Auf der Fläche eines Fußballfeldes – etwa 5000 Quadratmeter – lagern in Frankfurt Urkunden für die allermeisten Wertpapiere, die in den Depots deutscher und ausländischer Kunden verbucht sind. Clearstream, eine Tochter der Deutschen Börse, verwahrt in dem riesigen Tresorraum Dokumente über alle in Deutschland ausgegebenen und handelbaren Wertpapiere – ausgedruckt auf Papierbögen. Doch anders als der Name Wertpapier andeutet, steht nicht hinter jeder effektiv ausgegebenen Aktie eine solche Urkunde. Es handelt sich vielmehr nur um sogenannte Globalurkunden. Das heißt: Für jedes an der Börse Frankfurt gelistete Wertpapier gibt es eine Urkunde, insgesamt 1,4 Millionen.
Blockchain-Aktienhandel könnte Banken überflüssig machen
Doch die Digitalisierung des Wertpapierhandels dürfte bald noch weiter fortschreiten: Schon in den nächsten zehn Jahren könnten die Urkunden im Tresor ganz verschwinden – und in ein digitales Register wandern, die Blockchain (Datenblock-Kette).
Der Vorteil: Theoretisch könnten Anleger über dieses Register weltweit untereinander Wertpapiere handeln, ohne dass Banken und Verwahrstellen zwischengeschaltet werden. Jeder Anleger hielte damit den Frankfurter Wertpapiertresor als kleines Computerprogramm auf dem eigenen PC oder Smartphone – inklusive Millionen digitaler Einträge.
Digital Handeln per Blockchain
Die Blockchain könnte ein weltweites Netzwerk zwischen Privatanlegern, Banken und Börsen spannen. Kauft ein Privatanleger eine Aktie, würde die Übertragung des Besitzrechtes sofort in einem digitalen Register erfasst und verifiziert. Bisher brauchen Anleger dafür eine Bank, die den Kauf noch von einer Abwicklungsstelle bestätigen lässt.
20 Milliarden Euro könnten Anleger mit der Blockchain-Technik jährlich sparen. Das Einsparpotenzial bei Lagerung und Abwicklung von Wertpapieren und dem Handel damit wird auf 90 Prozent geschätzt.
Die großen Investmentbanken zeigen bereits großes Interesse an der neuen Technik. Das New Yorker Start-up R3 CEV konnte bereits 25 internationale Großbanken für das Vorhaben interessieren, darunter JP Morgan, HSBC, Goldman Sachs, UBS, Deutsche Bank und Commerzbank. Gemeinsam arbeiten sie an Standards für den digitalen Wertpapierhandel.
Eigentlich wurde die Blockchain entwickelt, um Zahlungen mit der virtuellen Währung Bitcoin zu verrechnen. Während der Bitcoin sich weltweit noch nicht durchsetzen konnte, soll die Blockchain nun den Finanzmarkt revolutionieren. Fast eine Milliarde Dollar haben Risikokapitalgeber bislang in Start-ups aus diesem Bereich investiert.
Das Szenario für den Wertpapierhandel sieht so aus: Jeder Anleger würde über eine App das komplette Register aller weltweiten Transaktionen auf seinem Computer oder Smartphone halten, vergleichbar mit einem Aktenschrank. Tauschen nun zwei Anleger das Recht an einer Aktie aus, wird dieser Vorgang allen Blockchain-Teilnehmern über das Internet gesendet. Digital wird ein Papier in einen Ordner geheftet. Diesen Ordner müssen dann alle Teilnehmer einsehen. Anschließend wandert er als sogenannter Block in den Aktenschrank, neben die bisherigen Transaktionsordner. Aus den einzelnen Blöcken wird also eine lange Kette – daher der Name Blockchain.
Wertpapierhandel dauert nur noch Minuten
So würde jeder Anleger mit seinem Programm alle Transaktionen automatisch verifizieren, ähnlich, wie dies heute die Verrechnungsstellen der Börsen tun. Nutzernamen erscheinen nicht, jedem Anleger wird nur eine Kombination aus Zahlen und Buchstaben zugewiesen. Der größte Vorteil: Ein Aktienverkauf etwa wäre nach wenigen Minuten abgewickelt. Ohne Bank, ohne Verrechnungsstelle und ohne Verwahrstelle, die noch eine Papierurkunde hält. Bislang dauert es in Europa noch zwei Tage, um einen Wertpapierhandel wirklich abzuwickeln, auch wenn die Aktien schon digital im Depot der Anleger erscheinen. US-Börsen brauchen noch länger.
„Wir können uns die Veränderung auf dem Finanzmarkt so vorstellen wie die in der Film- oder Musikindustrie“, sagt Rechtsprofessorin Eva Micheler von der London School of Economics. „Was wir früher auf DVD physisch geliefert bekamen, greifen wir heute über einen Stream im Internet ab.“
Durch die Blockchain sollen die Kosten für Wertpapierhandel, grenzüberschreitende Zahlungen und Einhaltung von Regularien ab 2022 pro Jahr um 15 bis 20 Milliarden Dollar sinken, schätzen Analysten. Heißt: Anleger könnten Aktien bald günstiger handeln und leichter an Anteile ausländischer Unternehmen kommen.
Banken brauchen Standards für den Wertpapierhandel
Banken und Börsen weltweit versuchen nun, diesen neuen Markt zu definieren. Entscheidend dafür ist die Nutzung einer gemeinsamen Technologie. Entstehen könnte die in der „globalen Finanzfabrik“, wie sich das New Yorker Start-up R3 CEV gern bezeichnet. Gründer David Rutter schaffte es in nur einem Jahr, 25 internationale Großbanken von seinem Vorhaben zu überzeugen, darunter JP Morgan, HSBC, Goldman Sachs, UBS und auch Deutsche Bank und Commerzbank. Gemeinsam mit R3 CEV erarbeiten die Banken jetzt Standards für den Wertpapierhandel.
In Salt Lake City, 3500 Kilometer entfernt von der Finanzhochburg New York City, ist Patrick Byrne schon weiter. Byrne ist Vorstandsvorsitzender von Overstock, einem Onlineversandhändler mit 330 Millionen Euro Börsenwert. Overstock hat eine eigene Handelsplattform gebaut. Über T0 sollen künftig digitale Wertpapiere gehandelt werden. Byrne sagt, er wolle den Handel transparent und kostengünstig machen – und Marktmanipulation eindämmen.
Die Mission kommt nicht von ungefähr, Byrne selbst sieht sich als Opfer einer Kursmanipulation. 2007 reichte er Klage gegen Investmentbanken und Hedgefonds ein, darunter auch Goldman Sachs. Sein Vorwurf: Mit illegalen Wetten auf fallende Kurse hätten sie den Wert der Overstock-Aktien gedrückt. Das Verfahren läuft noch.
Die erste digitale Anleihe der Welt
Weil Byrne der Wall Street nicht mehr traut, schafft er sein eigenes Handelsuniversum. Über die Blockchain. Overstock hat bereits die erste digitale Anleihe der Welt ausgegeben. Kryptoanleihen nennt sie das Unternehmen selbst. Byrne war der erste Investor und legte zum Test 500.000 Dollar an. Weil das klappte, konnte er den Hedgefonds First New York (FNY) überzeugen, nun in eine Anleihe über fünf Millionen Dollar zu investieren. Der Hedgefonds erhält dafür über fünf Jahre sieben Prozent Zinsen jährlich.
Das Vertrauen der Investmentbanker in seine neue Anleihe musste sich Byrne aber noch erkaufen – für den Fall, dass mit der Technik etwas schiefläuft. FNY erhielt die fünf Millionen Dollar, die sie in die Kryptoanleihe investierten, von Overstock als Kredit. Eigenes Kapital mussten sie also nicht einsetzen. Zinsen erhalten sie von Overstock trotzdem.
Bislang konnte Byrne frei walten, für die Ausgabe der Anleihen benötigte er keine Genehmigung der US-Finanzaufsicht SEC. Weil er künftig auch Privatanlegern ermöglichen will, in digitale Aktien von Overstock zu investieren, tauscht er sich mit der SEC aus: Einen Wertpapierprospekt hat er bereits mehrfach überarbeitet und Verbesserungswünsche der Aufseher eingefügt. Mit DriveWealth hat Byrne schon einen Broker gefunden, der Anlegern Blockchain-Investments ermöglichen will.
Kuriose Börsenpannen
Fast 45 Minuten konnten am 29. Oktober 2013 an der US-Börse Nasdaq einige Indexstände nicht übermittelt werden. Wegen der fehlenden Daten wurde der Optionshandel vorübergehend ausgesetzt. Als Grund für die Panne nannte der Betreiber menschliches Versagen: Durch einen Bedienfehler seien Störungen in der Datenübertragung entstanden.
Wegen technischer Probleme hat die Derivate-Börse Eurex den Handel am Morgen des 26.8.2013 vorübergehend gestoppt. "Die Aussetzung wurde durch eine fehlerhafte Zeit-Synchronisierung im System verursacht", teilte die Tochter der Deutschen Börse mit. Aus diesem Grund sei der Handel zwischen 08:20 und 09:20 Uhr (MESZ) angehalten und sämtliche Produkte auf den Stand vor Börseneröffnung zurückgesetzt worden.
Eine technische Panne hat die US-Technologiebörse Nasdaq am 22. August 2013 für mehrere Stunden lahmgelegt. Grund für den Knock out sei ein Softwareproblem gewesen, teilte der Börsenbetreiber Nasdaq OMX mit. Die Übermittlung von Kursdaten an die New Yorker Börse an der Wall Street war offenbar zusammengebrochen. Auch der Optionshandel wurde bis auf weiteres ausgesetzt. Erst nach rund dreistündiger Zwangspause konnte die Börse den Handel mit den Papieren von Technologiefirmen wie Apple, Facebook, Microsoft oder Google wiederaufnehmen. Die Nasdaq rechnet aber bisher nicht mit Schadenersatz- oder Haftungsansprüchen.
Die US-Investmentbank Goldman Sachs hat am 21. August 2013 versehentlich eine riesige Menge von Optionsgeschäften getätigt. Die irrtümlichen Orders wurden kurz nach Handelseröffnung aufgegeben und betrafen Optionen auf Aktien, deren Börsensymbole mit den Buchstaben H bis L beginnen. Eine mit den Problemen vertraute Person, die nicht namentlich genannt werden wollte, führte die fehlerhaften Aufträge auf eine Computerpanne zurück. Diese habe dazu geführt, dass bloße Interessensbekundungen an den Optionen irrtümlich als Orders an die Handelsplätze versandt worden seien. Möglicherweise drohe Goldman Sachs ein Verlust in Millionenhöhe.
Ein Aktienhändler der UBS handelte durch Eingabe zu vieler Nullen im Januar 1999 innerhalb von zwei Minuten zehn Millionen Aktien der Pharmafirma Roche, von den aber überhaupt nur sieben Millionen Stück existierten. Das Handelsvolumen überstieg die Marktkapitalisierung von Roche um knapp die Hälfte. Den Verkauf versuchte er durch eigene Kauforders rückgängig zu machen. 2001 verkaufte ein Händler der Investmentbank Lehman Brothers aus Versehen immer hundertmal mehr Aktien als er wollte – vor allem von Schwergewichten wie AstraZeneca und BP – und vernichtete so zeitweise 30 Milliarden Pfund an Börsenwert.
Im Dezember 2001 begleitete UBS Warburg den Verkauf neuer Aktien des japanischen Unternehmens Dentsu. Ein Händler vertippte sich und verkaufte statt 16 Dentsu-Aktien zu 600.000 Yen gleich 610.000 Aktien zu 6 Yen an. Schnell verkaufte die UBS so 64.915 Aktien, was etwa der Hälfte des Emissionsvolumens entspricht. Die UBS verlor so 100 Millionen Dollar, weil sie die Aktien selbst zum Marktpreis kaufen musste, um die Käufer mit den Papieren zu versorgen.
Ein Händler von Bear Stearns verkaufte im Oktober 2002 Aktien für vier Milliarden Dollar anstelle von vier Millionen. Bevor der Vertipper auffiel, gingen bereits Wertpapiere im Wert vom 600 Millionen Dollar an neue Besitzer. Der Leitindex Dow Jones sank dadurch um 2,3 Prozent.
Der Hochfrequenzhandel war für den "Flash Crash" an der Wall Street verantwortlich, als sich im Mai 2010 durch einen blitzartigen Kurseinbruch aus heiterem Himmel binnen Minuten fast eine Billion Dollar Marktwert in Luft auflöste. Einige Aktien verloren in der kurzen Zeitspanne rund die Hälfte ihres Wertes. Schon davor hatte es Kritik gegeben an den immer schnelleren Börsengeschäften über Computersysteme. Beim sogenannten Hochfrequenzhandel werden tausende Transaktionen binnen Millisekunden durch Computer ausgelöst.
Ende Juni 2010 fielen die Aktien der Citigroup nach Massenverkäufen durch elektronische Handelssysteme zeitweise um17 Prozent. Da die US-Börsenaufsicht SEC nach dem „Flash Crash im Mai zuvor beschlossen hatte, Aktien aus dem Index S&P 500 vom Handel auszusetzen, sofern diese innerhalb von fünf Minuten mehr als zehn Prozent fallen oder steigen, stoppte diese Sicherungssystem den Kursrutsch. Fünf Minuten stoppte der Handel, dann beruhigte sich die Lage. Den Handelstag beendete die Citigroup-Aktie sieben Prozent im Minus.
Noch vor Facebook gab es einen weiteren verpatzten Börsengang: Die Erstnotiz der drittgrößten US-Börse BATS Global Markets Ende März 2012 endete mit einem Totalschaden. Die Aktien sollten auf der eigenen Handelsplattform ihr Börsendebüt feiern, aber die neuen BATS-Aktien sackten binnen Minuten von 16 Dollar auf unter einen Cent. Als Schuldige wurde eine neue Software ausgemacht. BATS musste falschen Transaktionen zurücknehmen - und nahm die eigenen Aktien nach dem peinlichen Vorfall gleich mit von der Börse.
Als das 900 Millionen Nutzer starke Social-Media-Portal im Mai 2012 den Sprung an die Börse wagte, bekam die Erfolgsstory deutliche Risse. Nach gravierenden Pannen im Handelssystem der Technologiebörse Nasdaq in New York stürzte der Kurs des Börsenneulings rapide in die Tiefe. Beteiligte Firmen erlitten hohe Millionen-Verluste, etliche fordern von der Nasdaq Schadenersatz. Die Schweizer Großbank UBS, die beim Facebook-Börsengang 349 Millionen Franken (290 Millionen Euro) verlor, drohte bereits mit einer Klage gegen die Börse.
Am 31. Juli 2012 versetzte eine fehlerhafte Handelssoftware versetzte Wertpapierhändler und Anleger an der Wall Street in Aufruhr: In den ersten 45 Minuten des Handelstages verzeichneten rund 150 Aktientitel so hohe Umsätze wie sonst an einem ganzen Tag. Die Folge waren heftige Preisschwankungen, und fünf Aktien mussten sogar ganz aus dem Handel genommen werden. Das Börsenhandelshaus Knight Capital räumte ein, Probleme mit seinen computergestützten Systemen seien dafür verantwortlich. Ein neues Handelsprogramm hatte die Börse mit fehlerhaften Handelsaufträgen geflutet. Knight Capital verbuchte durch die viel zu teuer gekauften Aktien einen Verlust von rund 440 Millionen Dollar.
Kurz nach dem Handelsstart im April 2014 an der Technologiebörse Nasdaq schossen die Aktien des Lebensmittelherstellers Kraft Foods binnen einer Minute um satte 30 Prozent nach oben, von 45 auf mehr als 58 Dollar. Die Nasdaq verneinte Probleme mit ihrer Handelsplattform und machte einen Börsenmakler als Verursacher aus. Laut "Financial Times" hatte ein Handelsprogramm irrtümlich versucht, 30.000 Kraft-Aktien binnen kürzester Zeit zu ordern. Die Nasdaq und andere betroffene Börsen erklärten nach einer Untersuchung der Kursbewegungen die fragwürdigen Transaktionen oberhalb eines Kurses von 47,82 Dollar für ungültig. Der Fehler ereignete sich nur einen Tag, nachdem Kraft Foods sich aufgespalten und sein Geschäft mit Snacks außerhalb der USA unter dem Namen Mondelez International als eigenständige Aktie an die Nasdaq gebracht hatte.
In der Blockchain zahlen sich Zinsen selbst aus
Wie intensiv auch die Banken den technologischen Umbau vorantreiben, zeigt sich in Zürich, am Hauptsitz der UBS in der mondänen Bahnhofstraße. An dessen Rückseite, zwischen Tesla-Flagshipstore und der Baustelle eines Cartier-Shops, versteckt sich der Eingang zur Finanzzukunft, dem Büro von Oliver Bussmann. Der Deutsche ist seit 2013 Chief Information Officer bei der UBS. Er glaubt, dass die Blockchain für das Finanzsystem ähnlich revolutionär wirken kann wie das Internet: „Prozesse, die seit über 100 Jahren existieren, werden nun infrage gestellt.“
Bei UBS hat er mit seinem Team bereits die Ausgabe sogenannter Smart Bonds getestet: eine Simulation einfacher Rentenpapiere, bei denen der Herausgeber und Käufer in der Blockchain gespeichert werden. Besonders clever sind die Anleihen, weil man ihnen Bedingungen direkt einprogrammieren kann. Zinsen oder Dividenden von Aktien zahlen sich dann selbst aus, ohne Verwaltungsaufwand. Bei Krediten könnten intelligente, weil mit allen Daten bestückte Verträge sogar überwachen, ob fällige Raten fristgerecht eingegangen sind.
Riesiges Potenzial zur Effizienzsteigerung
Auch bei der Deutschen Bank in London sind die Erwartungen an die neue Technologie groß. „Die Blockchain bietet riesiges Potenzial für alle möglichen Effizienzsteigerungen im Finanzsystem“, sagt Rhomaios Ram, der die Produktentwicklung im Bereich Global Transaction Banking leitet. Ram ist dort auch Chief Digital Officer und in dieser Funktion der Blockchain-Experte der Deutschen Bank. Vor allem die Clearingprozesse, etwa die Feststellung, ob die Parteien eines Wertpapierhandels entweder Geld oder Aktien liefern, könnten effizienter und damit auch günstiger werden. „Es stellt sich sogar die Frage, ob man noch Clearinghäuser braucht“, sagt Ram.
Die Deutsche Bank hat in einem erfolgreichen Test Unternehmensanleihen über die Blockchain ausgegeben und den kompletten Kaufprozess abgewickelt. Nun wird mit den Regulierungsbehörden geklärt, unter welchen Voraussetzungen solch ein Verfahren regulär eingesetzt werden könnte.
Banken schließen sich gegen die Blockchain zusammen
Ein Problem bei vielen Praxistests: Die Blockchain arbeitet bei sehr großen Datenmengen sehr langsam. Die Deutsche Börse etwa versuchte, die Stimmabgabe von Aktionären bei Hauptversammlungen über die Blockchain abzuwickeln. Dafür brauchte das Team etwa die 50-fache Computerleistung des bisherigen Systems.
Die Blockchain hätte das Potenzial, für Privatanleger einen völlig liberalisierten Markt zu schaffen, an dem jeder mit minimalen Kosten teilnehmen würde. „Wir können nicht vollständig ausschließen, dass es zu einem dezentral organisierten Handelssystem kommen kann“, sagt Marc Robert-Nicoud, Vorstand der Clearstream Holding.
Wie man an der Börse die besten Chancen hat
Stop-Loss-Orders, bei deren Unterschreiten automatisch verkauft wird, disziplinieren und bewahren davor, permanent nach Kursen schauen zu müssen. Sinnvoll aber nur bei sehr liquiden Werten. Bei Aktien unterhalb des Dax gefährlich, weil Profis die Aktien unter das Stopp-Loss drücken und billig abfischen könnten.
Stimmen die Gründe für den Kauf noch, wird eine Aktie nur ihrer Kursgewinne wegen nicht riskanter. Also halten, auch dann, wenn es zwischenzeitlich nach unten geht. Verschlechtern sich wesentliche Parameter: verkaufen.
Angst und Gier treiben die Herde, so entstehen heftige Kursbewegungen, die aber auch schnell wieder drehen und deshalb gute Kauf- und Verkaufschancen bieten. US-Ökonom Robert Shiller zieht Parallelen zum Fußball: „Halte dich von der Meute fern, dann wird der Ball früher oder später zu dir kommen.“
Wer Unternehmen mit überzeugendem Geschäftsmodell hält, prüft Kennzahlen wie Kurs-Gewinn-Verhältnis, Umsatz- und Cashflow-Entwicklung über viele Jahre und vergleicht sie mit den Zahlen der Konkurrenten. Gründe, die zu einem Investment führen, schriftlich festhalten: hilft klarer zu denken und kann, wenn der Wunsch, zu verkaufen übermächtig wird, nachgelesen werden.
Irren ist menschlich. Wer schon beim Aktienkauf festlegt, welches Minus er maximal akzeptiert, schützt sich vor Illusionen. Etwa der, nur noch Nachrichten wahrzunehmen, die die eigene positive Überzeugung stützen.
Dass sich nun Banken weltweit zusammenschließen und versuchen, die Technologie mitzubestimmen, zeigt aber: Am Ende wird es dazu wohl nicht kommen. Denn welche Bank, Börse oder Verwahrstelle treibt schon ihren eigenen Untergang voran? Es sieht vielmehr danach aus, dass sie sich dazwischenschalten. Für Anleger könnte die theoretisch gewonnene Handelsfreiheit so als reine Utopie enden.
Nur ein IT-Update
Clearstream-Vorstand Nicoud macht sich denn auch demonstrativ keine Sorgen, dass sein Unternehmen verschwinden könnte. Die neuen Technologien zielten darauf ab, den Handel effizienter zu machen, für Kunden also vor allem schneller und günstiger. Er sieht einen entscheidenden Vorteil für Clearstream: „Eine Partei am Finanzmarkt muss auch in der Blockchain für das nötige Vertrauen sorgen. All die Verbriefungen, Regulierungen und Vorschriften haben wir ja nur geschaffen, um eine klare, rechtliche Grundlage für unsere Industrie zu bekommen.“
Michael King ist Aufsichtsratsvorsitzender beim Londoner Start-up Credits, das im FinTech-Inkubator Level 39 sitzt. Er erwartet künftig einen Mix aus öffentlichen und privaten Blockchains. Credits arbeitet daran, diese Systeme tatsächlich vernetzen zu können. Jede Bank würde kostengünstig ihre eigene Blockchain für das Kundengeschäft nutzen. Der Zugang wäre aber begrenzt – und über eine Schnittstelle könnten sie ihre Blockchain mit den Systemen anderer Banken verbinden. Die Blockchain wäre so nicht viel mehr als ein IT-Update.
Blockchain ist sicherer vor Manipulationen
Sicherheitsexperte Arron Finnon vom Alba13 Research Lab, das Investor-RelationsAbteilungen berät, sieht das Bestreben kritisch. „Eine völlig dezentral organisierte Blockchain, wie sie aktuell hinter dem Internetgeld Bitcoin steht, könnte Angreifern deutlich besser widerstehen.“ Separate Ketten einzelner Banken ließen sich viel leichter manipulieren.
Rechtsprofessorin Micheler hält die Ausgabe von digitalen Wertpapieren für juristisch unproblematisch: „Der Begriff Wertpapier ist historisch gewachsen“, sagt sie. „Das Papier war ursprünglich nur als Transfermedium gedacht. Der Wert richtete sich immer schon nach dem Inhalt der Rechte, und die lassen sich auch papierlos übertragen.“
Finanzaufseher haben Blockchain im Blick
Christoph Boschan von dem Bussche, Geschäftsführer der Börse Stuttgart, sieht dennoch die Aufsichtsbehörden in der Pflicht: Am Ende sei die Blockchain für Anleger ein Protokoll für den Handel von Aktien oder Anleihen, und wie jede andere Transaktion müsse hier auch geprüft werden.
Die Finanzaufseher haben die neue Technologie bislang aber allenfalls im Blick – aktiv werden sie noch nicht. Auf europäischer Ebene wäre die EU-Kommission mit ihrer Abteilung für Finanzmarktstabilität zuständig. Aktuell seien keine Gesetzespläne zur Blockchain auf dem Weg, ist aus deren Umfeld zu hören.
Von der deutschen Finanzaufsicht BaFin heißt es, man beobachte die Entwicklungen vor allem im Hinblick auf potenzielle Vorteile und Risiken für einen effizienten Kapitalmarkt. Derzeit ließe sich aus den Fallbeispielen auf dem Finanzmarkt noch nicht eindeutig ablesen, ob das digitale Register allein ausreiche, um die Geschäfte abzuwickeln – und wenn doch, ob dies gesetzlich erlaubt wäre. Bislang erhalten Privatanleger laut Börsengesetz beispielsweise keinen direkten Zugang zum Kapitalmarkt.
Blockchain-Experte Bussmann ist optimistisch, dass Zentralbanken und Aufsichtsbehörden die Vorteile der Technologie sehen: „Dadurch ist es viel einfacher, Zahlungsströme zu verfolgen.“ Michael King geht davon aus, dass kein Kapitalmarktteilnehmer den Behörden mehr etwas berichten müsste, weil das komplette Register zu jedem Zeitpunkt einsehbar wäre.
Allzu viel Beobachtungszeit sollten sich die Behörden nicht lassen. Schon bald könnten Finanzinstitute und Unternehmen Fakten schaffen: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir oder eine andere Bank in den kommenden 18 Monaten Blockchain-Technologien kommerziell einsetzen“, sagt Ram. Der Abschied vom wahren Wertpapier scheint unausweichlich.