Datendiebstahl Erstes Opfer durch Datenskandal

Im Dezember enthüllte die WirtschaftsWoche den größten Datenskandal Deutschlands. Jetzt offenbart ein erster Fall, welche Schäden Verbrauchern drohen.

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Kontoauszug von G. Bäumler: 30 Abbuchungen für Gewinnspiele

Nico Bäumler* stutzte, als er im vergangenen Dezember routinemäßig die Kontoauszüge seiner 75-jährigen Mutter Gerda* überprüfte. Seit Ende September hatten mehr als 20 unterschiedliche Firmen vom Konto der Rentnerin mithilfe von fast 30 einzelnen Lastschriften kräftig Geld abgebucht. Die Beträge summierten sich auf 1996,20 Euro. Die Abbucher waren Firmen mit vermeintlich klangvollen Namen wie etwa Deutscher Lotto Pool, Aktion-Happy-Winner oder G-Winnjagd – allesamt Gewinnspielanbieter. 

Die Abbuchungen entpuppten sich bei näherer Betrachtung als höchst mysteriös. Erstens hatte die Mittsiebzigerin an keinem der Glücksspiele teilgenommen, geschweige denn Einzugsermächtigungen erteilt. Zweitens hatte sie zwar Anrufe von Glücksspielanbietern erhalten. Doch dass sie sich in so kurzer Zeit zur Teilnahme an insgesamt 30 Gewinnspielen hätte drängen lassen können, war so gut wie unmöglich.

Wie können binnen weniger Wochen fast 2000 Euro durch ungewollte Abbuchungen für nie bestellte massenhafte Dienstleistungen vom Konto verschwinden? Des Rätsels Lösung ist offenbar ungeahntes Schindluder, das Unbekannte mit Gerda Bäumlers Bankverbindung getrieben haben. Anscheinend ist die Kontonummer der Rentnerin auf dunklen Pfaden in die Hände Unbefugter gelangt, die damit dubiose Geschäfte einfädelten. Möglich wurde die Abzocke schließlich durch ein fragwürdiges Zusammenspiel von teilweise wenig durchschaubaren Glücksspielanbietern und Callcentern.

Besonders perfide an dem Fall ist, dass die 75-jährige Frau unter beginnender Altersdemenz leidet. Sie dürfte das erste bekannt gewordene Opfer der „Operation Goldesel“ sein, jenes gigantischen Datenskandals vom Dezember des vergangenen Jahres, über den die WirtschaftsWoche seinerzeit exklusiv berichtete. Danach kursieren schon länger die Namen, Adressen, Geburtstage sowie Kontonummern und Bankleitzahlen von 21 Millionen Deutschen auf dem Schwarzmarkt. Versorgt mit solchen Daten, ist es besonders für aggressive und unseriöse Callcenter vergleichsweise einfach, unbedarften Verbrauchern unnütze Verträge aufzuschwatzen und von ihren Konten unerlaubt Geld abzubuchen (WirtschaftsWoche 50/2008).

Jeden Tag fast eine Million unerwünschter Werbe-Anrufe

Welche Ausmaße das Problem mittlerweile hat, werden Verbraucherschützer fast täglich gewahr. Gemäß einer Studie des Marktforschungsunternehmens GfK im Auftrag des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen werden die Deutschen jeden Tag mit fast einer Million unerwünschter Anrufe behelligt. Wie eine ebenfalls von den Verbraucherzentralen initiierte Studie von Forsa ergab, haben zwei Drittel der im Rahmen von Telefonwerbung Angerufenen nie die – seit 2004 erforderliche – Einwilligung für derartige Anrufe gegeben. Zum ungewollten Abschluss eines Vertrages ist es dann oft nur noch ein kleiner Schritt. „Dass Bürger Opfer von unfreiwillig am Telefon abgeschlossenen Verträgen und unberechtigten Abbuchungen von Callcentern werden, ist ein wachsendes Problem“, sagt Chef-Verbraucherschützer Gerd Billen aus Berlin.

Bei Gerda Bäumler wären die Glücksspielanbieter und Callcenter jedoch erfolglos geblieben, hätten nicht weitere Akteure entscheidende Schützenhilfe geleistet. Das zeigt die Spur, die von den dubiosen Abbuchungen in einem Fall zu der Firma G-Winnjagd mit Sitz in Lieserbrücke im österreichischen Bundesland Kärnten führt. Angeblich soll Gerda Bäumler G-Winnjagd den Auftrag zur Teilnahme an Gewinnspielen erteilt haben. G-Winnjagd ist ein in der Gewinnspielbranche typischer Dienstleister, der Spieler gleichzeitig bei mehreren Glücksspielen anmeldet. So trägt G-Winnjagd Kunden für einen Betrag von 39,99 Euro im Monat bei bis zu 150 Online-Gewinnspielbetreibern gleichzeitig ein.

Allerdings hat Gerda Bäumler, wie sie über ihren Sohn mitteilen lässt, nie direkt mit G-Winnjagd einen Vertrag abgeschlossen. Dass die Rentnerin dennoch als Kundin bei G-Winnjagd landete, erklärt das Unternehmen auf Anfrage der WirtschaftsWoche so: Gerda Bäumler habe sich Ende August 2008 bei dem kostenlosen Gewinnspiel www.mp3player-gewinnspiel.de im Internet eingetragen. Dabei habe sie gleichzeitig auch die „Zustimmung für weitere Telefonkontakte“, sprich: Anrufe von Callcentern, erteilt. Kurz darauf wurde Gerda Bäumler laut Auskunft von G-Winnjagd von einem solchen Callcenter, der Düsseldorfer Firma K&S, angerufen. Dabei habe Gerda Bäumler in die Teilnahme an dem von G-Winnjagd angebotenen kostenpflichtigen Gewinneintragsdienst eingewilligt.

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