Daimler Elektroautos: Mehr Volt im Tank

Daimler will deutlich früher mit Elektroautos und Hybriden auf den Markt kommen, um Strafzahlungen zu vermeiden. Auf der Autoshow in Detroit wird Daimler unter dem Projektnamen Blue-Zero in der kommenden Woche drei Elektroautos auf Basis der bisherigen A- und B-Klasse zeigen.

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Elektroauto Blue-Zero

Fast wäre sie leise entschlummert, die Plattform des W169, den meisten Autofahrern besser als Mercedes A-Klasse bekannt.

Zu teuer, zu kompliziert, zu unpraktisch – selbst im eigenen Haus hatte der einst als Revolution gepriesene Fahrzeugunterbau mit dem doppelten Boden immer mehr Kritiker auf den Plan gerufen.

Die A-Klasse hinkte dem Klassenprimus VW-Golf hinterher. Und das Brennstoffzellenauto, aus dessen Auspuff nur noch Wasserdampf strömt und für dessen Technik der Doppelboden gedacht war, gibt es bis heute nicht zu kaufen. Die hohen Kosten aber blieben, der kleine Benz schrieb chronisch rote Zahlen. Daher hatte der Daimler-Vorstand 2007 beschlossen, den Nachfolger auf eine neue, technologisch einfachere Plattform zu stellen.

Umso erstaunter dürften Besucher der nordamerikanischen Autoshow in Detroit in den kommenden Tagen sein, wenn dort die viel gescholtene Doppelbodenkonstruktion ihr Comeback erlebt.

Unter dem Projektnamen Blue-Zero wird Daimler drei Elektroautos auf Basis der bisherigen A- und B-Klasse zeigen. Dabei steckt die Batterie crashgeschützt und ohne den Innenraum zu verkleinern im doppelten Fahrzeugboden. Und bei Konzepten soll es nicht bleiben: Schon von 2012 an will Daimler mit einem Elektro-Smart und Mercedes-Elektroautos auf Kundenfang gehen.

Die Stuttgarter tüfteln derzeit mit Hochdruck an einer neuen Modell- und Konzernstrategie. Sie wollen den Ausstoß des klimaschädlichen Gases Kohlendioxid (CO2) durch die eigene Flotte drastisch reduzieren. 2012 soll die gesamte Daimler-Flotte im Durchschnitt nur noch 136 bis 138 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen. Damit lägen die Stuttgarter im Zielbereich der Vorgabe von durchschnittlich 130 Gramm, die die EU-Kommission von den Herstellern ab 2012 verlangt.

Für Premium-Hersteller wie Daimler oder BMW, die primär große und schwere Autos bauen, galt ein solcher Wert bisher als kaum erreichbar – jedenfalls nicht bis 2012. Daimlers Flottenausstoß lag 2007 noch bei rund 180 Gramm. Und noch vor weniger als zwei Jahren, so berichten Konzerninsider, hatten die Stuttgarter selbst für 2012 intern mit durchschnittlich 160 Gramm je Kilometer gerechnet. Jetzt soll der Wert bis 2020 sogar auf 105 Gramm fallen. Das entspräche einem Durchschnittsverbrauch von etwa 4,3 Litern Super.

Elektroautos bei Daimler: Kaufmännisches Kalkül statt grünes Gewissen

Dahinter steckt nicht primär das grüne Gewissen, sondern kaufmännisches Kalkül.

Der Konzern sorgt sich, dass ihm Strafzahlungen für Spritfresser die Bilanz verhageln könnten. Wer etwa in Großbritannien einen Mercedes S 500 kauft, zahlt bereits eine Strafsteuer von rund 31.000 Euro. In Frankreich sind es rund 17.000 Euro. Solche Zahlungen werden künftig auf vielen Märkten die Regel sein.

Das Management in Stuttgart will es offenbar nicht mehr darauf ankommen lassen, wie lange selbst gut verdienende Kunden das mitmachen. Das neue interne Motto für die Entwickler lautet deshalb: „No penalties – keine Strafzahlungen.“ Für Christoph Stürmer, Autoexperte beim Beratungsunternehmen IHS Global Insight, der richtige Weg: „Endlich fängt ein Hersteller an, mit vermiedenen Strafzahlungen zu kalkulieren, anstatt nur zu überlegen, ob der Kunde eventuell drei Euro mehr für eine neue Technik bezahlt.“

Einen maßgeblichen Anteil am CO2-Sparprogramm soll neben effizienteren Motoren die weitgehende Elektrifizierung des Antriebs leisten. Damit würde Daimler bei den Kunden vermutlich offene Türen einrennen: Weltweit könnte die Autoindustrie bereits heute rund 1,5 Millionen, europaweit immer noch 600.000 Elektroautos pro Jahr an Kunden in städtischen Gebieten verkaufen. Voraussetzung: Der Preis für ein elektrisches Stadtfahrzeug läge nach Abzug aller Subventionen, wie sie viele Länder bereits angekündigt haben, etwa auf dem Niveau eines heutigen Smart oder Mini.

Das zeigt eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung Bain & Company. Allein 250.000 Stück pro Jahr könnten die Konzerne in Deutschland absetzen – wenn sie die passenden Produkte hätten.

Due S-Klasse soll es 2012 nur noch als Hybrid geben

Noch liegen zwar elektrische Kleinwagen wegen der teuren Batterietechnik mehrere Tausend Euro über dem Einstiegspreis eines Mini (ab 16.150 Euro), doch "die Studie zeigt, dass die Autoindustrie das Interesse ihrer Kunden an batteriegetriebenen Stadtautos unterschätzt“, sagt Gregor Matthies, Autoexperte und Partner bei Bain.

Vor allem Käufer von Audi, BMW und Daimler, so die Studie, hätten lieber heute als morgen ein Elektroauto als Stadtvehikel in der Garage und wären vielfach bereit, dafür einen deutlichen Aufpreis zu bezahlen.

Das dürfte Daimler in der Strategie bestärken, jetzt den ganz großen Technologiesprung zu wagen, und zwar nicht nur bei den kleinen Autos: Die nächste Mercedes S-Klasse – Marktstart Ende 2012 – soll es, wie Konzerninsider berichten, nur noch mit Hybridantrieben geben, also mit einem kombinierten Elektro- und Verbrennungsmotor.

Der größte Benz soll damit gerade im Stadtverkehr besonders emissionsarm unterwegs sein. Derzeit schluckt beispielsweise ein mehr als 380 PS starker S 500 innerstädtisch mehr als 17 Liter Super-Plus.

Apple statt Porsche

Bei den Sparplänen helfen soll ein neues Hybridbaukasten, dessen Komponenten von der kleinen C-Klasse bis zur S-Klasse in fast alle Baureihen passen. Für Bain-Experte Matthies der richtige Weg: „Wenn Hersteller es nicht schaffen, diese sehr anspruchsvolle Technik zu vereinheitlichen und modular aufzubauen, laufen ihnen die Komplexität und die Kosten in der Entwicklung, im Einkauf und in der Produktion aus dem Ruder.“

Das erste Fahrzeug, das sich aus dem neuen Baukasten bedienen kann, wird in diesem Herbst der Mercedes S 400 sein. Die Mercedes E-Klasse, deren Nachfolgemodell in Detroit Weltpremiere feiert, wird es voraussichtlich von 2011 an mit dem neuen Hybridantrieb geben, mit dem das Auto dann auch rein elektrisch fahren kann.

Wie viel Geld Daimler für den Techniksprung ausgeben muss, will in Stuttgart noch niemand verraten. Aber sicher scheint: Es werden Milliarden sein.

Und wie ernst es die Stuttgarter meinen, zeigt die kürzlich geschlossene Kooperation mit dem Essener Chemie- und Technologiekonzern Evonik. Gemeinsam wollen die beiden Unternehmen eine Massenproduktion hochziehen für die besonders leistungsfähigen Lithium-Ionen Batterien für den automobilen Einsatz. Energiespeicher, die für den Einsatz im Auto geeignet, also hinreichend sicher und langlebig sind, gehen bisher richtig ins Geld: Ein mittelgroßer Batteriepack, wie er in der Elektro-A-Klasse zum Einsatz kommen könnte, kostet derzeit noch mehr als 10.000 Euro.

Diese – noch – hohen Kosten sind für deutsche Hersteller aus Sicht der Experten sogar ein Wettbewerbsvorteil: „Die Premium-Hersteller können die Kosten deutlich besser an ihre weit weniger preissensiblen Kunden weitergeben als Massenhersteller“, sagt Bain-Experte Matthies.

Jeder fünfte dieser Premium-2.0-Kunden würde allerdings ohne Weiteres auch ein Auto von Apple kaufen

Die Bain-Berater haben im Rahmen ihrer Studie sogar einen neuen Autokäufertyp ausgemacht, zu dem zumindest kurzfristig fast zwei Drittel der potenziellen Käufer von Elektroautos gehören dürften.

Bain nennt ihn den Premium-2.0-Kunden und beschreibt ihn ungefähr so: Er verdient mit 7100 Euro durchschnittlichem Netto-Haushaltseinkommen etwa zweieinhalbmal so viel wie der deutsche Durchschnittshaushalt. Er schätzt Markenprodukte und moderne Technik. Er ist aber auch bereit, für ein umweltfreundliches Produkt mehr Geld zu bezahlen, und er macht für seinen Erstwagen durchschnittlich mehr als 60.000 Euro locker. Ein Kunde also, wie ihn Audi, BMW und Daimler lieben.

Jeder fünfte dieser Premium-2.0-Kunden würde allerdings ohne Weiteres auch ein Auto von Apple kaufen. „Diese Leute sind vor allem von der neuesten Technologie und coolem Design wie beim Apple iPhone fasziniert. Das ist für sie im Zweifel sogar noch wichtiger als die Marke, solange sie dieser grundsätzlich vertrauen“, warnt Experte Matthies.

Das eröffne Unternehmen die Chance auf einen Markteintritt, die noch gar nicht in der Autoindustrie vertreten sind. Mit den richtigen Modellen könnte zudem die etablierte Konkurrenz den deutschen Premium-Marken Kunden wegschnappen, etwa die japanische Toyota-Tochter-Lexus: „Wenn ich mir als Mercedes-Kunde ein Elektro-Zweitauto von Toyota kaufen würde, wäre der Verkäufer ja dumm, wenn er mir nicht über das Wochenende mal eine Lexus-Hybridlimousine vor die Tür stellen würde. Und vielleicht wäre das dann auch mein nächstes Erstauto“.

Daimler wird nicht mehr zeitgemäße Modellvarianten beerdigen

Apropos Erstauto: Daimler wird im Zuge seines Strategie-Schwenks auch die ein oder andere nicht mehr zeitgemäße Variante beerdigen. So wird schon jetzt der zwölfzylindrige und besonders durstige Mercedes S 600 in den meisten europäischen Ländern nicht mehr angeboten.

Selbst unter den sparsameren Autos gibt es ein erstes potenzielles Opfer: die Hybridversion des Geländewagens Mercedes ML. Der Geländewagen, dessen Antrieb gemeinsam mit General Motors und dem Münchner Rivalen BMW entwickelt wurde, sollte eigentlich im Herbst 2009 auf den Markt kommen.

Doch inzwischen sind in Stuttgart deutliche Zweifel zu vernehmen, ob das Auto noch in Serie geht. So verwende der ML eine längst überholte Batterietechnologie. Damit sei das Auto, wie ein Daimler-Manager verrät, "schon jetzt nicht mehr zeitgemäß".

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