Die mächtigste Bank der Welt hat nach ihrer dubiosen Rolle in der Finanzkrise und etlichen Skandalen wieder Oberwasser. Die Geschäfte laufen rund, Vorstandschef Lloyd Blankfein sitzt fest im Sattel und versucht, seinen lange verhassten Investmentbankern ein freundlicheres Image zu verpassen. Doch neue Enthüllungen wecken begründete Zweifel daran, dass die Wall-Street-Wölfe wirklich zahm geworden sind.
Die erstaunliche Karriere des Bankers Lloyd Blankfein zerfällt in zwei Phasen. Die erste erzählt den Aufstieg eines Jungen aus Brooklyn, der als Sohn eines Postangestellten aufwächst, öffentliche Schulen besucht, mit einem Stipendium nach Harvard geht, Geschichte und später Jura studiert, einige Jahre als Anwalt arbeitet und dann bei einem kleinen Rohstoffhändler an der Wall Street anheuert. Den kauft die weltgrößte Investmentbank Goldman Sachs, deren Chef Blankfein 2006 als Krönung seines Berufslebens wird.
Die zweite Phase beginnt 2008, dauert bis heute und ist im Ergebnis genauso erstaunlich wie die erste: Der 60-jährige Blankfein ist immer noch da.
Nach der Finanzkrise 2008 hätte das kaum jemand für möglich gehalten. Da war Blankfein der Hexenmeister und seine Bank das Symbol für all das Böse, das die Finanzindustrie ausgebrütet hatte. Die „riesige Vampirkrake“, als die sie das US-Magazin „Rolling Stone“ titulierte, konkurrierte allenfalls noch mit BP um den zweifelhaften Titel des unbeliebtesten Unternehmens. Dem Ölkonzern war damals immerhin gerade die Bohrplattform Deepwater Horizon explodiert.
Goldman ist nicht brav geworden
Mittlerweile hat sich das Bild gedreht: Mit geschickter Öffentlichkeitsarbeit, einer Charmeoffensive, mehr internen Kontrollen, Veränderungen im Geschäftsmodell und vor allem der Rückkehr des Erfolgs hat die Bank ein gutes Stück ihres Dunkelmann-Images abgelegt. Doch sind die wildesten Wölfe der Wall Street wirklich gezähmt? Tatsächlich ist Goldman in weniger Gerichtsverfahren verwickelt als viele Konkurrenten, und die Strafen, die die Bank an Aufsichtsbehörden zahlen musste, sind im Vergleich gering. Dennoch bleiben Zweifel. Einzelne Deals und neue Vorwürfe in den USA zeigen, dass Goldman keinesfalls brav geworden ist. Das Geschäftsmodell ist weiter darauf ausgelegt, Grenzen genau auszuloten und dabei schneller und schlauer zu sein als Regulierer und Konkurrenten.
Die Milliardenmaschine läuft so erfolgreich wie vor der Krise: In den ersten neun Monaten 2014 spuckte sie Erträge von 27 Milliarden und einen Gewinn vor Steuern von neun Milliarden Dollar aus. Der Aktienkurs hat sich in den vergangenen drei Jahren verdoppelt. Der Aufschwung erfreut auch die rund 30.000 Angestellten, die bis Ende September elf Milliarden Dollar Gehalt kassierten. Auch Blankfein zählt wieder zu den ganz großen Verdienern. 2013 strich er rund 23 Millionen Dollar ein.
Während europäische Konkurrenten immer noch unter unverarbeiteten Altlasten aus der Krise 2008 leiden, ziehen US-Banken davon. Dank Milliardengewinnen auf ihrem Heimatmarkt können sie auch im Ausland aufdrehen. „Wir haben den Ehrgeiz und den Anspruch, unsere sehr gute Marktposition in Deutschland in allen Geschäftsfeldern zu halten und weiter auszubauen“, kündigt Wolfgang Fink, der neue Co-Chef des Deutschland-Geschäfts, im Interview an.
Diese Ex-Goldman-Banker stehen an der Spitze von Politik und Wirtschaft
Ab Mai 2015 neuer Finanzvorstand bei der Deutschen Bank
Ab Mai neuer Chef bei der Deutschen Börse
Seit Juli 2014 Spitzenjob im Europageschäft bei JP Morgan
Seit 2009 Vorstandsvorsitzender bei der Hypovereinsbank
Seit Ende 2011 Präsident der Europäischen Zentralbank
Seit Sommer 2013 ist der Kanadier Chef der Bank of England
Seit 2012 Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Bank
Von 2009 bis 2014 Chef der US-Wertpapieraufsicht CFTC
Von 2009 bis 2013 US-Botschafter in Deutschland
Von 2006 bis 2009 Finanzminister der Vereinigten Staaten
Von 1995 bis 1999 Finanzminister der Vereinigten Staaten
Seit 200 Präsident der Federal Reserve Bank of New York
Zuflucht bei den Ex-Kollegen
Mit Neid dürfte Paul Achleitner das selbstbewusste Auftreten seiner ehemaligen Kollegen beobachten. Der Aufsichtsratschef der Deutschen Bank leitete Ende der Neunzigerjahre selbst das Deutschlandgeschäft von Goldman. Sein aktueller Arbeitgeber will zwar in der gleichen Liga mitspielen, steht aber deutlich schlechter da. Die Deutsche Bank verdiente bis Ende September nur knapp drei Milliarden Euro vor Steuern, der Aktienkurs ist 2014 um fast 25 Prozent gefallen. Prozesse ramponieren das Image, und Wachstum ist nicht in Sicht.
In seiner Not nimmt Achleitner Zuflucht bei Rezepten seiner Ex-Kollegen. Mit Marcus Schenck hat er dort einen neuen Finanzvorstand abgeworben. Das von ihm und den Bankchefs Jürgen Fitschen und Anshu Jain forcierte Konzept des Kulturwandels hat Goldman so ähnlich schon von 2010 an vorgelebt. Ebenso die Treue zu einem umstrittenen Chef. Jain war vor der Krise oberster Investmentbanker der Deutschen Bank. Da dort fast alle Prozesse und Aufsichtsverfahren wurzeln, steht er seit seinem Amtsantritt 2012 in der Kritik.
Die ist allerdings läppisch im Vergleich zu dem Sturm der Wut, der Blankfein traf. Ausgerechnet ihn, der so viel Wert auf das Urteil seiner Umgebung legt und den sein Vorgänger wegen seiner „positiven Unsicherheit“ für den Job empfahl. Der Studenten rät, „komplette Persönlichkeiten“ zu werden, Shakespeare zu lesen und mal einen Kunstkurs zu belegen. Und der Kollegen mit seinem Humor in schwierigen Situationen immer wieder aufheitert.