Commerzbank Wenn sich Retten rechnet

Die Commerzbank gibt dem Steuerzahler 11,5 Milliarden Euro zurück. Insider erzählen die Geschichte eines Befreiungsschlages.

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Am 9. Juni dieses Jahres, einem Donnerstag, gehen auf dem Konto 1142 bei der Deutschen Bundesbank 3.451.026,82 Euro ein. Kontoinhaber ist die Bundesrepublik Deutschland, Auftraggeber die Commerzbank AG. Es ist die kleinste und letzte von fünf Überweisungen. Insgesamt hat die Bank damit 11.519.999.999,60 Euro an den Staat transferiert. Am Nachmittag ruft Commerzbankchef Martin Blessing bei Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen in Berlin an und unterrichtet ihn: Das Geld ist da.

Damit findet einer der spektakulärsten Deals in der deutschen Wirtschaftsgeschichte sein vorläufiges Ende. Keine Bank erhielt in der Finanzkrise mehr Kapital vom Staat als die Commerzbank. Keine Bank hat sich aber auch bisher zu einem vergleichbaren Befreiungsschlag aufschwingen können.

Mit rund 30 Milliarden Euro hat der Bund die Banken gestützt. Die Summe ist fast drei Mal so hoch wie der Etat des Bildungsministeriums. Die Rettungsaktionen rührten am moralischen Fundament der sozialen Marktwirtschaft. Zu den Kleinen komme der Pleitegeier, zu den Großen der Bundesadler, sagte der damalige Oppositionsführer Guido Westerwelle. Die Milliarden schienen verloren. Im Fall der Commerzbank fließen sie zurück.

Die Geschichte dieses Befreiungsschlags ist die Geschichte einer Bank, die ein Zweckbündnis eingehen musste, das ihrem Selbstverständnis zutiefst widerstrebt. Staatsvertreter im Aufsichtsrat, Grenzen für die Gehälter, Parlamentarier, die dem Konzern die Strategie vorschreiben wollen – für die Banker ist das schwer zu ertragen, das Ziel klar: Der Staat muss raus.

Es ist die Geschichte einer kleinen Gruppe von Personen, die die Trennung unter höchster Geheimhaltung einleitet. Die ZEIT hat mit allen wichtigen Beteiligten auf beiden Seiten gesprochen. Unabhängig ist keiner von ihnen, doch aus der Summe der Schilderungen lässt sich das Geschehen rekonstruieren. Fakten und persönliche Eindrücke fügen sich zu einer Chronik, die einen seltenen Blick hinter die Kulissen der Bankenwelt erlaubt.

31. Oktober 2008 – Die Krise

Für 14.30 Uhr hat der Vorstand der Commerzbank an diesem Freitag eine Sondersitzung im Frankfurter Hauptquartier anberaumt. Die Lage ist ernst. Vor wenigen Wochen ist die Investmentbank Lehman Brothers in New York pleitegegangen, die Weltfinanzmärkte sind in Panik. Die Bundesregierung hat im Eilverfahren einen Rettungsfonds für strauchelnde Institute eingerichtet. Und die Commerzbank hat erst kürzlich die Dresdner Bank übernommen – mitsamt Milliarden an problematischen Wertpapieren.

Die Vorstände tagen drei Stunden, dann ist klar: Die Commerzbank bittet um Hilfe. Blessing ruft bei Günther Merl an, dem Chef des Rettungsfonds. Noch am selben Abend passiert eine Abordnung, bestehend aus Blessing, Finanzchef Eric Strutz, Chefjustiziar Günter Hugger und Jochen Klösges, damals Leiter der Konzernentwicklung, die Sicherheitsschleuse der Bundesbank. Das ganze Wochenende über wird verhandelt, dann steht fest: Die Commerzbank erhält 8,2 Milliarden Euro in Form einer Beteiligung ohne Kontrollrechte, auch stille Einlage genannt. Wochen später muss ein zweites Rettungspaket her. Dieses Mal sichert sich Berlin als Gegenleistung unter anderem 295 Millionen Aktien. Der Staat hält nun 25 Prozent plus eine Aktie – und ist damit der größte Anteilseigner der Bank. Insgesamt hat er ihr 18,2 Milliarden Euro gegeben.

Am 2. März 2009 zeigt sich Martin Blessing mit dem damaligen Finanzminister Peer Steinbrück bei Beckmann. Blessing, 45 Jahre alt und Spross einer Bankerdynastie, räumt Fehler ein. »Der Minister und sein Musterschüler«, schreibt die Süddeutsche Zeitung am nächsten Tag. Die Commerzbanker müssen sich als Staatsbanker beschimpfen lassen, das Gehalt jedes Vorstandsmitglieds wird bei 500.000 Euro gedeckelt.

Zu diesem Zeitpunkt deutet alles auf ein schlechtes Geschäft hin – für beide Seiten. Die deutsche Wirtschaft bricht ein. Der Bank drohen viele Kredite für Firmen und Privatkunden auszufallen. Und das ist ihr Hauptgeschäft. Es erscheint fast unmöglich, dass die Commerzbank das Geld je zurückzahlen kann.

1. September 2009 – Der Macher

An seinem ersten Arbeitstag als neuer Strategiechef der Commerzbank hat Michael Bonacker einen Termin ganz oben. Bonacker, 42, tadelloser Auftritt, selbstbewusst, in seinen Sätzen knapp und auf den Punkt, fährt mit dem Aufzug in den 48. Stock, die obere der zwei Vorstandsetagen. Er geht vorbei am Empfang und dem Panoramafenster, von dem aus Römer und Paulskirche, Straßen und Menschen wie Miniaturen aussehen. Am Ende des Vorraums das Büro des Chefs. Martin Blessing hält für Bonacker ein Blatt Papier bereit, DIN A4, darauf – handschriftlich verfasst – eine Liste mit Bonackers wichtigsten Aufgaben. An erster Stelle: die Rückzahlung der Staatshilfen.

Bonacker hat in St. Gallen studiert, als Berater bei McKinsey begonnen, für die Deutsche Bank und Lehman Brothers gearbeitet. Er ist Investmentbanker durch und durch. Er lebe und sterbe mit seinen Deals, heißt es über ihn. Er weiß: Die benötigte Summe ist gewaltig, die Interessenlage kompliziert. Der Bund will Geld zurück, die Finanzaufsicht will, dass viel Geld in der Bank bleibt, damit diese gegen Verluste gewappnet ist, und die EU toleriert keine Vorzugsbehandlung.

Bonacker macht sich an die Arbeit, um das Unmögliche möglich zu machen. Anfangs sind nur zwei Handvoll Personen eingeweiht. Monate später wird sich jeden Dienstag um 8.30 Uhr ein kleiner Kreis zum Jour fixe treffen: Blessing, Strutz, Bonacker, Hugger, Kommunikationschef Richard Lips und Ute Gerbaulet, die das Geschäft mit Aktienplatzierungen verantwortet. Jeder hat seine Rolle.

24. Februar 2010 – Der Markt

Eric Strutz, 45, ist in London zum Essen verabredet. Durch eine gläserne Tür betritt er Thirty Gresham Street, ein mehrstöckiges Bürogebäude mit einer geschwungenen Fassade aus Betonsäulen und Fensterfronten. In diesem Haus, zwischen Börse und Bank of England gelegen, befindet sich die Niederlassung der Commerzbank.

Die Bank hat ein Essen mit Investoren anberaumt, so etwas gibt es häufiger, der Finanzchef muss wissen, was Geldgeber wünschen, was sie fürchten. Im Fall der Commerzbank ist das besonders wichtig, denn Investoren werden das Kapital bereitstellen müssen, das für die Rückzahlung der Staatshilfen nötig ist. Doch Strutz erlebt eine Überraschung: Zum Essen mit ihm erscheint ein Investor. Ein einziger. An eine Kapitalaufnahme ist nicht zu denken.

Genau einen Monat später fliegt Strutz wieder nach London. Diesmal ist sein Ziel das Hilton on Park Lane im feinen Stadtteil Mayfair, wo die Investmentbank Morgan Stanley eine große Finanzkonferenz abhält, ein Stelldichein der Szene. Für manche ist es das Hotel mit den schlechtesten, weil langsamsten Fahrstühlen von ganz London. Und so steht Strutz ein Weilchen in einem Pulk vorm Aufzug und wartet. Er hört, wie über Banken gesprochen wird. "There could be an upside to it", sagt einer – da könnten Profite winken.

Unter den Männern, die sich unterhalten, erkennt Strutz fünf Vertreter der "Top 50" – jener 50 Investoren, großteils Hedgefonds, denen nachgesagt wird, schlauer zu sein als der Rest. Sie reden darüber, dass wegen der besseren Konjunktur weniger Kreditausfälle drohen. Das hilft den Banken. Strutz hat eine Präsentation im Gepäck: 2010 – the turnaround year, 2010, das Jahr der Wende. Er will werben für die Commerzbank, ihr "trotz Krise profitables" Privat- und Firmenkundengeschäft, die Kosteneinsparungen. Dieses Mal ist sein Terminplan überbucht, bei einem Meeting reichen die Stühle nicht.

Strutz spürt: Der Wind dreht sich. Wieder und wieder erklärt er in den Monaten darauf den Investoren die Bank, hört ihnen zu. Wer Kapital braucht, muss den Markt bearbeiten. Ihn überzeugen. Doch es bleibt ein Rest Irrationalität. Auf den Finanzmärkten, erzählt Strutz gern, gehe es zu wie beim Eisverkauf: Mal sei Zitrone angesagt, mal Vanille.

15. Juni 2010 – Der Plan

Die Heidelberger Druckmaschinen AG ist eine Perle der deutschen Industrie, traditionsreich, weltweit im Geschäft. Zuletzt sind die Heidelberger allerdings weniger durch ihre Produkte aufgefallen als durch ihre Probleme: Stellenabbau, Schulden, Staatshilfen. Nun aber vermeldet das Unternehmen, man werde durch die Ausgabe von Aktien gut 400 Millionen Euro am Markt aufnehmen. Ein Kraftakt.

Dass er gelingt, ist auch das Verdienst von Ute Gerbaulet. Die schmale Frau mit der runden, braunen Brille, 42 Jahre alt und seit 17 Jahren im Geschäft, hat mit ihrem Kollegen Josef Ritter von der Deutschen Bank die Kapitalerhöhung organisiert. In jener Zeit reift in ihr eine Idee: Warum Ähnliches nicht in ganz großem Stil machen? Im eigenen Haus?

In Gesprächen zwischen Gerbaulet und Ritter wird der Grundstein für das gelegt, was die Commerzbank später "Projekt Clarissa" taufen wird (alle Großprojekte der Bank erhalten intern einen Namen, der mit "C" beginnt). Ein Befreiungsschlag soll es sein, eine gewaltige Kapitalerhöhung, gefolgt von einer ebenso gewaltigen Überweisung an den Staat.

Üblicherweise bedeutet das eine monatelange Hängepartie. Die Fristen für eine Kapitalerhöhung sind lang, eine Hauptversammlung der Anteilseigner muss zustimmen. Die Commerzbank kann sich keinerlei Unsicherheit leisten. Die Idee von Gerbaulet und Ritter: Die Bank verkauft über spezielle Anleihen neue Aktien schon vor der Hauptversammlung – und lässt sich das gesamte Kapital vorab von Banken garantieren. Die Beschreibung der Transaktion für die Investoren wird einmal 860 Seiten füllen.

Die Commerzbank arbeitet sich derweil langsam aus der Krise. Ihre Zahlen werden besser, die Integration der Dresdner Bank kommt voran. Der Fokus auf die Heimat hilft, denn die deutsche Konjunktur nimmt Fahrt auf. Blessings Bank ist im Kern profitabel, anders als die Skandalbanken WestLB oder Hypo Real Estate, die der Bund ebenfalls stützt – für den Erfolg der Rettung eine wichtige Voraussetzung.

25. August 2010 – Das Gesetz

Am frühen Morgen stellt das Finanzministerium ein 137 Seiten umfassendes Dokument auf seine Internetseite: das Restrukturierungsgesetz für Banken. Es landet auch auf dem Schreibtisch von Günter Hugger, 52 Jahre alt und zeit seines Berufslebens bei der Commerzbank. Mit seinen Leuten analysiert der Chefjustiziar den Entwurf.

Die Commerzbank gerät in jenen Wochen wieder in die Schlagzeilen. Viele Parlamentarier ärgert, dass das Institut einigen Führungskräften mehr bezahlt als die 500.000 Euro, die ein Vorstand erhalten darf. Also führen sie in dem Gesetz Obergrenzen für alle Mitarbeiter ein. Wichtiger ist aber etwas anderes, etwas, das kaum diskutiert wird: Das Gesetz erleichtert Kapitalerhöhungen. Die Einladefrist für Hauptversammlungen wird verkürzt, Einsprüche verlieren ihre aufschiebende Wirkung, die Kapitalmenge, die aufgenommen werden kann, lässt sich leichter in die Höhe schrauben.

In der Öffentlichkeit mögen Banker und Politiker zanken, hinter den Kulissen arbeitet man zusammen. Die Bank braucht den Bund, doch der Bund braucht auch die Bank. Nur wenn Blessing Gewinne erwirtschaftet, sieht die Regierung ihr Geld wieder. Deshalb stehen die Mitarbeiter des Bankenrettungsfonds zwar ständig mit dem Institut in Kontakt und verschaffen sich einen Überblick über Zukunftspläne und Geschäftsrisiken. Ansonsten aber halten sie sich zurück. Der Staat ist nicht der bessere Banker, so die Philosophie des Hauses. Selbst entwickelte Ausstiegspläne werden nach längeren Diskussionen zugunsten des Konzepts der Commerzbank verworfen.

Gemeinsam arbeiten die Experten in der Bank die Details weiter aus, der Kreis der Mitwisser im Haus wächst auf rund 20 Personen. Die Option, noch 2010 eine kleinere Kapitalerhöhung von vier Milliarden Euro zu starten, wird verworfen, alle wollen den großen Wurf 2011. Zusätzliche 3,27 Milliarden Euro sollen freigesetzt werden, indem die Bank ihr Kapitalpolster reduziert.

Am Ende steht eine Vorlage für den Vorstand, der am 30. November zusammenkommt: zwei Seiten plus 30 Seiten Schaubilder und Erläuterungen. Es ist die Skizze für "Clarissa". »Wir bitten um Zustimmung zu den vorbereitenden Maßnahmen«, heißt es im Antrag. Das Protokoll verzeichnet: "Gemäß Vorlage beschlossen". Noch im Herbst 2010 reist Blessing nach Berlin, um Finanzminister Wolfgang Schäuble einzuweihen.

27. Januar 2011 – Das Duell

Man sieht Raum 5149 im fünften Stock des Bundesfinanzministeriums den Sparkurs im öffentlichen Dienst an. Ein lackierter rechteckiger Holztisch, kahle Wände, Stühle mit dunkelblauen Polstern, die an der Sitzfläche ausfasern. Um 15.30 Uhr trifft hier eine Delegation der Commerzbank um Michael Bonacker auf eine Abordnung des Finanzministeriums unter der Leitung von Rolf Wenzel. Der arbeitet seit mehr als 20 Jahren fürs Ministerium. Er ist zuständig für Banken, Börsen, Versicherungen. Die Commerzbank füllt in seinem Büro einige Aktenordner.

Wenn die Bank die stille Einlage innerhalb der ersten fünf Jahren zurückzahlen will, muss der Bund zustimmen. Will Bonacker seinen Auftrag erfüllen, muss er also Wenzel überzeugen. Die Beamten blicken auf die Hochhäuser des Potsdamer Platzes, die Banker auf eine weiße Wand. Bonacker hat eine 42-seitige Präsentation dabei, skizziert mit ruhiger Stimme die Vorteile. Wenzel und sein Team hören aufmerksam zu, dann stellen sie etwas klar: Einer Rückzahlung werde man nur zustimmen, wenn auch für den Bund etwas herausspringe.

Es ist der Auftakt für komplizierte und, wie mancher sagt, »harzige« Verhandlungen. Für die Ministerialen ist es eine Gratwanderung: Die Commerzbank muss auf ihre Einlage Zinsen bezahlen, sofern sie Gewinne macht. Bei einer vorzeitigen Rückzahlung verzichtet der Bund also möglicherweise auf Zinsen. Einerseits. Andererseits hat die schwarz-gelbe Koalition vereinbart, dass sich der Staat so bald wie möglich aus dem Finanzsektor zurückziehen soll. Je länger die Regierung ihre Beteiligung hält, desto mehr Geld verdient sie – desto mehr verstößt sie aber auch gegen ihr eigenes Prinzip. Nach einigen Diskussionen steht die Verhandlungsposition: Zustimmung nur bei einer "angemessenen Gegenleistung". Am 31. Januar wird sie in eine Vorlage für Minister Schäuble gegossen.

Die Frage ist, was "angemessen" bedeutet. Beide Lager machen immer neue Rechnungen auf. Die Commerzbank bietet zunächst einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag, der Bund will eine Milliarde und mehr. Die Verhandlungen ziehen sich über Wochen hin, der gesamte Deal droht zu scheitern. Der Durchbruch gelingt erst im persönlichen Gespräch zwischen Staatssekretär Asmussen und Bankchef Blessing bei der Commerzbank in Berlin. Jetzt ist der Weg frei für Wenzel und Bonacker, sie klopfen die Details am 4. März telefonisch fest. Die Bank zahlt an den Bund 1,03 Milliarden Euro.

Die offizielle Rechtfertigung der Summe ist kompliziert, weil sie Finanzaufsicht und EU zufriedenstellen muss. Politisch ist eine andere Rechnung wichtiger. Die Bank hat in den ersten beiden Jahren der Staatsbeteiligung keine Zinsen bezahlt, weil sie Verluste einfuhr. Der Bund aber musste in dieser Zeit nach internen Zahlen 507 Millionen Euro an Finanzierungskosten für das Commerzbank-Geld bezahlen. Zudem würde er im Jahr 2011, in dem die Bank wohl Gewinne machen wird, 423 Millionen Euro als Vergütung auf den zurückzuzahlenden Betrag einstreichen. Die 1,03 Milliarden Euro decken das alles ab. Es ist für die Beamten ein Erfolg, für die Bank ist es gerade noch akzeptabel.

Am 1. März geht die Zusage der Aufsicht ein.

Am 31. März kommt eine Mail, dass Brüssel "keine Einwände" erhebe.

1. April 2011 – Der Startschuss

Um 18.25 Uhr, die Börsen haben schon zu, verlässt eine E-Mail Ute Gerbaulets Computer. Dann noch eine und noch eine, um 18.41 Uhr die letzte. Die Mails enthalten Einladungen an Banken, die der Commerzbank 8,25 Milliarden Euro garantieren sollen. Martin Blessing hat die Spitzen der Institute vorgewarnt, auch Josef Ackermann wurde angerufen. Viel Zeit zum Nachdenken bleibt nicht: Das Treffen beginnt am nächsten Tag um 10.30 Uhr.

Alles ist streng geheim. Die Commerzbank lässt die auswärtigen Banker mit eigens organisierten Wagen am Flughafen abholen und bringt sie in die Garage. Von dort gelangen sie durch eine unscheinbare Tür ins Foyer der Bankzentrale am Kaiserplatz, wo sie direkt den Fahrstuhl in den 49. Stock nehmen. Am Ende sind vielleicht 60 Banker versammelt. Sie lassen sich von Bonacker, Gerbaulet und Ritter den Deal erklären und von der Deutschen Bank und JP Morgan versichern, dass die Zahlen der Commerzbank, die wochenlang durchleuchtet wurden, keine Überraschungen bereithalten. Blessing und Strutz stellen sich den Fragen, dann eilen die Angereisten zurück in ihre Zentralen. Die Commerzbanker müssen warten.

Ute Gerbaulet fährt am Abend zu ihrer Familie nach Düsseldorf, zum ersten Mal seit langer Zeit. Strutz kauft Würstchen – und grillt mit Frau und Kindern zu Hause im Frankfurter Westend. Am Sonntag trudeln die Entscheidungen der Banken ein. Zusage folgt auf Zusage.

6. April 2011 – Der Befreiungsschlag

Um 5 Uhr morgens steht Finanzvorstand Strutz auf. Er putzt sich die Zähne und schaut parallel auf seinem iPad ins Internet, in Sorge, über Nacht könnte etwas geschehen sein, das die Bank in letzter Minute dazu zwingt, alles abzublasen. Nichts. Strutz macht sich auf den Weg ins Büro.

Es ist 6 Uhr, als man am Kaiserplatz einen Rundruf organisiert, mit den Banken, die den Deal weltweit koordinieren. Der letzte Akt beginnt.

Um 6.15 Uhr tagt der Vorstand. Es gilt ein letztes Mal über »Clarissa« abzustimmen, alle wissen: Danach gibt es kein Zurück mehr.

Um 6.30 Uhr stimmt der Präsidialausschuss des Aufsichtsrats zu. Kurz darauf gibt der Rettungsfonds den Weg frei.

Um 7.24 Uhr verschickt die Commerzbank eine Meldung – erst jetzt erfährt die Finanzwelt von der Transaktion. Wie, was und in welcher Höhe, all das war nicht nach draußen gedrungen.

Um 8 Uhr informiert Martin Blessing per Schaltkonferenz seine knapp 500 Führungskräfte.

Um 10.30 Uhr tritt Blessing vor die Presse.

Für Führungskräfte der Commerzbank gibt es heute keine Gehaltsgrenzen mehr, das Haus hat sein Ziel, den Bund loszuwerden, so gut wie erreicht.

Der Staat hat den größten Mittelstandsfinanzierer in der Krise stabilisiert. Er hält noch eine Einlage von 1,94 Milliarden Euro – die die Bank verzinsen und abstottern will – sowie Aktien, die er für 4,74 Milliarden Euro gekauft hat, zu einem durchschnittlichen Preis von 3,71 Euro je Stück. Wenn der Kurs höher steigt, ist auch er endgültig im Plus.

Am Dienstag lag das Papier bei 2,88 Euro.

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