
Die Abendnachrichten im lokalen Fernsehen von Detroit beginnen hoffnungsvoll: Ein Reporter präsentiert die frisch gekürten amerikanischen "Autos des Jahres“, live von der Detroit Motor Show. Es folgt ein Bericht über einen Wahlkampfauftritt des republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain, der seinen Anhängern in Detroit Mut macht: „Ich glaube an Eure Stadt. Sie hat eine Zukunft. Ihr werdet großartige Autos bauen – Hybridautos, Elektroautos, Wasserstoffautos.“
Doch dann holt der Nachrichten-Sprecher die Zuschauer ganz unsanft zurück auf den Boden der Tatsachen: „Was für ein hartes Schicksal für viele General Motors-Mitarbeiter in Detroit: Wie heute bekannt wurde, werden in einem Werk über 200 Stellen abgebaut. Verhandlungen zur Rettung der Stellen sind gescheitert.“
Gestern öffnete die Automesse in Detroit ihre Pforten. Zwei Wochen lang wird sich Amerikas Autoindustrie hier selbst feiern, wird viel über neue, umweltfreundliche Antriebe, mutige Studien und PS-starke Luxusschlitten reden. Doch die traurige Realität jenseits der schmucken, auf Hochglanz polierten Concept Cars ist: General Motors (GM), Ford und Chrysler stecken in der wahrscheinlich schlimmsten Krise ihrer Geschichte. Die drei Hersteller aus Detroit – auch Big Three genannt – kämpfen ums Überleben.
Alleine in den vergangenen drei Jahren schlossen die Autobauer zwei Dutzend Werke, strichen 80.000 Stellen und ließen Detroit weiter ausbluten. In der Stadt, in der Henry Ford einst den modernen Automobilbau erfunden hatte, leben heute nur noch halb so viele Menschen wie in den 1950er-Jahren. Ganze Straßenzüge der einstmals prachtvollen Innenstadt stehen leer, sind gefährliche No-Go-Areas.
Trotz des Stellenabbaus sind die meisten Fabriken auch jetzt nicht ausgelastet. Einige Werke schickten ihre Mitarbeiter über den Jahreswechsel in einen wochenlangen Zwangsurlaub. Ford-Chef Alan Mulally hat zum Jahreswechsel bereits eingeräumt: „2008 wird nicht besser als 2007“ – soll heißen: Das Stellen-Streichkonzert geht weiter.
Die Gründe dafür sind zahlreich: Anders als die europäischen und japanischen Hersteller, haben es die Big Three jahrelang versäumt, mit sparsamen Modellen auf den Klimawandel und steigende Benzinpreise zu reagieren. Seit Tanken auch in den USA spürbar Geld kostet – in Detroit verkaufen die Tankstellen das Superbenzin derzeit für rund einen Dollar pro Liter – wird der Spritverbrauch zum gewichtigen Verkaufsargument. Und hier haben die Amerikaner nicht viel zu bieten. Ihre Spezialität sind noch immer die sechs Meter langen Pritschenwagen, Dreitonner mir 20 Litern Verbrauch.
Auch im Design und der Verarbeitungsqualität ist Amerika hinter Europa und Japan zurückgefallen. Statt die Kunden mit Innovationen zu ködern, traten die Hersteller eine Rabattschlacht nach der anderen los und verbrannten so ihre letzten Reserven. Rekordverluste im letzten Jahr waren die Folge der verfehlten Produktplanung und Vermarktung.
Und nun fällt den wankenden Riesen auch noch die US-Finanzkrise, ausgelöst durch die faulen Immobilien-Kredite, in den Rücken. Eine Rezession der US-Wirtschaft wird immer wahrscheinlicher. In diesem Umfeld den Turn-around zu schaffen, ist für die Chefs von Ford, General Motors und Chrysler einer Herkulesaufgabe. Doch so ähnlich ihre Probleme sind, so unterschiedlich sind ihre Lösungsansätze.
In der wahrscheinlich prekärsten Lage der drei befindet sich Chrysler. Nach der Trennung von Daimler fehlt es dem Unternehmen an Forschungs- und Entwicklungskapazitäten, an sparsamen Modellen – Chrysler hat die schlechteste Spriteffizienz der sechs führenden Anbieter im US-Markt – und vor allem an Präsenz auf ausländischen Märkten. Die Konkurrenten General Motors und Ford konnten mit vergleichsweise guten Geschäften in Europa und Asien die herben Verluste im USA-Markt ein wenig ausbügeln, Chrysler nicht.