Chemie Womit Bayer, BASF und Co. heute ihr Geld verdienen

Die BASF kauft die Schweizer Ciba. Deutsche Chemiekonzerne stehen international gut da – sie verdienen immer mehr Geld auf fremdem Terrain.

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BASF-Chef Hambrecht (links) und Ciba-Verwaltungschef Meyer. Einige interssante Produkte - aber hoher Restrukturierungsbedarf Quelle: DPA

Wirklich bange sah BASF-Chef Jürgen Hambrecht nicht aus, als er Anfang vergangener Woche im holzgetäfelten Widder Saal des gleichnamigen Züricher Hotels die Übernahme des Schweizer Konkurrenten Ciba – für 3,8 Milliarden Euro – ankündigte. Und das, obwohl am gleichen Tag die Kurse an den Börsen weltweit nach unten rauschten, die Finanzkrise sich dramatisch zuspitzte und die traditionsreiche Investmentbank Lehman Brothers von der Bildfläche verschwand.

Der grundsolide Schwabe gehört als Chef des weltgrößten Chemiekonzerns zu einer kleinen Gruppe von Top-Managern in Deutschland, der es auf bemerkenswerte Weise gelingt, weltweiten Konjunktur- und Finanzkrisen zu widerstehen. Ob BASF, Bayer, Wacker oder Lanxess – trotz aller wirtschaftlichen Wirren peilen Deutschlands Vorzeige-Chemiefirmen auch 2008 höhere Umsätze und Gewinne an.

Zwar warnte der Verband der Chemischen Industrie Mitte vergangener Woche davor, dass sich das Wachstum abflauen werde. Doch der Jahresumsatz der gesamten Branche werde immer noch um 4,5 Prozent zulegen. „Ich bin für die absehbare Zukunft ungeachtet des schwerer werdenden Marktumfeldes sehr zuversichtlich“, sagt Hambrechts Branchenkollege Axel Heitmann, der den Chemiekonzern Lanxess führt. Gerade im aktuellen dritten Quartal, so Heitmann, entwickelten sich die Geschäfte „gut“.

Erfolgreich dank Spezialisierung auf Chemie-Nischen

Es klingt paradox, aber Deutschlands Chemieunternehmen sind vor allem deswegen so erfolgreich – und damit krisenresistenter – weil sie immer weniger auf klassische Chemie setzen. Sie produzieren längst mehr als Standard-Kunststoffe und Kunststoffvorprodukte mit Jahreskapazitäten von Hunderttausenden Tonnen. Stattdessen haben sie ihr Geschäft systematisch auf Sparten ausgeweitet, die mit der Produktion chemischer Grundstoffe wie Ethylen oder Propylen kaum noch etwas gemein haben: Flüssigkristalle, Medikamente oder Silizium sind die Renner im Produktprogramm. Sie spezialisieren sich zudem auf erfolgreiche Nischenprodukte wie Lackbeschichtungen oder Aromen.

„Damit wappnen sich die Deutschen gut gegen Konjunkturschwankungen und gegen die neue Konkurrenz aus Asien und dem arabischen Raum“, lobt Hans Rudolf Dicke, Chemie-Experte und Partner bei der Unternehmensberatung Contrium Consulting: „Mit billigen Massenchemikalien haben heimische Unternehmen gegen Wettbewerber aus dem Nahen und Fernen Osten keine Chance.“ Aber dort, wo Innovation und Service gefragt seien, nämlich in lukrativen Anwendungsgebieten und bei Spezialchemikalien, „sind sie gut positioniert“, sagt Dicke. Eben deswegen – um sich in der Spezialchemie zu stärken – will die BASF Ciba übernehmen. Die Schweizer haben einige pfiffige Produkte zu bieten – Lichtschutzmittel für Kunststoffe etwa.

Die Ludwigshafener sind vorn dabei, wenn es darum geht, sich abseits der klassischen Chemie zu entwickeln. So tummeln sie sich etwa auf einem Feld, wo die wenigsten Chemiekonzerne vertreten sind – bei der Erschließung von Öl- und Gasquellen.

Die BASF-Tochter Wintershall ist stark auf dem russischen Markt engagiert und arbeitet eng mit dem staatlichen Energiekonzern Gazprom zusammen. Die Suche nach Öl und Gas lohnt sich: Mit den Explorationen erwirtschaftet BASF einen Gewinn von drei Milliarden Euro – fast die Hälfte des Konzerngewinns.

Bei Bayer sind es vor allem die Sparten Pharma und Pflanzenschutz, die das Geschäft treiben. Immerhin produziert Bayer bereits seit dem 19. Jahrhundert sowohl Chemikalien als auch Medikamente – doch mittlerweile haben die beiden Branchen nur noch wenig miteinander zu tun.

Viele Chemieunternehmen haben sich denn auch längst von ihrem Medikamentengeschäft getrennt. Bayer blieb dabei – und profitiert nun von steigenden Erträgen. Andere große deutsche Chemieunternehmen stürzen sich auf eher abseits gelegene Geschäftsfelder. Das traditionsreiche Darmstädter Familienunternehmen Merck erwirtschaftet die Hälfte des Gewinns in Höhe von fast einer Milliarde Euro mit Flüssigkristallen, die zur Produktion von LCD-Bildschirmen verwendet werden. Seit Flachbildschirme herkömmliche Röhrenfernseher und Monitore abgelöst haben, boomt das Geschäft mit der LCD-Technik, in dem die Darmstädter seit Jahrzehnten technologisch führend sind. Zuverlässige Gewinne wirft bei Merck auch die hauseigene Medikamenten-Sparte ab – zu den gefragtesten Präparaten zählt etwa das Krebsmittel Erbitux.

Nicht viel mit der klassischen Chemie zu tun hat auch die Herstellung hochreinen Siliziums, mit der das Münchner Familienunternehmen Wacker Chemie große Erfolge hat. Silizium findet in der Chip- und Solarbranche reißenden Absatz.

Der Spezialchemiekonzern Altana schließlich produziert Kunststoffe für Elektronikteile sowie sogenannte Effektpigmente, die Lacke oder Lidschatten zum Glänzen bringen. „Eine kluge Nischenstrategie“, lobt Berater Dicke.

Die verfolgt auch Cognis, die ehemalige Chemiesparte des Waschmittel- und Klebstoffproduzenten Henkel. Das Unternehmen aus Monheim bei Düsseldorf beliefert Lebensmittel- und Kosmetikhersteller mit Substanzen auf der Basis nachwachsender Rohstoffe wie Palm- oder Sojaöl. Daraus entstehen dann Öle für Haut und Haar oder Joghurts, die für einen schöneren Teint sorgen sollen.

Selbst Lanxess, das vor Jahren vom früheren Mutterkonzern Bayer die Chemie-Restposten aufgebürdet bekam, hat sich positiv entwickelt. Vorstandschef Axel Heitmann warf Billigkunststoffe aus dem Sortiment und setzt stattdessen auf Spezialkautschuksorten, die etwa die Laufleistung von Autoreifen verbessern.

Ganz ohne Risiko ist die Konzentration auf fremde Felder, Nischenmärkte und Spezialchemie allerdings nicht. Produktgruppen wie Vitamine oder Styrolkunststoffe, in den Neunzigerjahren noch als Spezialität mit entsprechend hohen Margen geschätzt, gelten heute als Standardprodukte. Häufig unterschätzen Unternehmen auch die hohen Investitionen, die nötig sind, um Spezialchemikalien am Markt zu etablieren.

Im Übereifer haben sich bereits etliche Unternehmen an teuren Zukäufen verhoben. So hatte etwa die frühere Degussa, die inzwischen zum Ruhrgebietskonzern Evonik gehört, die Marktchancen in der sogenannten Feinchemie – das sind Vorprodukte für Medikamente und Pflanzenschutzmittel – vor Jahren dramatisch überschätzt. Die Fehlinvestitionen mussten mit Wertberichtigungen in Höhe von 830 Millionen Euro korrigiert werden.

Erst vor wenigen Wochen schockte dann die Ciba die Märkte mit der Ankündigung, etwa 370 Millionen Euro in der Papierchemie abschreiben zu müssen.

Cibas Chemikalien, die das Papier bleichen und färben, reißfester und besser bedruckbar machen sollten, hatten nicht die erhofften Margen gebracht. In der Branche herrschen seit Jahren Überkapazitäten: Große Abnehmer wie der schwedisch-finnische Papierhersteller Stora Enso oder die finnische UPM-Kymmene können seitdem die Preise drücken.

„Dabei galt Ciba lange als Erfolgsmodell in der Spezialitätenchemie“, sagt Berater Dicke, „ich hätte nie gedacht, dass es mit dem Unternehmen einmal soweit kommen könnte.“

BASF-Chef Hambrecht hat bei der Restrukturierung von Ciba noch einige Arbeit vor sich. Gemeinsam mit den Schweizern will er etwa seine Marktmacht ausbauen, um den mächtigen Papierherstellern Paroli zu bieten. Was am Ende dabei herauskommen soll, hat Hambrecht bereits klargemacht: Er will die BASF, derzeit die Nummer vier in der Sparte Papierchemie, zur weltweiten Nummer eins machen.

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