Bodo Schnabel im Interview "Das Schlimmste ist die Isolation"

Der Ex-Chef der Pleitefirma Comroad, Bodo Schnabel, musste für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis. Ein Gespräch über Mörder als Kollegen und Kaffee als Knastwährung.

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Bodo Schnabel

WirtschaftsWoche: Herr Schnabel, Sie saßen dreieinhalb Jahre in Haft. Woran denken Sie als Erstes, wenn Sie heute das Wort Gefängnis hören? 

Bodo Schnabel: An den dritten Tag. Da bin ich aufgewacht, sechs Leute haben mich angeguckt, und ich hatte eine Art Schlafanzug mit weiß-grauen Streifen an. Der hat mich an die Kleidung von Häftlingen in alten Steve-McQueen-Filmen erinnert. Das ist der Moment, der mir immer wieder einfällt. 

Wo waren Sie gelandet?

Auf der Krankenstation in der Haftanstalt Stadelheim. In der Nacht davor hatte ich einen starken Migräne-Anfall. Ein Arzt gab mir Tabletten, und am nächsten Morgen wachte ich in diesem Bett auf, um mich rum diese sechs Leute. 

Ihre Mitgefangenen?

Genau. Mein Bettnachbar hat mir gleich einen Becher Kaffee angeboten. 

Hat es Sie überrascht, dass Ihnen jemand geholfen hat? 

Es hat mich anfangs gewundert. Dann stellte sich heraus, dass mein Bettnachbar eigentlich obdachlos war. Er ließ sich regelmäßig im Winter für irgendwelche Kleinigkeiten einsperren und hat im Sommer in Spanien oder Griechenland bei der Olivenernte gearbeitet. Und der half mir nun.

Haben Sie ihm für den Kaffee Geld gegeben? 

Am Anfang hatte ich nichts. Ich musste zuerst mit meinem Anwalt sprechen, damit der mir Geld auf mein Haftkonto überwies. Dann mussten Anträge gestellt werden. Das hat insgesamt eine Woche gedauert, und in der Zeit haben mir die Mithäftlinge von der Krankenstation mal ein Stück Wurst gekauft oder eine Tafel Schokolade. Das habe ich natürlich zurückgezahlt.

Wie viel Geld hatten Sie während Ihrer Zeit in Haft zur Verfügung?

150 Euro im Monat war das Maximum. In Stadelheim gibt es ein kleines Geschäft auf dem Gefängnisgelände, dort kann man die üblichen Supermarkt-Sachen kaufen.

Und wenn das Geld alle war? 

Dann hat man sein Zeug mit einer Bombe bezahlt. 

Womit? 

Mit einer Bombe. So wurde ein Glas Instantkaffee genannt. Das war wie eine inoffizielle Währung, und ich hatte später ein kleines Lager unter dem Bett. Wenn man etwas brauchte, konnte man das bei anderen Gefangenen eben gegen Kaffee oder auch gegen Schokolade eintauschen. 

Bei Comroad haben Sie mit Millionenbeträgen jongliert und nun mit Schokoladentafeln?

Das musste ich auch erst lernen. Ein paar Tage vorher war ja alles noch ganz normal gewesen für mich. Ich fuhr ins Büro, dort hat mich mein Nachbar angerufen und gesagt, dass die Kripo vor meinem Grundstück steht. Ich bin mit meiner Frau gleich nach Hause und habe die Leute reingelassen. Ein paar Stunden später wurde ich zum Staatsanwalt gebracht. Und der hat mir erklärt, dass er mich wegen Fluchtgefahr vorläufig festnimmt. So kam ich nach Stadelheim.

Von einem Moment auf den anderen wurden Sie vom Chef zum Gefangenen. Wie sind Sie damit klargekommen?

Das ist wie bei einem Unfall. Man kann sich vorher nicht vorstellen, wie es ist, einen Arm oder ein Bein zu verlieren. Aber wenn Sie tatsächlich damit konfrontiert sind, müssen Sie sich mit der Situation abfinden.

Hatten Sie irgendwann das Gefühl das geschieht mir zu Recht? 

Es sind Fehler passiert bei Comroad. Aber ich war der Einzige, dem dafür eine spezielle Buße auferlegt wurde. 

Sie waren der Chef, Sie hatten die Verantwortung. 

Sicher gab es Sachen, die im Nachhinein nicht okay waren und für die ich geradestehen musste. Aber es war auch eine andere Zeit. Die ganze Bilanzierung am Neuen Markt war kritisch, und ich war Techniker und kein Wirtschaftsprüfer. 

Wie passt sich jemand, der es gewohnt ist, zwölf Stunden am Tag zu arbeiten, dem Gefängnis-Rhythmus an, dem Leerlauf?  

Ich habe Berge von Briefen geschrieben. 

An wen? 

An meine Familie, an die Anwälte, an Mitarbeiter in der Firma. An alle, die mir eingefallen sind. Ich habe die ganze Situation geschildert: meine Haftbedingungen, meine Vorbereitung auf den Prozess, einfach alles. Ich musste ja den Tag herumbringen. Und ich konnte sonst praktisch nur im Bett liegen. Eine Stunde Hofgang gab es, also immer im Kreis gehen und Luft tanken. Für Außenstehende mag das gar nicht so hart klingen. Aber egal, was Sie dort machen – es ist kein freiwilliger Entschluss. Sie sind isoliert und haben keinen direkten Kontakt nach draußen, zur Familie. Das ist das Schlimmste. 

Aber Sie hatten Kontakt zu anderen Häftlingen. Worüber haben Sie sich unterhalten? 

Am Anfang erzählen alle, warum sie in Haft sitzen. Später geht es dann um allgemeines Blabla, das Essen oder die Ärzte. Der eine wollte Englisch lernen, also habe ich ihm ein paar englische Vokabeln beigebracht und er mir im Gegenzug türkische. Ein paar russische und jugoslawische Brocken habe ich auch gelernt.

Ihre Mitgefangenen haben sicher gefragt, warum Sie verhaftet wurden. Was haben Sie denen geantwortet? 

Ich habe schlicht gesagt, dass ich Vorstandsvorsitzender von Comroad war. Dann wussten die meisten Bescheid. Viele hatten in der Zeitung von dem Fall gelesen und die Millionenbeträge gesehen, um die es ging.

War das positiv oder negativ für Sie? 

Eher positiv. Ich war so eine Art Prominenter.

Hatten Sie keine Angst vor Erpressungsversuchen oder Gewalt?

In Stadelheim gab es jeden Tag Schlägereien und Messerstechereien. Aber wenn man die Leute normal behandelt und niemanden blöd anspricht, passiert nichts. 

Weshalb saßen Ihre Mitgefangenen in Haft? 

Auf der Krankenstation war ein Älterer, der im Verdacht stand, seine Frau umgebracht zu haben. Ein anderer hatte seine Schulden nicht bezahlt. Bei vielen Jüngeren ging es um Drogen. Das war besonders aufreibend, denn wenn Sie in einem Raum mit sieben, acht Leuten schlafen, von denen laufend einer aufsteht und hustet, ist es ohnehin schwer. Wenn dann noch jemand auf Entzug ist und die Nacht durchschreit, ist an Schlaf gar nicht mehr zu denken.

Wie lange waren Sie auf der Krankenstation? 

Etwa ein halbes Jahr während der U-Haft. Ich musste am Herzen und an der Nierenarterie operiert werden. Es gab auf der Krankenstation nur eine Toilette für alle. Das war eine Katastrophe. Man musste den Leuten immer sagen: Mach’ das endlich sauber! Viele Gefangene sind halt nicht besonders reinlich. 

Immerhin blieb Ihnen dadurch der Aufenthalt in einer normalen U-Haft-Zelle erspart. 

Nicht ganz. Vor Beginn meines Prozesses war ich für einen Monat in einer normalen Zelle. Aber da hat mir ein Justizbeamter gleich einen Job angeboten, weil die auch Leute gesucht haben, die nicht gerade wegen Körperverletzung einsaßen. Ich sollte bei der Essensausgabe und dem Verteilen von Kleidung helfen – ich habe sofort zugesagt. Denn wenn man da arbeitet, bleibt die Tür den ganzen Tag offen – und nicht nur für eine Stunde wie sonst.

Was mussten Sie dafür tun? 

Wir wurden immer zu dritt oder zu viert für die verschiedenen Arbeiten eingeteilt. Wenn ich mit der Essensausgabe dran war, fuhr ich mit einer Art Speisewagen durch die Gänge und rief „Suppe!“ oder „Gemüse!“. Dann machten die Gefangenen diese Klappen in den Zellentüren auf. Da stellte man den Teller drauf, jeder bekam ein Stück Brot. Später mussten wir die Teller wieder abholen und das Geschirr abwaschen. 

Vom Millionär zum Tellerwäscher?

Anspruchsvoll war das natürlich nicht, aber ich war durch die Arbeit trotzdem in einer besseren Position. Beim Küchendienst kann man sich zum Beispiel sein eigenes Essen vor dem Verteilen raussuchen. Dann haben wir uns als Gruppe an den Tisch in der Küche gesetzt und erst einmal vernünftig gegessen. Und am Nachmittag haben wir zusammen Kaffee getrunken, und ein Wärter kam dann oft noch dazu. Wer gearbeitet hat, durfte auch jeden Tag duschen. Sonst war das nur zweimal pro Woche erlaubt.

Nach Ihrer Verurteilung im November 2002 wurden Sie in die Justizvollzugsanstalt Straubing gebracht. Hatten Sie dort auch Arbeit? 

Ja, zum Glück. Wenn man in Straubing nicht arbeitet, dann ist man tot. 

Warum?

Wenn man den ganzen Tag zu tun hat, ist man abgelenkt. Und die Arbeit war interessant. 

Was haben Sie dort gemacht? 

Die MTU – die stellen Teile für den Airbus her – hat auf dem Gelände ein eigenes Gebäude mit 20 Computerarbeitsplätzen. Ich habe am PC Elemente von Schaufeln für Turbinen und für Ölpumpen gezeichnet. 

Wer waren Ihre Kollegen? 

Die Leute dort saßen fast alle wegen Mordes oder Totschlags. Die meisten haben da schon zehn Jahre gearbeitet. Dazu kamen ein paar normale MTU-Angestellte, die uns schon mal eine Weißwurst oder Brezn spendiert haben. Es war nicht die typische Gefängnisarbeit.

Früher lebten Sie auf 300 Quadratmeter Wohnfläche, in Straubing saßen Sie in einer Acht-Quadratmeter-Zelle. Wie war das?

Da ich die meiste Zeit arbeiten war, ging es. Ich habe mich beim Volleyballtraining angemeldet, Spanisch gelernt, einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht und bin zum Sonntagsgottesdienst gegangen – alles, damit ich nicht so oft in der Zelle bleiben musste. Wirklich schlimm war es nur an Feiertagen, wenn die Zelle um drei Uhr nachmittags zugeschlossen wurde. Dann saß ich da. 

Wie haben Sie Ihre Zelle eingerichtet? 

Viele Möglichkeiten gibt es nicht. Ich hatte eine Einzelzelle mit einer offenen Toilette, einem Bett, einem Stuhl und einem Tisch. Leute, die schon länger da waren, hatten eine richtige Ausrüstung an Geschirr und Tischdecken. Bei mir standen nur ein paar Bilder von der Familie auf dem Tisch. 

Das Highlight waren Besuche von der Familie?

Ja, aber in Straubing waren die Besuchsvorschriften unangenehm. Die Gefangenen mussten sich vor Besuchen nackt ausziehen. Dann schaute der Wärter, ob man keine geheimen Zettel oder verbotenen Sachen dabei hatte, dann konnte man sich wieder anziehen und zu seinem Besucher gehen. Das war demütigend, aber so waren halt die Regeln. 

Gab es einen Punkt, wo Sie dachten, ich kann nicht mehr?

Den gibt es immer mal, vor allem in der U-Haft. Aber wenn es dann zu keiner Kurzschlussreaktion kommt, übersteht man das. Wenn sich jemand was antut in Haft, geschieht das meistens aus der Aufregung heraus. 

Haben Sie selbst an Selbstmord gedacht?

Man hat darüber nachgedacht. Aber ich bin Techniker und versuche alles möglichst rational zu sehen, selbst wenn ich aufgebracht bin. Auf den Tisch zu hauen und zu sagen, jetzt langt’s, jetzt ist genug – das ist halt doch etwas anderes, als es dann wirklich durchzuführen.

Das heißt, die Haft hat Sie ruhiger gemacht?

Nachdenklicher.

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