China Olympia: Milliarden schauen auf die Randsportarten

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Stabhochsprung (hier: Yelena Quelle: dpa

Was „bringt“ es dem Zuschauer, wenn er die Schönheit des Synchronspringens entdeckt, mit dem Einer-Canadier fiebert oder die erste Goldmedaille beim Schießen auf die Laufende Scheibe im Medaillenspiegel registriert? Nichts – außer der Freude am Zuschauen und ein bisschen Nationalstolz. Der Sport mag allen möglichen Zwecken dienen, der persönlichen und nationalen Selbstdarstellung oder dem Kommerz. Im Kern ist er Selbstzweck, eine „komplette Parallelwelt“, wie der Medienwissenschaftler und bekennende Sportfan Norbert Bolz sagt. Ein geschlossenes Geschehen, herausgehoben aus unserem Alltag, künstlich eingefasst von einer Arena – ein Spiel nach Regeln und Ritualen, die nur hier und nirgendwo sonst gelten und damit erst die Voraussetzung dafür schaffen, dass wir das Spektakel des Sports genießen können und von ihm mitgerissen sind.

„Agon“, Wettkampf, nannten die Griechen die Konkurrenz der Athleten im Stadion, die stets mit Sieg oder Niederlage endete. » Der Kampf Mann gegen Mann verlieh Olympia seine Dramatik, weckte kollektive Leidenschaften und brachte große Ehre: „Schöner noch, als allmächtig oder mehrfach Sieger in Olympia gewesen zu sein“, hieß eine Redensart der Griechen. Ohne „Agon“ kein Pathos – aber auch keine Schönheit des Sports. Das gilt bis heute. Der Stabhochspringer, der sich mit halsbrecherischer Artistik in die Höhe katapultiert und über die Latte wälzt; der Fechter, der nach der Parade scheinbar mühelos aus der Hocke zum Gegenangriff übergeht, der Tischtennisspieler, der seinen Gegner mit einem Stoppball auskontert – sie alle mögen ihre Gewandtheit oder ihren Spielwitz genießen, aber sie wollen nicht Schönheit demonstrieren, sondern im Wettbewerb bestehen.

Auch ein Ringkampf kann eine elegante Note bekommen

Anders gesagt: Der Sport tut nicht schön, er ist schön. Auch ein Ringkampf kann durch einen geschickten Ausheber eine elegante Note bekommen. Muhammad Ali, der damals noch Cassius Clay hieß, demonstrierte schon als 18-jähriger Olympiadebütant bei den Spielen von Rom eindrucksvoll, wie Kraft und Siegeswillen sich in Schönheit verwandeln. Von Sonderfällen wie der rhythmischen Sportgymnastik oder dem Synchronschwimmen abgesehen, ergibt sich die Schönheit des Sports fast immer aus dem Drama der Rivalität. Es zwingt die Athleten zur Überbietung des Gegners, zur Höchstleistung, zum olympischen Rekord.

„Stets der Beste zu sein und die anderen zu übertreffen“, so steht es in Homers „Ilias“. Olympia ist von Beginn an im Zeichen der Extreme. Sein Bestes soll der Athlet geben, an die Grenze des Könnens soll er gehen und dorthin vorstoßen, wo Gelingen und Scheitern nah beieinander sind. Der Gewinn ist dem Athleten nie sicher, aber – darauf kommt es an –, er handelt, als sei er ihm sicher.

Das hat etwas Großartiges, weil es uns an die schönsten Möglichkeiten des Menschen erinnert, an seine Selbstvervollkommnung im Spiel. Olympia appelliert an unseren Narzissmus – erst recht, seit die Fernseh-kameras den Sportlerkörper von allen Seiten, in Zeitlupe und Nahaufnahme, in seiner ganzen athletischen Idealität wiedergeben. „Die Bildmedien tasten die Körperoberfläche ab und heben das Profil der Muskeln hervor“, sagt der Sportwissenschaftler Gunter Gebauer, „mehr als jedes andere Medium bringt das Fernsehbild die statuarische Qualität der Athleten zur Geltung.“

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