US-Finanzmarkt Ein Hauch von Lehman: Die Gefahr ist nicht gebannt

Handel an der Börse in New York. Quelle: imago images

Die Gründe für Schieflagen im Bankensystem sind andere als in der Finanzkrise, doch die Muster ähneln. Es geht derzeit um zwei Dinge: Vertrauen und Liquidität. Und ersteres ist komplizierter herzustellen. Ein Kommentar.

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Wie zerbricht Vertrauen im Finanzsystem? Der Harvard-Ökonomen Kenneth Rogoff, ein Experte für die Geschichte von Finanzkrisen, hat dafür eine einfache Formel: „Rumms“!

Es verschwindet schnell und urplötzlich, und selbst wenn sich die Lage wieder beruhigt hat, bleibt sie fragil, die Ruhe ist trügerisch. Oft knirscht es vor diesem „Rumms“, man hört ein Rauschen und Raunen: Stimmen warnen vor Risiken, vor Gefahren, aber der Moment selbst, wenn das Vertrauen zerbirst, bleibt ein ewiges Geheimnis.

Hinter uns liegt eine Woche voller „Rumms“.

Eine Woche voller Erinnerungen und Reminiszenzen an düstere Zeiten: Das Finanzsystem schrammte kurz an dem Lehman-Moment vorbei, in der Luft lag ein Hauch von „Whatever it takes“. Diese Formulierung von Ex-EZB-Chef Mario Draghi nutzte US-Präsident Joe Biden, als er versicherte, Regierung und Behörden würden alles tun, was nötig sei („whatever is needed“).

Die Krise schien weit weg im Silicon Valley

Oder war es doch kein Lehman-Moment? Ist der Vergleich mit der Finanzkrise 2008 völlig überzogen und schief, wie unser Kanzler sagte? Seit Tagen zerbrechen sich Ökonomen, Analysten und Journalisten darüber den Kopf, und man muss nach gut einer Woche feststellen: Keiner weiß es. Die Gründe für die Kette an Schieflagen sind andere, die Muster ähneln. Was aber ziemlich sicher ist: Die Gefahr ist nicht gebannt.

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Vor gut einer Woche noch schien die Krise weit weg; eine Bank war angeschlagen, von der die meisten hier in Deutschland noch nie gehört haben dürften: Silicon Valley Bank. Das klang so fern und nach not-my-business, und überhaupt: Kommen aus dem Silicon Valley nicht nur Wunder und Welteroberung?

Über das Wochenende erlebten wir dann etwas, was wir nur aus Zeiten der Finanzkrise kennen: Eine Lösung musste her, eine Rettung bis Sonntagabend, bevor in Asien die Märkte eröffneten. Die Bank wurde unter Aufsicht gestellt – und eine Regel gebrochen. Auch das ist ein Merkmal von Finanzkrisen: Schnell, groß und pragmatisch muss man handeln, und das taten die Amerikaner und hebelten die Grenzen der Einlagensicherung aus. Wir erlebten den ersten großen Bailout seit 2008, nach dem ersten großen Bankrun seit 2008 – was im Übrigen wohl der erste moderne Bankrun der Millionäre und Milliardäre war, die panisch ihr Geld abzogen.

Eine Pleite wie ein Doppelwhopper

Dem zweitgrößten Zusammenbruch einer Bank in den USA folgte mit der Signature Bank der drittgrößte, und nach dem Doppelwhopper erreichte die Bankenkrise Europa: Die Credit Suisse, die eigentlich auf einem ausreichenden Eigenkapitalpolster sitzt, aber gerade durch eine schwere Sanierungsphase geht, begann nach einem unbedachten Wort eines Großaktionärs zu taumeln. Die Aktie stürzte ins Bodenlose, auf eine Finanzspritze der Schweizer Nationalbank in Höhe von über 50 Milliarden Franken folgte alsbald die Not-Fusion mit der größeren Konkurrentin UBS.

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Und in der Zwischenzeit orchestrierte die US-Regierung mit JP Morgan und anderen Großbanken eine 30-Milliarden-Stützung der dritten angeschlagenen US-Bank First Republic. JP Morgan? Bei dem Namen klingelt etwas: JP Morgan kommt seit der Panik von 1907 immer dann ins Spiel, wenn es brennt.

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Immerhin, die Banken übernahmen Verantwortung, das Signal war wichtig. Auch wenn die verschiedenen Rettungsmaßnahmen sofort das „Moral Hazard“-Problem auf den Tisch brachten: „Wie schlecht war der Silicon Valley Bank Bailout?“, fragte denn auch Nobelpreisträger Paul Krugman in seiner „New York Times“-Kolumne. Und er skizzierte das Dilemma jeder Finanzkrise: Als Politiker würde auch er die Silicon Valley Bank ungern scheitern lassen“. Wahrscheinlich hätte ihr Ende keine größere Krise verursacht – aber man kann sich nicht völlig sicher sein. „Und die Risiken, zu viel zu tun, waren weitaus geringer als die Risiken, zu wenig zu tun.“

Was aber ist der Kern dieser Krise, die man weniger als neue Bankenkrise, sondern auch als Zinskrise beschreiben könnte? Im Kern geht es darum, dass der Entzug aus der Zeit des billigen Geldes viel kälter verläuft (also schneller), als wir es uns ausmalen konnten – von nahe null auf über vier Prozent in einem Jahr in den USA. Das sorgt überall dort für Stress im Finanzsystem, wo man nicht vorgebaut oder ein etwas zu großes und sorgloses Rad gedreht hat. Und diese Geschichte spielt nicht nur im Silicon Valley oder in der Schweiz, die Folgen fressen sich bis in die Bilanzen Ihrer Sparkasse um die Ecke.

Geld hat wieder einen Preis. Das ist gut und überfällig, aber es fordert Opfer. 

UBS – das ist der neue Bankenriese aus der Schweiz

Die Notenbanken stecken nun in einem Dilemma: Sie müssen weiter energisch die Inflation bekämpfen, ohne das Finanzsystem zu überfordern. Das klingt ein bisschen nach dem Refrain des berühmten Songs der Band „Fettes Brot“: „Ja! Nein! Ich mein: Jein!“

Die EZB ist vergangene Woche hart geblieben, hat ihre Leitzins um 0,5 Prozentpunkte erhöht. Alle Blicke richten sich nun auf die Fed. Die Notenbanken müssen beides tun: die Inflation weiter unter Kontrolle bekommen und das Finanzsystem stabilisieren.

Tatenlos sind die Zentralbanken ohnehin nicht. Die US-Notenbank hat jüngst in einer neuen Notfallfazilität 160 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt, die eifrig genutzt wurden. Daneben stellte die Fed über 140 Milliarden Dollar bereit, um alle Einlagen bei der Silicon Valley Bank und der Signature Bank zu garantieren. Insgesamt reden wir also über eine Summe 300 Milliarden Dollar. Das sei in „etwa die Hälfte dessen, was in der großen Finanzkrise von 2008 vergeben wurde“, sagte dazu Michael Feroli, Chefökonom bei JPMorgan.

Es gibt neue blinde Flecken

Was bleibt davon für die kommende Wochen?

Kenneth Rogoff schrieb über den „Rumms“ in seinem Standardwerk „This Time is different“, in dem er die Muster von Schuldenkrisen durch acht Jahrhunderte untersucht. Er spricht von „Finanzfragilität“. Er warnt, dass man nicht bei jeder Krise erklären solle, dass „diesmal alles anders sei“. Ich traf Rogoff noch im Januar auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos – wo die Weltelite viel gute Stimmung verbreitete. Doch Rogoff sagte: „2023 wird ein schwierigeres Jahr als 2022.“ Wie recht er hatte. Die Zeit seit 2020, meinte er, sei „die schlimmste Phase seit dem Zweiten Weltkrieg.“

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Dieser Tage liest und hört man viel, warum diese oder jene Bank ein spezieller Fall sei, nach dem Motto: „This bank is different“. Gut möglich. Wir wissen es nicht – was wir aber wissen: Knapp anderthalb Jahrzehnte nach der Finanzkrise stellt sich erneut die Frage, wie anfällig die Banken sind – und ob die Regulierer nicht doch irgendwo etwas übersehen haben. Die Jahre des billigen Geldes und der Null- und Negativzinsen haben neue blinde Flecken geschaffen: Viele hatten erwartet, dass steigende Zinsen gut sein würden für die Banken – die von der Zinsmarge leben. Das Risiko der langlaufenden Anleihen, in die Banken investiert haben und die dramatisch an Wert verloren haben, hatten man weniger auf dem Schirm.

Es geht derzeit geht es um zwei Dinge: Vertrauen und Liquidität. Und ersteres ist oft noch komplizierter herzustellen als letztere – denn dies geht nicht auf Knopfdruck.

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