Bechstein Vom Pleitekandidaten zum profitablen Klavierbauer

Mit einer geschickten Markenstrategie und Internationalisierung wächst der deutsche Klavierbauer Bechstein, obwohl der Markt seit Jahren schrumpft.

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Karl Schulze öffnet vorsichtig die Deckplatte eines schwarz glänzenden Flügels. „Sehen Sie, das ist ein C. Bechstein, unsere Stammmarke. Die Gussplatte ist gewölbt, sie hat Schalllöcher.“ Schulze schlägt einen Dreitakter an. „Hören Sie“, sagt der Chef der C. Bechstein Pianofortefabrik, „der Ton ist glasklar und hat doch unendlich viele Facetten.“ Das ehemalige Heizhaus am Stammsitz von Bechstein im sächsischen Seifhennersdorf dient heute als Vorführraum. Die Luftfeuchtigkeit in der neun Meter hohen Halle liegt bei 50 Prozent, damit sich die Flügel nicht verziehen. Schulze greift kurz in die Tasten eines Flügels der Zweitmarke Bechstein Academy. Der Klang hat eine Nuance weniger Tiefe; das Instrument wirkt auf den ersten Blick so edel wie die Erstmarke, doch beim genaueren Hinsehen zeigt sich, dass es einfacher verarbeitet ist. „Wir haben mit Bechstein Academy auf die Finanznot der öffentlichen Haushalte reagiert“, sagt Schulze. Ein großer Teil der Flügel und Klaviere geht an Schulen, Theater und Opern. Flügel der Erstmarke C. Bechstein kosten zwischen 35.000 und 100.000 Euro, die der Zweitmarke gibt es bereits ab 22.000 Euro. „Wir müssen den Markt nehmen, wie er ist“, sagt Schulze, „es nützt uns nichts, wenn wir in Schönheit untergehen.“ Ein typischer Schulze-Satz. Der Bechstein-Chef, 1,90 groß und stets leicht gebeugt, straft das Bild vom empfindsamen Klavierbauer Lügen. Als nüchtern und geradlinig, mitunter knallhart beschreiben Weggefährten den 58-Jährigen und als einen, der noch mal richtig aufdreht, wenn es eng wird. Mit diesen Eigenschaften hat Schulze geschafft, was in dieser Form nur wenigen Managern gelingt. Auf einem Markt, der in den vergangenen 20 Jahren um zwei Drittel geschrumpft ist, hat er Bechstein zu einem börsennotierten Unternehmen mit 180 Mitarbeitern gemacht, dessen Umsatz in den vergangenen fünf Jahren um ein Drittel auf 27, 6 Millionen Euro gestiegen ist. Damals, im Jahr eins unter Schulze, lavierte die einstige Perle des deutschen Klavierbaus am Rand der Pleite. Der Umsatz lag bei nur noch zehn Millionen Mark, die Belegschaft bestand aus 50 Mitarbeitern. Seit den Sechzigerjahren gehörte Bechstein zu Baldwin. Doch dem amerikanischen Klavierbauer ging es selbst nicht gut. Mehrfach hatten die Manager des Bechstein-Mutterkonzerns Schulze bekniet, die Führung zu übernehmen. Der Klavierbauermeister und studierte Betriebswirt lehnte ab. Er besaß damals drei Klavierläden in Oldenburg, Bremen und Wilhelmshaven: „Ich wollte meine Eigenständigkeit nicht aufgeben.“ Als die Amerikaner Ende 1985 wieder anfragten, schlug Schulze vor, Bechstein zu übernehmen. Baldwin-Chef Dick Harrison akzeptierte. Schulze krempelt nach der Übernahme das Unternehmen um, bringt neue Modelle heraus, schließt Produktionsstätten, verlagert das Berliner Stammhaus in ein modernes Gebäude. Gleichzeitig kauft Schulze Klavierbauer auf: 1990 Euterpe im fränkischen Langlau und dessen Marke Hoffmann; ein Jahr später von der Treuhand die Sächsische Pianofortefabrik mit der Marke Zimmermann in Seifhennersdorf. In die kleine Stadt am deutsch-polnisch-tschechischen Dreiländereck verlagert Schulze nach und nach die Produktion. In Berlin wird die Situation währenddessen heiß. Die Fixkosten für die kurz vor der Wende gekaufte Berliner Zentrale laufen aus dem Ruder. Schulze kann das nur noch halb genutzte Gebäude trotz lukrativer Angebote nicht verkaufen, weil die Stadt ein Vorkaufsrecht besitzt und sich nicht rührt. Schließlich beantragt Schulze den Konkurs. Erst dann wacht die Stadtverwaltung auf und übernimmt das Objekt – zum Vorwendepreis. Der Konkurs ist damit abgewendet. Schon vier Jahre später wagt Schulze den Sprung an die Börse. Die Aktie entwickelt sich nach flauen Anfängen gut; seit Anfang 2001 legte der Wert um 45 Prozent zu. Die Anleger goutieren offensichtlich die Strategie, sechs Hausmarken anzubieten: die Premiumklasse mit C. Bechstein, die Oberklasse mit Bechstein Academy, in der Mitte Zimmermann und W. Hoffmann, darunter die Standardmarke Euterpe sowie das Einsteigerlabel Wilhelm Steinmann. „Die Markenpyramide ergibt Sinn“, sagt Analyst Robert Schramm von Independent Research. „Mit den sechs Produktlinien spricht Bechstein alle Käuferschichten an.“ Die Marke C. Bechstein rangiert dabei ganz oben, nicht weit hinter dem italienischen Wettbewerber Fazioli, dessen Flügel etwa ein Viertel teurer sind als die Bechstein-Flügel, und der amerikanischen Flügellegende Steinway, die im Preis 15 bis 20 Prozent höher liegt als C. Bechstein.

Wer nicht rund 100.000 Euro für einen Flügel C. Bechstein D mit 2,80 Meter Länge ausgeben will, kann zu den Klavieren der beiden Topmarken greifen, die es zwischen 8500 Euro und 23.000 Euro gibt. Oder zu einem Klavier von Zimmermann zum Preis von 6000 Euro bis 8500 Euro, die Steinmann-Klaviere gibt es bereits ab 2900 Euro. Und wem das noch zu viel ist, dem bietet der Mehrmarkenkonzern Mietklaviere für einen Euro pro Tag. Mit diesem Breitbandkonzept hat Schulze seinen Marktanteil seit der Übernahme von drei auf fast 30 Prozent in Deutschland angehoben, während andere bekannte Namen nur noch in Nischen leben. Von den deutschen Marken ist einzig Schimmel mit einem Marktanteil von zehn Prozent noch nennenswert vertreten, während renommierte Namen wie Blüthner, Förster oder der österreichische Hersteller Bösendorfer unter dem Ansturm von Yamaha und den chinesischen Produzenten sich in Nischen verzogen haben. Schulzes zweite Strategie ist eine wohltemperierte Globalisierung in Beschaffung und Produktion. Seit 2002 ist Bechstein mit dem koreanischen Instrumentenbauer Samick verbandelt, der rund 20 Prozent an Bechstein hält. Mit Samick gelang Schulze, der mit seiner Frau etwa 25 Prozent der Aktien besitzt, der Eintritt in den asiatischen und amerikanischen Markt und die Verbreiterung der Produktionsbasis. Jedoch entstehen die Instrumente der Bechstein-Kernmarken und von Zimmermann ausschließlich in Seifhennersdorf. Hoffmann-Klaviere kommen dagegen aus dem böhmischen Königgrätz von der Bohemia Piano, einer 49-Prozent-Beteiligung, die Schulze Anfang des Jahres erwarb, die anderen Marken aus Jakarta oder Shanghai. Seifhennersdorf mischt trotzdem überall mit. Denn jedes Instrument aus Asien oder Tschechien nimmt den Umweg über die Grenzstadt im sächsischen Teil Niederschlesiens. Die Klavierbauer nehmen dort jedes Stück auseinander und prüfen es von der Oberfläche bis zum Anschlag. Dritte Säule des Bechstein-Erfolges sind die eigenen Läden. Etwa die Hälfte des Deutschlandumsatzes macht Bechstein inzwischen in den sieben Bechstein-Zentren – Tendenz steigend. Zurzeit eröffnet Schulze neue Läden im Zweimonatstakt. Vor wenigen Wochen machte er mit einem tschechischen Partner ein Geschäft in Prag auf. Weitere Geschäfte starten in Hamburg, Moskau, Kiew und Sankt Petersburg. Im kommenden Jahr soll eine Niederlassung in New York ihre Pforten öffnen. Schulze hat jenseits des Atlantiks viel vor. In drei Jahren will Bechstein dort 500 Klaviere und Flügel verkaufen. „Die USA sind ein schwieriger Markt“, sagt Schulze. Etwa die Hälfte der dort verkauften Klaviere stammen aus China. Im Hochpreissegment dominiert dagegen Steinway. Der Flügelbauer produzierte im vergangenen Jahr etwa 3000 Flügel – fast achtmal so viel wie Bechstein. Allerdings ziehen viele Klavierliebhaber inzwischen den wärmeren Klang des Bechsteins dem klaren, aber oft als kühl empfundenen Ton des Steinways vor. Schulze sieht den Wettbewerb auf dem Heimatmarkt des Starflügels sportlich: „Wir wollen denen nur ein bisschen wehtun.“ Heute macht Bechstein noch 60 Prozent des Geschäfts im Inland. Doch Schulze will das Verhältnis umdrehen. Vom deutschen Markt erhofft er sich keine großen Sprünge mehr. Der Absatz verlangsamt sich seit den Siebzigerjahren. Gleichzeitig wächst der Gebrauchtmarkt, weil Pianos nicht mehr jahrelang unbenutzt im Wohnzimmer herumstehen, wenn die Kinder den Unterricht aufgegeben haben. Hinzu kommt der Trend zum Keyboard. Und: Klaviere und Flügel überdauern Generationen. Nur Kriege und Katastrophen schaffen Ersatzbedarf. In Friedenszeiten beleben nur gelegentliche Desaster das Geschäft: In der Elbflut des vergangenen Frühlings etwa soffen schätzungsweise 600 Pianos ab, mehr als ein Zehntel der Bechstein-Jahresproduktion.

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