Verkehrte (Finanz)welt

Wird die Blockchain eine neue Anlageklasse?

Namhafte Investoren sehen in der Blockchain eine neue Anlageklasse, andere halten die darauf basierenden Kryptowährungen wie Bitcoin für Betrug. Was Anleger über die digitale Anlagezukunft wissen müssen.

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Die Diskussion über die Bedeutung der Blockchain für Investoren wird kontrovers geführt. Auf der einen Seite hat Jamie Dimon, Vorsitzender der amerikanischen Großbank JP Morgan, die auf der Blockchain basierenden sogenannten „Kryptowährungen“ wie Bitcoin kürzlich als Betrug bezeichnet. Auf der anderen Seite sehen namhafte Investoren wie Kyle Bass oder Marc Andreessen durch die Blockchain eine neue Anlageklasse - neben Aktien, Anleihen, Bargeld, Rohstoffen, alternativen Anlagen wie Private Equity sowie Hedge Fonds und Immobilien - in der Entstehung.

Es gilt zunächst zu differenzieren zwischen der Technologie Blockchain und deren Anwendungen. In der öffentlichen Berichterstattung werden Bitcoin und Blockchain häufig synonym verwendet. Das greift jedoch zu kurz und ist in der Diskussion irreführend. Die Blockchain geht zwar auf die Erfindung von Bitcoin zurück, sie war aber die eigentliche Innovation, der inzwischen unabhängig von Bitcoin bahnbrechendes Potential attestiert wird.

Als digitale, dezentrale und im Nachhinein unveränderbare Datenbank („distributed ledger“) ermöglicht die Blockchain die dezentrale Verwaltung und Zertifizierung von Daten. Ihre bisher häufigste Anwendung findet sie im Bereich der digitalen Zahlungsmittel bzw. „Kryptowährungen“, wo sie Zahlungen ohne örtliche Beschränkung und ohne Mittelsmann, d.h. direkt vom Sender zum Empfänger, ermöglicht. Ein weiteres Anwendungsfeld der Blockchain-Technologie sind sogenannte Smart Contracts, d.h. Softwareprotokolle, die Vertragsverhältnisse abbilden, überprüfen und ausführen können. Für Smart Contracts ist der Blockchain-Anbieter Ethereum zur Zeit die führende Plattform.

Andreas Naujoks Quelle: PR

Sie erlaubt die Programmierung dezentraler Applikationen mit Anwendungen, die von E-Voting und Identitätsmanagement über Crowdfunding bis hin zu virtuellen Organisationen (sogenannten Decentralized Autonomous Organizations DAO) reichen. Smart Contracts werden darüber hinaus als mögliche Schlüsseltechnologie zur Realisierung des „Internet of Things“ angesehen.

Voraussetzung für eine funktionsfähige Blockchain ist ein dezentrales Netzwerk an Computern, das Rechenleistung für die Überprüfung von Transaktionen und die Fortschreibung der digitalen Datenbank zur Verfügung stellt (das sogenannte Schürfen bzw. „Mining“). Als materieller Anreiz für das Mining dienen neu „geschürfte“ Coins der jeweiligen Blockchain, sprich jede Blockchain braucht eine eigene Werteinheit. So verwendet Ethereum beispielsweise „Ether“ als Werteinheit für die seitens der Miner bereitgestellte Rechenleistung.

Zur Kolumne

Entwickler von Applikationen auf bestehenden Blockchains geben zur Finanzierung ihrer Projekte häufig auch eigene Werteinheiten in Form von Tokens heraus, die vom Käufer für die Nutzung der Applikationen verwendet oder an einer Börse in andere Werteinheiten oder digitale Währungen umgetauscht werden können. Im Zusammenhang mit solchen Finanzierungen, die den Charakter eines Crowdfundings haben, wird in Anlehnung an den Börsengang als Initial Public Offering (IPO) auch von Initial Coin Offering (ICO) gesprochen. Aus dem Schürfen und der Herausgabe von Coins sowie Tokens entsteht ein wachsendes Universum an zumeist handelbaren Werteinheiten oder „digitalen Assets“.

Dieses Universum umfasst bereits eine vierstellige Anzahl von Werten und kommt in Summe auf eine Marktkapitalisierung von rund 150 Mrd. US-Dollar, was zur Einordnung ungefähr der Marktkapitalisierung von SAP als größtem DAX-Wert entspricht.

Warum sollten digitale "Coins" überhaupt einen Wert haben?

Der Kauf eines Tokens im Rahmen eines Initial Coin Offerings (ICOs) zur Finanzierung der Entwicklung einer Blockchain-Applikation ist im Wesentlichen vergleichbar mit dem Erwerb von Anteilen an einem Start-up für Softwareentwicklung. Der Wert des Tokens wird analog zu den Start-up-Anteilen davon abhängig sein, ob und in welchem Maße sich die Applikation im Markt durchsetzt und geschäftlichen sowie finanziellen Erfolg hat. Dies gilt im Prinzip analog für Ethereum als Plattform und deren Werteinheit „Ether“.

Schwieriger ist die Frage, was den Wert der sogenannten Kryptowährungen ausmachen sollte. Zunächst einmal ist festzustellen, dass in einem Computer erzeugtes Geld an sich keinen Wert hat. Einen möglichen Wert der Zahlungsmittelfunktion als solcher hat der legendäre Investor Warren Buffett über den Vergleich mit Schecks verneint: Schecks dienten genauso als Zahlungsmittel und Schecks an sich hätten schließlich auch keinen Wert.

Warum bewertet der Markt die Kryptowährung Bitcoin dann aber mit 75 Milliarden US-Dollar, was zur Einordnung ungefähr dem Marktwert von VW oder Daimler entspricht? Eine Antwort ist, dass wir es hier mit einer Art Tulpenmanie des 21. Jahrhunderts zu tun haben und sich der vermeintliche Wert früher oder später in Luft auflösen wird.

Im Kontrast hierzu steht die Theorie, dass Bitcoin einen Wert haben muss, weil es ein nützliches und gleichzeitig knappes Gut ist. Die Knappheit liegt darin begründet, dass die absolute Anzahl von Bitcoins auf 21 Millionen limitiert ist. Davon sind heute knapp 17 Millionen im Umlauf. Die Limitierung könnte theoretisch zwar verändert werden, dies ist derzeit aber nicht absehbar. Das bringt uns zur Frage der Nützlichkeit. Bitcoin kann weltweit für Zahlungen genutzt werden. In den westlichen Industrienationen, wo wir neben Bargeld mit Kreditkarten, Schecks, PayPal, etc. zahlen können, ist der Nutzen als Zahlungsmittel natürlich erheblich geringer als in vielen Entwicklungsländern, wo die Mehrheit der Bevölkerung häufig keinen Zugang zum Finanzsystem und lediglich Bargeld als Zahlungsmittel hat. Nützlich ist Bitcoin insbesondere auch für grenzüberschreitende Zahlungen, zum Beispiel von Arbeitsmigranten in ihre Heimatländer.

Ein weiterer potentieller Nutzen von Bitcoin liegt in der Funktion als Wertaufbewahrungsmittel. Die Diskussion hierüber wird auch unter dem Stichwort „digitales Gold“ geführt. Ausgangspunkt ist die historische Beobachtung, dass Menschen in den unterschiedlichsten Kulturen Gold als geeignetes Tauschmittel bzw. Geld ausgesucht haben. Auch wenn sich die weltweiten Zentralbankwährungen seit der Aufkündigung von Bretton Woods in 1971 von Gold gelöst haben, gilt Gold auch heute noch als Wertaufbewahrungsmittel und eine Art Ersatzwährung. Als Grund hierfür werden die Eigenschaften von Gold genannt, allen voran seine Knappheit, aber auch seine Teilbarkeit, Haltbarkeit, Handelbarkeit und Fälschungssicherheit.

Hier schließt sich in der Argumentation nun der Kreis zu Bitcoin, denn obwohl Bitcoin im Gegensatz zu Gold keine Verwendung als Rohstoff für Schmuck oder die Industrie findet, teilt Bitcoin die vorgenannten Eigenschaften. Darüber hinaus stehen Vorteile in puncto Lagerkosten und Transportierbarkeit von Bitcoin Nachteilen hinsichtlich der Aufbewahrungssicherheit gegenüber.

Wie sollte ich mich als Anleger verhalten?

Zum jetzigen Zeitpunkt kann Ihnen niemand belastbar vorhersagen, wie sich die digitalen Werte oder „Blockchain Assets“, insbesondere auch die Kryptowährungen wie Bitcoin, weiterentwickeln werden. Insofern hängt Ihr Verhalten als Anleger maßgeblich von Ihrer eigenen Analyse, Einschätzung und Überzeugung ab:

Wenn Sie sich vorstellen können, dass sich das Universum der Blockchain Assets inklusive der Kryptowährungen wie Bitcoin zu einer neuen Anlageklasse entwickeln wird, könnten Sie darüber nachdenken einen kleinen Teil Ihres Vermögens in diesen Bereich zu investieren. Geht es schief, werden Sie den Verlust verschmerzen können. Steigt der Wert in den nächsten zehn Jahren noch einmal um 1000 Prozent, was einige Auguren mit Blick auf die Theorie des „digitalen Golds“ erwarten, haben Sie Ihr Vermögen im Vergleich zum Ausgangswert vervielfacht.

Wenn Sie in digitalen Währungen keinen Wert sehen, unter Umständen auch staatliche Verbote zur Verteidigung des Geldmonopols erwarten, und jedenfalls von einem Zusammenbruch wie bei der Tulpenmanie überzeugt sind, sollten Sie kein Geld in Kryptowährungen investieren. Glauben Sie dennoch an den Vormarsch der Blockchain als Technologie, wäre ein Investment in digitale Assets im Bereich der Smart Contracts und dezentralen Applikationen überlegenswert.

In jedem Fall sollten Sie eine mögliche Geldanlage in digitalen Assets genauso wie in anderen Anlageklassen diversifizieren. Die Entwicklung ist hier noch dazu besonders dynamisch, was sich beispielsweise daran erkennen lässt, dass der Anteil von Bitcoin an der Marktkapitalisierung des gesamten Blockchain Asset-Universums von durchschnittlich 90% in 2015 und 80% in 2016 in diesem Jahr auf rund 50% gefallen ist.

Für Anleger geeignete Investmentangebote wie Fonds, Derivate oder Zertifikate sind uns bislang nur für Bitcoin als Einzelwert bekannt. Es ist also noch sehr aufwendig und umständlich in ein diversifiziertes Portfolio von Blockchain Assets zu investieren, da man sich ein solches Portfolio im Prinzip Coin für Coin und Token für Token selbst aufbauen muss. Auch hier geht die Entwicklung aber voran: So prüfen wir als CFA Society Germany beispielsweise aktuell die gemeinsame Umsetzung einer von Professor Posch von der Technischen Universität Dortmund entwickelten Indexfamilie, den Blockchain Assets Indizes BAI.

In dieser Indexfamilie wird neben der Entwicklung der heute größten Werte analog zu Aktienindizes wie DAX oder S&P 500 zum Beispiel auch die Entwicklung der am schnellsten wachsenden Blockchain Assets transparent gemacht und systematisch gemessen. Solche Initiativen dürften in absehbarer Zukunft zur Etablierung objektiver Referenzgrößen und Marktstandards führen. Als Anleger wird man hiervon profitieren und sollte diese Entwicklung zunächst einmal abwarten.

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