Verkehrte (Finanz)welt
Zentrale von Lehman Brothers 2008. Quelle: dpa

Zwei Faktoren, die Banken das Genick brechen

Vor knapp elf Jahren begann mit der Lehman-Pleite ein Bankensterben. Die Angst vor zahlungsunfähigen systemrelevanten Banken ist geblieben. Was Anleger daraus lernen können und wie sie ihr Depot sicherer machen.

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Banken-Insolvenzen kommen in Deutschland glücklicherweise nicht so oft vor – auch, weil angeschlagene Finanzinstitute oft hinter den Kulissen rechtzeitig fusioniert werden. Manchmal geht es allerdings doch schief. Wie kann es dazu kommen? Sind die Auslöser extrem seltene und plötzliche Ereignisse, die niemand hätte vorhersehen können (bekannt als „Schwarze Schwäne“)? Oder hätte in den meisten Fällen das Management die Bank schützen können und sollen – und, wenn ja, wie? An sich geht es Finanzhäusern in punkto Insolvenz nicht anders als anderen Firmen auch. Da Banken jedoch von Natur aus eine geringere Eigenkapitalquote haben als andere Unternehmensformen, sind sie insbesondere für zwei mögliche Krisenfaktoren besonders anfällig.

Faktor 1: Allgemein akzeptierte Annahmen können gefährlich werden

Banking funktioniert nach dem Prinzip der großen Zahlen: Fehleinschätzungen bezüglich der Zukunftsaussichten einzelner Unternehmen, mögliche Zahlungsausfälle von Kreditnehmern und Schwankungen im Konjunkturzyklus sind in den Kalkulationen der Bank berücksichtigt – bis zu einem gewissen Grad zumindest. Gefährlich wird es aber bei grundlegenden, von allen akzeptierten Annahmen wie:
• Bei Finanzprodukt X kann aufgrund der Besicherung nichts passieren: So etwa geschehen im Vorfeld der Subprime-Finanzkrise bei den sogenannten „ABS – Asset-backed Securities“.
• Der Staat wird Bank Y bestimmt retten: Dies war vor der Finanzkrise, bis zur Pleite von Lehman Brothers 2008, eine gängige Annahme insbesondere für sogenannte „systemrelevante“ Banken
• Andere EU-Länder würden Land Z nicht pleite gehen lassen: Eine weiterhin gängige Annahme für EU-Ländern, die allerdings durch den Schuldenschnitt in Griechenland 2011 Schaden genommen hat

Wenn sich nun aber ein Teil dieser Annahmen als nicht zutreffend herausstellt, kann es brenzlig werden. Doch ist bereits die Fehlannahme tödlich?

Faktor 2: Die Menge macht das Gift

von Hauke Reimer, Mark Fehr, Heike Schwerdtfeger, Anton Riedl, Cornelius Welp, Saskia Littmann, Niklas Hoyer, Christof Schürmann

Damit eine solche Fehleinschätzung einer Bank das Genick bricht, müssen die Verluste aus den betroffenen Assets den Eigenkapitalpuffer der Bank soweit schwächen, dass die weitere Überlebensfähigkeit der Bank von Kunden und anderen Finanzinstituten in Zweifel gezogen wird. Erst dann nimmt der Teufelskreis einer Insolvenz seinen Lauf.

Aber sollte es nicht sehr unwahrscheinlich sein, dass eine Bank zuerst eine Fehlannahme trifft und dann noch genau von diesem betroffenen Asset zu viel kauft? Möchte man meinen. In der Realität führen jedoch die (Fehl-)Annahmen häufig gerade dazu, dass übermäßig investiert wird: Die auf historischen Zahlen basierenden Annahmen fließen in Form niedrigerer Ausfallraten und niedriger Verlustquoten in die Risiko-Berechnungs-Systeme der Bank ein und weisen dem Management die Unbedenklichkeit der Investition aus. Auch in quantitativen Stresstests werden solche Investments selten als bedenklich gekennzeichnet, weil keiner die Spaßbremse sein möchte, die nach den vermeintlich völlig abwegigen Szenarien fragt. Zum Beispiel: „Was wäre eigentlich, wenn die Bundesrepublik Deutschland kein ‚Investment-Grade‘ Rating mehr hätte?“

Annahmen testen mit der Szenario-Technik

In den 1970er Jahren hat sich Pierre Wack bei Royal Dutch Shell genau mit solchen abwegigen Fragen einen Namen gemacht: Er fragte, unter welchen Umständen der Öl-Preis (von damals 3$ pro Barrel) drastisch ansteigen könnte und hat hierzu verschiedene Szenarien entworfen („Szenario-Technik“). Damit konnte er zwar nicht den Auslöser der Energiekrise in den 1970er Jahren vorhersehen (den Yom-Kippur-Krieg 1973), aber seine Szenarien haben Shell auf die Veränderung vorbereitet und damit handlungsfähig gemacht. Das Unternehmen stieg danach in die Top-2 auf.

Ähnlich könnten auch Banken prüfen, unter welchen Umständen zum Beispiel eine als besonders sicher geltende Assetklasse X Verluste erleiden könnte:
• Welche Faktoren haben die Assetklasse X in der Vergangenheit sicher gemacht?
• Existieren und funktionieren diese Faktoren weiterhin?
• Was müsste sich ändern, damit sie nicht mehr funktionieren?

Ziel der Szenario-Technik ist nicht, die Zukunft vorherzusagen – dann würde man ja lediglich eine Annahme durch eine andere ersetzen –, sondern ein Gefühl für Einflussfaktoren und Zusammenhänge zu bekommen und dadurch bessere Entscheidungen zu treffen. Wahrscheinlich wird ein wesentlicher Teil der überprüften Annahmen auch weiterhin als recht sicher gelten. Vielleicht stellt sich dabei aber auch heraus, dass das untersuchte Ereignis doch nicht so unmöglich ist, wie zuvor angenommen. Zumindest dürften Bankmanager, die sich zuvor über die möglichen kritischen Szenarien Gedanken gemacht haben, früher erkennen, wenn sich kritische Faktoren ändern.

Konzentration vermeiden

Sich dem Herdentrieb zu entziehen und nur mit einem kleinen Teil in eine beliebte Assetklasse zu investieren ist manchmal schwierig, denn wenn alle anderen „große Gewinne ohne Risiko“ einfahren wächst auf die Verbleibenden der Druck nachzuziehen. Wer schließlich „zu viel“ investiert hatte, zeigt sich meist erst später. Erst dann wirkt der Wettbewerbsvorteil derer, die in der Krise noch handlungsfähig und solvent sind. Die US-Bank JPMorgan unter Jamie Dimon war durch Hinterfragen gängiger Annahmen im Vorfeld der Finanzkrise etwas weniger mit den am schlimmsten betroffenen Kreditverbriefungsprodukten belastet und konnte dadurch als eine der wenigen noch solventen Banken einen Teil der Konkurrenz zum Spottpreis übernehmen.

Für alle Anleger und Investoren, ob groß oder klein, sollte daher der Beginn aller Diversifikations-Überlegungen sein: Ein insolventes Unternehmen, eine insolvente Bank, eine Kundengruppe/Branche in der Krise oder ein Land in Zahlungsschwierigkeiten darf nicht direkt die finanzielle Existenz zerstören. Und auch wenn es schwer ist, die großen weltwirtschaftlichen Zusammenhänge zu durchdringen, sollten sich auch Sparerinnen und Sparer ruhig hin und wieder die vermeintlich abwegigen Fragen stellen. Zum Beispiel: Welche meiner Konten wären betroffen, wenn meine Hausbank in eine Schieflage geriete? Wer sich - ohne in Paranoia zu verfallen - gelegentlich über vorstellbare Zukunftsszenarien Gedanken macht, wird mit möglichen Überraschungen besser umgehen können. Falls keines der Szenarien eintritt, war es trotzdem eine nützliche Denksportaufgabe.

Buch-Empfehlungen:
Peter Schwartz (1991): The art of the long view
Gillian Tett (2010): Fool's Gold

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