel- und Pornoseiten betreiben, besorgte Kapital und eine Vollbanklizenz. Mittlerweile gehören renommierte Fluglinien, Online-Reisebüros und Einzelhändler zu den Kunden. Über die Jahre kaufte Braun für viele Millionen Wirecard-Aktien und hält nun sieben Prozent.

„Ohne Braun wäre der Konzern nicht mehr derselbe“

Sollte Braun dem Druck der Investoren nicht standhalten können und das Unternehmen aus dem Münchener Vorort Aschheim verlassen müssen, wäre das für Wirecard eine Zeitenwende. „Braun ist der strategische Kopf hinter Wirecard. Ohne ihn wäre der Konzern nicht mehr derselbe“, sagt Unternehmensberater Marcus Mosen, der früher den Wirecard-Rivalen Concardis geleitet hat. Brauns Vertrag steht wie der anderer Vorstandsmitglieder Ende 2020 zur Verlängerung an.

Der Fall Wirecard weckt Erinnerungen an das Schicksal von MLP: Der Heidelberger Versicherungs- und Finanzmakler war 2001 kometenhaft in den Dax aufgestiegen und geriet wenige Monate später ins Visier von Hedgefonds und Leerverkäufern wie dem Neckermann-Erben Florian Homm – begleitet von Medienberichten, die Zweifel an der Bilanzierung weckten. Am Ende zeigte sich in Gutachten, dass die Finanztricks legal waren, das Vertrauen der Analysten war aber verloren. Vorstandschef Bernhard Termühlen warf 2003 hin. MLP ist an der Börse inzwischen nur noch 500 Millionen Euro wert und in keinem Index mehr gelistet.

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