Beim Unternehmen läuft zurzeit allerhand schief Marseille-Kliniken: Extrem zweifelhaft

Der Betreiber von Altenheimen und Rehazentren schüttet eine Dividende aus, die er sich eigentlich gar nicht leisten kann.

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Axel Hölzer, Vorstandschef der Hamburger Marseille-Kliniken AG, versprach vollkommene Transparenz: „Wir wollen Ihnen und damit der Öffentlichkeit einen umfassenden Eindruck vermitteln, was wir tun“, kündigte Hölzer bei der Vorstellung der Jahresergebnisse 2002/03 an. Was folgte, war das Gegenteil. Der Geschäftsbericht verschleiert die wahre Situation des Unternehmens mehr als dass er sie offen legt. Um eine Dividende auszahlen zu können, hebt das Unternehmen im großen Stil stille Reserven. Die Marseille-Kliniken betreiben in Deutschland 46 Altenpflegeheime und elf Rehabilitationskliniken. Die Seniorenheime trugen im abgelaufenen Geschäftsjahr rund zwei Drittel zum operativen Gesamtumsatz von 190 Millionen Euro bei und mussten mit ihrem Gewinn die Verluste in den anderen Bereichen ausgleichen. Das allein hätte dieses Jahr indes nicht gereicht, um das positive Konzernergebnis von 8,7 Millionen Euro auszuweisen. Denn zusätzlich zu dem schwachen Geschäft im Rehabereich musste die börsennotierte Klinikgruppe beträchtliche Abschreibungen und Wertberichtigungen für fehlgeschlagene Engagements verkraften. Bereits das dritte Jahr in Folge verzichtet der Altenheimbetreiber auf Forderungen gegenüber der ehemaligen Tochter SCS Standard Computersysteme GmbH. Das Unternehmen entwickelte die Krankenhausmanagement-Software der Marseille-Kliniken und produziert seit Jahren nur Verluste. Ursprünglich wurde es für einen Börsengang ausgelagert, der dann aber ausfiel. Zusammen mit den 1,3 Millionen Euro aus dem vergangenen Geschäftsjahr summieren sich die abgeschriebenen Forderungen gegenüber der SCS aus drei Jahren inzwischen auf über 5,8 Millionen Euro. Richtig eingeschlagen haben in diesem Jahr aber die Wertberichtigungen für die Tochter TD Trump Deutschland. Ulrich Marseille wollte zusammen mit dem New Yorker Immobilientycoon Donald Trump in Stuttgart einen 180 Meter hohen Büro-, Hotel- und Wohnkomplex für rund 250 Millionen Euro bauen. Das Projekt kam nie übers Planungsstadium hinaus. Im abge- a laufenen Geschäftsjahr mussten die Marseille-Kliniken 5,3 Millionen Euro ihrer Forderungen gegenüber TD Trump Deutschland abschreiben. Um die Verluste aufzufangen, löste die Klinikgruppe Sonderrücklagen in Höhe von 13,3 Millionen Euro auf. Dabei kam Vorstandschef Hölzer die verschachtelte Konzernstruktur der Marseille-Kliniken mit über 60 Tochterunternehmen entgegen. Nicht das Mutterunternehmen, sondern diverse Töchter verbuchten die zusätzlichen Erträge – genauso wie die außerordentlichen Abschreibungen für TD Trump. Der Charme der Operation: Alle Vorgänge konnten unter der Position „Finanzergebnis“ des Mutterunternehmens zusammengefasst werden. Das lag dann mit 10,7 Millionen Euro nur noch unverdächtige zwei Millionen Euro unter dem Wert des vergangenen Jahres. Ohne Auflösung der Sonderposten hätte die Klinikgruppe nach dem weltweit anerkannten International Accounting Standard (IAS) einen Verlust von über 5,4 Millionen Euro ausweisen müssen. Wohlwollend gerechnet. Denn das Tochterunternehmen TD Trump wird weiterhin in Höhe der ursprünglichen Kapitaleinlage von vier Millionen Euro bewertet. Eine Bilanzierung im Umlaufvermögen erfordert aber grundsätzlich eine Bewertung zum strengen Niederstwertprinzip. Darauf haben die Kliniken verzichtet. Interne Papiere von TD Trump Deutschland zeigen, dass die Gesellschaftereinlage und das Darlehen bereits im Mai vergangenen Jahres fast aufgezehrt waren. Auch die Hoffnung der Marseille-Kliniken, „Teile der Projektentwicklungsvorleistungen im Wege des Verkaufs der Gesellschaftsanteile an der TD Trump Deutschland“ noch zu retten, ist gewagt. Die Turmbaupläne sind storniert.

Zudem hoffen die Hamburger, die Hälfte ihrer Kapitaleinlage von vier Millionen Euro von Donald Trump zurückzubekommen. Laut Geschäftsbericht der Marseille-Kliniken ist TD Trump Deutschland ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem New Yorker Immobilientycoon, dem man seine Einlage nur vorfinanziert habe. Interne Dokumente der Klinikgruppe legen jedoch das Gegenteil nahe. Demnach wäre TD Trump eine hundertprozentige Tochter der Marseille-Kliniken und die Forderung gegenüber Donald Trump eine Luftnummer. Eine Stellungnahme lehnte das Unternehmen auf Anfrage der WirtschaftsWoche ab. Die Bilanzkosmetik bei Marseille soll offenbar verschleiern, dass das Unternehmen für die Zahlung einer Dividende eigentlich gar kein Geld hat. Zum Bilanzstichtag hatte der Klinikkonzern gerade mal 1,2 Millionen Euro in der Kasse – nach 2,5 Millionen Euro beziehungsweise 4,2 Millionen Euro in den Jahren davor. Dennoch zahlen die Marseille-Kliniken dieses Jahr eine Dividende von insgesamt 4,9 Millionen Euro. Die kann der Altenheimbetreiber nur finanzieren, weil er neben der Auflösung stiller Reserven im großen Umfang auch neue Darlehen aufgenommen hat. Die Bankschulden stiegen 2002/03 um rund 20 Millionen Euro, während das Aktivvermögen der Gruppe nur um knapp vier Millionen Euro zunahm. So darf sich der Mehrheitsaktionär und Aufsichtsratsvorsitzende Ulrich Marseille, der gemeinsam mit seiner Frau Estella-Maria 75 Prozent der Aktien hält, über eine Ausschüttung von rund 3,7 Millionen Euro freuen. Die kann er gut brauchen. Laut Geschäftsbericht stehen der Gründer und ihm nahe stehende Gesellschaften bei den Kliniken mit rund fünf Millionen Euro in der Kreide – knapp 2,4 Millionen Euro mehr als im Jahr zuvor. Marseille hat sich mit privaten Investments massiv verspekuliert. Sein größter Fehlschlag war der Kauf von mehr als 2700 Plattenbauwohnungen in Halle für 35 Millionen Euro vor circa sieben Jahren. Inklusive Sanierung zahlte Marseille für die schmucklosen Siedlungsbauten rund 75 Millionen Euro. Der heutige Wert liegt nach Schätzung von Experten bestenfalls bei 55 Millionen Euro. Da die Wohnungen voll beliehen sind, bliebe Marseille bei einem Verkauf auf 20 Millionen Euro Schulden sitzen. Eigentümer der Wohnungen ist die EWG Hansel Wohnungs-KG. Doch für die haftet Ulrich Marseille als Komplementär unbeschränkt mit seinem Privatvermögen. Nun sitzt er auf 144 000 Quadratmeter „Platte“ und wird sie nicht los. Das ist teuer. Zins und Tilgung, Personal- und Betriebskosten summierten sich 2001 auf rund zwölf Millionen Euro. Dem standen Einnahmen durch Miet- und Nebenkosten von nur 9,7 Millionen Euro gegenüber – ein Minus von rund 2,3 Millionen Euro. Seit 2003 kommen jedes Jahr rund eine Million Euro für zusätzliche Tilgung dazu. Geld versenkte Marseille auch bei dem Jungunternehmer Lars Windhorst. Dem gab er ein schlecht besichertes privates Darlehen über damals 20 Millionen Mark. Als sich die Schieflage bei Windhorst abzeichnete, bat Marseille im Spätsommer 2001 einen Sanierer, sich um die Unternehmensgruppe zu kümmern und so das Darlehen zu retten. Da Windhorst sich jedoch nur bedingt in die Karten schauen lassen wollte, fand Marseille eine andere Lösung. Er wies die EWG über seinen Steuerberater Ende Oktober 2001 an, rückwirkend für März 2001 sein Darlehen an Windhorst als Kapitaleinlage bei der EWG zu verbuchen. Dabei musste Marseille damals längst klar sein, dass die Werthaltigkeit der Forderung extrem zweifelhaft war. Windhorsts Electronics GmbH, die ehemalige Windhorst Holding, ist inzwischen liquidiert. Der Jungunternehmer selber leistete Ende Mai dieses Jahres Offenbarungseid. Der Umweg über die EWG hat für Marseille jedoch einen entscheidenden Vorteil: Fällt das Darlehen gegenüber Windhorst ganz oder teilweise aus, kommt dies bei dem Privatmann Marseille – über ein entsprechendes Minus der EWG – als Verlust aus Beteiligungen an. Den wiederum kann er gegenüber anderen Einnahmen wie den Dividenden aus den Marseille-Kliniken aufrechnen und damit steuerlich absetzen. Stellung nehmen wollte Marseille zu alldem auf Anfrage der WirtschaftsWoche nicht. Bei dem Unternehmer, der 2002 für die Schill-Partei in den Wahlkampf von Sachsen-Anhalt zog, läuft zurzeit allerhand schief. So erstattete der ehemalige Trump-Deutschland-Chef Hans Ulrich Gruber Strafanzeige gegen Marseille, weil der ihn im März dieses Jahres verprügelt haben soll. Ein Nachbar Marseilles aus der feinen Hamburger Blumenstraße, der Edelgastronom Hubertus Henrich, bekam von einem Richter bereits 27 000 Euro zugesprochen, weil ihn der Klinikgründer mit fünf wuchtigen Fausthieben ins Gesicht zu Boden geschlagen haben soll. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Marseille geht in Berufung. Eine Geschichte aus der WirtschaftsWoche Nr. 46/03. Ab Donnerstag, 6. November am Kiosk. Kennen Sie schon das Miniabo?

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