Die Finanzkrise gebar eine ganze Schar von Unternehmensskandalen. Von Gier und „too big to fail“ – also zu groß um Pleite zu gehen – war die Rede, es flossen zig Rettungsmilliarden aus den Staatskassen in die schwarzen Löcher der Bankbilanzen. Als nach der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers und der geplatzten Immobilienblase in den USA etliche Banken, Versicherungen und Finanzdienstleister am Rande des Ruins standen, erlebten die längst totgesagten großen Verstaatlichungen von Unternehmen eine Renaissance. Obwohl sie eigentlich jeglicher marktwirtschaftlichen Vernunft widersprachen. Bleibt die Frage: Hat sich der Einsatz von Steuerzahlermilliarden eigentlich gelohnt?
Reüssieren die verstaatlichten Konzerne?
Zumindest vereinzelt können die verstaatlichten Finanzkonzerne Erfolge vorweisen. Etwa beim einst größten Versicherungskonzern der Welt, die American International Group (AIG). Der Konzern hatte sich auf dem US-Häusermarkt massiv verzockt. Weil die US-Regierung durch eine Pleite unkontrollierbare Schockwellen in der Finanzindustrie fürchtete, wurde AIG auf Biegen und Brechen gerettet. In mehreren Tranchen pumpten die USA insgesamt 182 Milliarden Dollar in das Unternehmen, das seinerzeit als das gefährlichste Unternehmen der Welt galt. Es war die teuerste Rettungsaktion überhaupt im Zuge der Finanzkrise. Im Gegenzug übernahm die US-Regierung die Mehrheit an den AIG-Aktien. Damit hielt der schützende Staat 92 Prozent an AIG.
Doch das Bild hat sich mittlerweile deutlich gewandelt. AIG verdient wieder Milliarden. Stück für Stück befreit sich der Konzern aus seinem staatlichen Käfig. Bis auf 25 Milliarden ist das zur Rettung bereitgestellte Geld wieder zurückgezahlt. Nach jüngsten Angaben will das US-Finanzministerium nun AIG-Aktien im Wert von 5,75 Milliarden Dollar zu verkaufen. Die Beteiligung des Staates an AIG soll so weiter reduziert werden, von zuletzt 61 auf etwa 53 Prozent. AIG selbst will Aktien im Wert von drei Milliarden zurück kaufen. Es ist bereits die vierte Aktienplatzierung durch den Mehrheitsaktionär.
AIG verdient wieder Milliarden
Was zur Zeit der Verstaatlichung kaum jemand für möglich gehalten hätte, ist die schnelle Rückkehr zur Ertragsstärke. Aber der Versicherer ist auf einem guten Weg, die bisherige Genesung von AIG eine Erfolgsgeschichte – auch wenn es zur vollständigen Reprivatisierung noch lange dauern wird. Im zweiten Quartal hatte sich der AIG-Gewinn unter anderem dank Steuervergünstigungen nochmals erhöht, auf 2,33 (Vorjahr 1,84) Milliarden Dollar. Dank höherer Versicherungsprämien und niedrigerer Katastrophenbelastungen ging es im Geschäft mit Schaden- und Unfall-Versicherungen steil nach oben. Auch mit der Lebensversicherungssparte ging es aufwärts.
Sorgenkind Royal Bank of Scotland
Für AIG-Aktionäre ist dennoch kein Land in Sicht. Kurse von mehr als 1400 Dollar je Aktie, wie sie vor der Finanzkrise auf dem Kurstafeln standen, wird es das Papier wohl nie mehr erreichen. Und auch in der jüngeren Vergangenheit hatte der AIG-Kurs schon mehr als die aktuell 32 Dollar erreicht. Das Aktienangebot belastet natürlich die Kurse, ein Investment bleibt bestenfalls für langfristig orientierte Optimisten interessant. Immerhin weckt die operative Erholung des Versicherungskonzerns ein wenig Hoffnung.
Großbritanniens schottisches Geldgrab
Auch Großbritannien hat ein großes Sorgenkind – und wird es nicht los. Die einst hoch angesehene Royal Bank of Scotland (RBS) steckt weiter tief in der Krise. In Regierungskreisen wird offensichtlich sogar über eine vollständige Verstaatlichung nachgedacht. Derzeit hält der Staat Großbritannien bereits 82 Prozent der Anteile. Die RBS hat im ersten Halbjahr 2012 Vorsteuerverluste von 1,5 Milliarden Pfund, umgerechnet 1,91 Milliarden Euro angehäuft, wie Ende vergangener Woche bekannt wurde. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres war der Verlust zwar auch sehr hoch, aber mit 794 Millionen Pfund immer noch deutlich niedriger. Das Minus fiel unter anderem deshalb höher aus, weil die Bank insgesamt 300 Millionen Pfund für weitere Straf- und Entschädigungszahlungen zurücklegen musste. Damit sollen unter anderem Ausgleichszahlungen für zu Unrecht an Kunden verkaufte Kreditausfallversicherungen und für die Folgen eines Zusammenbruchs des Computersystems geleistet werden.
Einziger Lichtblick in der tiefroten Bilanz: Operativ lag die Bank mit 1,8 Milliarden Pfund im Plus. Wertberichtigungen auf Kredite in Höhe von 2,9 Milliarden Pfund sowie die Rückstellungen glichen die Gewinne jedoch mehr als aus. RBS-Vorstandschef Stephen Hester, der wegen der Probleme bereits auf eine Bonuszahlung für 2012 verzichtet hat, sieht sein Haus dennoch auf dem richtigen Weg. „Wir sind unseren Weg weitergegangen, um die Bank sicherer und stärker zu machen“, sagte er. „Wir räumen mit den Problemen der Vergangenheit auf.“
Das Problem: Die RBS wird immer wieder von der Vergangenheit eingeholt. Hester hatte erst vor wenigen Tagen zugegeben, dass die königliche Bank von Schottland auch in den Skandal um manipulierte Libor-Zinssätze in den Jahren 2005 bis 2009 verwickelt ist. Der britische Konkurrent Barclays hatte dafür bereits 290 Millionen Pfund an Strafzahlungen leisten müssen. Die Ermittlungen fokussieren sich offenbar auf diese beiden Großbanken, rund ein Duzend Banken sollen an der Manipulation beteiligt gewesen sein. Ob ähnlich hohe Strafzahlungen wie bei Barclays für die RBS fällig werden, wollte oder konnte Bankchef Hester nicht sagen. Immer hat sich inzwischen bestätigt, dass wegen der Zinsmanipulation einige Mitarbeiter entlassen wurden.
Finanzspritze von mehr als 45 Milliarden Pfund
Dennoch zieht sich die Leidensgeschichte der Bank wohl noch länger hin. Das einstige Vorzeigeinstitut der britischen Bankbranche gilt noch immer als einer der größten Sanierungsfälle weltweit. Die Royal Bank of Scotland leidet auch vier Jahre nach der Lehman-Pleite noch unter der Übernahme der niederländischen Bank ABN Amro, mit der sie sich seinerzeit verhoben hatte. Die britische Regierung musste 2008 mit einer Finanzspritze von mehr als 45 Milliarden Pfund einspringen. Inzwischen hat die RBS bereits 700 Milliarden Pfund an Risiko aus der Bilanz genommen und 35.000 Stellen gestrichen.
Keine Rückkehr zur Selbstständigkeit in Sicht
Erst kürzlich berichtete die Financial Times, dass es daher in Regierungskreisen Bestrebungen gebe, die RBS nun doch komplett zu verstaatlichen. Einige Politiker seien erbost, dass die RBS zu wenig Kredite vergeben würde – und damit ihrer Kernaufgabe nicht gerecht würde. Die darbende britische Konjunktur könnte nämlich einen Investitionsschub gut gebrauchen. Hinter den Überlegungen zur Komplettverstaatlichung steht offenbar die Vorstellung, dass die Regierung dann direkt eingreifen könnte, ohne Rücksicht auf andere Aktionäre zu nehmen. Die Kosten für ein Herausdrängen der übrigen Anteilseigner würden bei rund fünf Milliarden Pfund liegen. Angesichts der bereits geflossenen Beträge klingt das fast günstig.
Allerdings lehnt Finanzminister George Osborne bislang eine Komplettübernahme ab. Auch Gegner einer Komplettübernahme durch den Staat betonen, dass dem Steuerzahler so noch weitere Risiken aufgedrückt würden. Dies werde sich noch weiter verstärken, wenn die Regierung die Bank zu einer stärkeren Kreditvergabe drängen würde. Zudem gebe es wettbewerbsrechtliche Hürden seitens der Europäischen Union. Von einer Rückkehr in die Hand privater Eigentümer war die Bank jedoch kaum jemals weiter entfernt als heute. Von einer Erfolgsgeschichte wie bei AIG kann überhaupt keine Rede sein.
Zumindest für Aktionäre gab es bei der RBS-Aktie einen kleinen Trost: Im Juni sprang der Kurs vom Tief bei 0,14 Euro auf knapp drei Euro. Aber der alte Höchstkurs von mehr als acht Euro ist noch immer in weiter Ferne. Sollte es zu kompletten Verstaatlichung der RBS kommen, würden die übrigen Aktionäre vermutlich herausgedrängt und preiswert abgefunden. Eine Investmentstory ist das nicht.
Das lange Leiden der Commerzbank
Auch die Bundesregierung hatte im Zuge der Finanzkrise Banken verstaatlicht. Darunter auch die zweitgrößte Privatbank Deutschlands, die Commerzbank. Und auch ihr wurde eine kostspielige Übernahme in der Krise zum Verhängnis: der Kauf der Dresdner Bank, die bis dahin zum Allianzkonzern gehörte.
Als die Commerzbank in Straucheln geriet, half der Staat mit 18,2 Milliarden Euro – und sicherte sich im Gegenzug ein Viertel der Stimmrechte. Mit diesem Anteil geht ohne das Einverständnis der Bundesregierung nichts. Dennoch kämpft sich die Bank unter der Führung von Vorstandschef Martin Blessing durch das notwendige Sanierungsprogramm. Die Commerzbank hat im Frühjahr 2011 unter immensen Anstrengungen den größten Teil der staatlichen Krisenhilfen zurückgezahlt. Große Baustellen wie die Integration der IT-Systeme der Dresdner Bank sind weitgehend abgeschlossen. Und die notwendige Aufstockung des Eigenkapitals, die aus dem Stresstest der EU-Finanzaufsicht folgte, hat die Bank mit Sitz in Frankfurt ebenfalls gemeistert - und sogar 2,8 Milliarden Euro mehr Eigenkapital, als von der europäischen Aufsicht gefordert.
Katastrophale Geschäfte
Aber operativ kommt die Traditionsbank nicht mehr auf die Beine. Die jüngsten Halbjahreszahlen offenbaren massive Probleme. Die Commerzbank hat nur noch 644 Millionen Euro netto verdient - mehr als ein Drittel weniger als im ersten Halbjahr 2011. Vor allem im Kerngeschäft mit den elf Millionen Privatkunden verdient das Institut praktisch kein Geld mehr - lediglich die Online-Banktochter Comdirect sorgt noch für Gewinne. Ohne deren Beitrag wäre die Commerzbank in dieser Sparte wohl ins Minus gerutscht. So blieben mickrige 14 Millionen Euro Gewinn übrig.
Dabei ist die Liste schmerzhafter Einschnitte zur Sanierung der Commerzbank ist lang. Erst vor kurzem warf Blessing die Schiffsfinanzierung über Bord, die Reste der Immobilientochter Eurohypo werden abgewickelt, unter das Abenteuer Ukraine mit der Bank Forum ziehen die Frankfurter einen Schlussstrich. Eine Bilanzsumme von 160 Milliarden Euro soll damit abgebaut werden. Die Schrumpfkur erfolgte dabei nicht unbedingt freiwillig, sondern folgte den Sanierungszielen. Nach der Übernahme der Dresdner Bank hatte die Commerzbank bereits 9000 Stellen abgebaut und 400 Bankfilialen geschlossen. Bei der Abwicklung von Schiffsfinanzierung und Immobilientochter Eurohypo stehen weitere 1200 Arbeitsplätze auf dem Spiel.
Vor allem der weitere Ausblick der Bank ist katastrophal: Ein weiterer Abbau bei den 16.500 Mitarbeitern ist nicht ausgeschlossen. Die Risikovorsorge soll weiter aufgestockt werden und gefährdet das Ziel, für 2013 wieder eine Dividende auszuschütten. Die trüben Konjunkturaussichten und die Schuldenkrise bergen hohe Risiken für die Bank - auch wenn die Kernkapitalquote besser ist als beim Branchenprimus Deutsche Bank. Vor allem aber dürften Commerzbank-Aktionäre alte Höchstkurse von knapp 30 Euro nicht wiedersehen. Die Aktie zählt mit einem Kurs von aktuell 1,21 Euro fast schon zu den Penny Stocks – und damit eher zu den Zockerpapieren, als zu den langfristigen Wertanlagen. Keine guten Voraussetzungen also, um die Fesseln des Staates loszuwerden.