Commerzbank Wenn sich Retten rechnet

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15. Juni 2010 – Der Plan

Die Heidelberger Druckmaschinen AG ist eine Perle der deutschen Industrie, traditionsreich, weltweit im Geschäft. Zuletzt sind die Heidelberger allerdings weniger durch ihre Produkte aufgefallen als durch ihre Probleme: Stellenabbau, Schulden, Staatshilfen. Nun aber vermeldet das Unternehmen, man werde durch die Ausgabe von Aktien gut 400 Millionen Euro am Markt aufnehmen. Ein Kraftakt.

Dass er gelingt, ist auch das Verdienst von Ute Gerbaulet. Die schmale Frau mit der runden, braunen Brille, 42 Jahre alt und seit 17 Jahren im Geschäft, hat mit ihrem Kollegen Josef Ritter von der Deutschen Bank die Kapitalerhöhung organisiert. In jener Zeit reift in ihr eine Idee: Warum Ähnliches nicht in ganz großem Stil machen? Im eigenen Haus?

In Gesprächen zwischen Gerbaulet und Ritter wird der Grundstein für das gelegt, was die Commerzbank später "Projekt Clarissa" taufen wird (alle Großprojekte der Bank erhalten intern einen Namen, der mit "C" beginnt). Ein Befreiungsschlag soll es sein, eine gewaltige Kapitalerhöhung, gefolgt von einer ebenso gewaltigen Überweisung an den Staat.

Üblicherweise bedeutet das eine monatelange Hängepartie. Die Fristen für eine Kapitalerhöhung sind lang, eine Hauptversammlung der Anteilseigner muss zustimmen. Die Commerzbank kann sich keinerlei Unsicherheit leisten. Die Idee von Gerbaulet und Ritter: Die Bank verkauft über spezielle Anleihen neue Aktien schon vor der Hauptversammlung – und lässt sich das gesamte Kapital vorab von Banken garantieren. Die Beschreibung der Transaktion für die Investoren wird einmal 860 Seiten füllen.

Die Commerzbank arbeitet sich derweil langsam aus der Krise. Ihre Zahlen werden besser, die Integration der Dresdner Bank kommt voran. Der Fokus auf die Heimat hilft, denn die deutsche Konjunktur nimmt Fahrt auf. Blessings Bank ist im Kern profitabel, anders als die Skandalbanken WestLB oder Hypo Real Estate, die der Bund ebenfalls stützt – für den Erfolg der Rettung eine wichtige Voraussetzung.

25. August 2010 – Das Gesetz

Am frühen Morgen stellt das Finanzministerium ein 137 Seiten umfassendes Dokument auf seine Internetseite: das Restrukturierungsgesetz für Banken. Es landet auch auf dem Schreibtisch von Günter Hugger, 52 Jahre alt und zeit seines Berufslebens bei der Commerzbank. Mit seinen Leuten analysiert der Chefjustiziar den Entwurf.

Die Commerzbank gerät in jenen Wochen wieder in die Schlagzeilen. Viele Parlamentarier ärgert, dass das Institut einigen Führungskräften mehr bezahlt als die 500.000 Euro, die ein Vorstand erhalten darf. Also führen sie in dem Gesetz Obergrenzen für alle Mitarbeiter ein. Wichtiger ist aber etwas anderes, etwas, das kaum diskutiert wird: Das Gesetz erleichtert Kapitalerhöhungen. Die Einladefrist für Hauptversammlungen wird verkürzt, Einsprüche verlieren ihre aufschiebende Wirkung, die Kapitalmenge, die aufgenommen werden kann, lässt sich leichter in die Höhe schrauben.

In der Öffentlichkeit mögen Banker und Politiker zanken, hinter den Kulissen arbeitet man zusammen. Die Bank braucht den Bund, doch der Bund braucht auch die Bank. Nur wenn Blessing Gewinne erwirtschaftet, sieht die Regierung ihr Geld wieder. Deshalb stehen die Mitarbeiter des Bankenrettungsfonds zwar ständig mit dem Institut in Kontakt und verschaffen sich einen Überblick über Zukunftspläne und Geschäftsrisiken. Ansonsten aber halten sie sich zurück. Der Staat ist nicht der bessere Banker, so die Philosophie des Hauses. Selbst entwickelte Ausstiegspläne werden nach längeren Diskussionen zugunsten des Konzepts der Commerzbank verworfen.

Gemeinsam arbeiten die Experten in der Bank die Details weiter aus, der Kreis der Mitwisser im Haus wächst auf rund 20 Personen. Die Option, noch 2010 eine kleinere Kapitalerhöhung von vier Milliarden Euro zu starten, wird verworfen, alle wollen den großen Wurf 2011. Zusätzliche 3,27 Milliarden Euro sollen freigesetzt werden, indem die Bank ihr Kapitalpolster reduziert.

Am Ende steht eine Vorlage für den Vorstand, der am 30. November zusammenkommt: zwei Seiten plus 30 Seiten Schaubilder und Erläuterungen. Es ist die Skizze für "Clarissa". »Wir bitten um Zustimmung zu den vorbereitenden Maßnahmen«, heißt es im Antrag. Das Protokoll verzeichnet: "Gemäß Vorlage beschlossen". Noch im Herbst 2010 reist Blessing nach Berlin, um Finanzminister Wolfgang Schäuble einzuweihen.

27. Januar 2011 – Das Duell

Man sieht Raum 5149 im fünften Stock des Bundesfinanzministeriums den Sparkurs im öffentlichen Dienst an. Ein lackierter rechteckiger Holztisch, kahle Wände, Stühle mit dunkelblauen Polstern, die an der Sitzfläche ausfasern. Um 15.30 Uhr trifft hier eine Delegation der Commerzbank um Michael Bonacker auf eine Abordnung des Finanzministeriums unter der Leitung von Rolf Wenzel. Der arbeitet seit mehr als 20 Jahren fürs Ministerium. Er ist zuständig für Banken, Börsen, Versicherungen. Die Commerzbank füllt in seinem Büro einige Aktenordner.

Wenn die Bank die stille Einlage innerhalb der ersten fünf Jahren zurückzahlen will, muss der Bund zustimmen. Will Bonacker seinen Auftrag erfüllen, muss er also Wenzel überzeugen. Die Beamten blicken auf die Hochhäuser des Potsdamer Platzes, die Banker auf eine weiße Wand. Bonacker hat eine 42-seitige Präsentation dabei, skizziert mit ruhiger Stimme die Vorteile. Wenzel und sein Team hören aufmerksam zu, dann stellen sie etwas klar: Einer Rückzahlung werde man nur zustimmen, wenn auch für den Bund etwas herausspringe.

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