Die neue WiWo App Jetzt kostenlos testen
Download Download

Deutsche Bahn Das Bahn-Debakel im Nahverkehr

Nach dem Ärger um ICE-Klimaanlagen stehen Bahn-Chef Rüdiger Grube neue Probleme bevor: Die Zukunft des Konzerns entscheidet sich im Nahverkehr – und hier bricht der Gewinn ein.

  • Artikel teilen per:
  • Artikel teilen per:
Regionalexpress von DB Region in Dresden

Olaf Reidt rutscht unruhig auf dem Stuhl hin und her, reibt sich nervös die Hände und knabbert an den Fingernägeln. Kurz zuvor hatte der Anwalt im braun getäfelten Saal A01 des Oberlandesgerichts Düsseldorf ein Plädoyer für seinen Auftraggeber gehalten, die Nahverkehrstochter der Deutschen Bahn. Im Grunde genommen, so sein letztes Argument, sei „nur DB Regio in der Lage“, milliardenschwere Verkehrsaufträge der öffentlichen Hand zu stemmen. Daher könnten solche Aufträge auch gleich direkt an sie vergeben werden.

Doch Anwalt Reidt verliert — und mit ihm die Deutsche Bahn. In ihrem Urteil Ende Juli schlagen sich die Richter am OLG auf die Seite des Underdogs Abellio: Die Tochter der holländischen Staatsbahn NedRailways erhält eine zweite Chance. Der milliardenschwere Auftrag des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR) in Nordrhein-Westfalen muss wohl bald neu ausgeschrieben werden.

Zeitenwende im Nahverkehr

Die Entscheidung der Richter könnte ein Milliardendebakel für die Deutsche Bahn nach sich ziehen. Dem mit Abstand größten Anbieter von Nahverkehrsleistungen auf der Schiene droht der Einbruch seiner Cashcow, die mehr als 50 Prozent zum Gewinn beiträgt. Denn das Urteil markiert eine Wende im öffentlich subventionierten Schienenpersonennahverkehr (SPNV): mehr Wettbewerb, mehr Transparenz, mehr Qualität. Das hoffen jedenfalls die Bahn-Konkurrenten.

Nach den heißen Tagen, an denen streikende Klimaanlagen Fernverkehrszüge in rollende Saunen verwandelten, hat die Bahn damit ihr nächstes Problem — und möglicherweise ein viel größeres. Zugleich droht ein Massenstreik der Bahngewerkschaften sowohl im Nah- als auch im Fernverkehr. Sie fordern einen einheitlichen Tarifvertrag für die gesamte Branche und könnten den Schienenverkehr in Deutschland lahmlegen. Für Bahn-Chef Rüdiger Grube dürften die kommenden Wochen mindestens so hitzig werden wie das Bahnfahren für manche Fahrgäste.

Für den Staatskonzern bedeutet die Entscheidung des OLG einen tiefen Einschnitt. Der VRR hatte einen bereits laufenden Vertrag mit DB Regio um fünf Jahre verlängert und der Deutschen Bahn damit eine Milliarde Euro Erlöse zugesichert, ohne auszuschreiben. Zwar haben die Richter die Entscheidung an den Bundesgerichtshof weitergegeben, da es ein gegenteiliges Urteil des OLG Brandenburg zu einem ähnlichen Fall gibt. Doch klar ist: Bis zu einer endgültigen Entscheidung, die sich über viele Monate hinziehen könnte, dürfte DB Regio keine Großverträge mehr per Direktvergabe einheimsen können. Das Unternehmen braucht eine neue Strategie, an der Grube bereits hinter den Kulissen bastelt.

Gewinn bricht ein

An der streng vertraulichen internen Mittelfristplanung, die der WirtschaftsWoche vorliegt, zeigt sich das Dilemma des Konzerns: Die Bahn rechnet damit, dass die Erlöse im Nahverkehr in den kommenden Jahren einbrechen. 2009 schaffte DB Regio ein operatives Ergebnis (Ebit) von 870 Millionen Euro, die Umsatzrendite lag bei 12,7 Prozent. Doch schon 2014, so die interne Prognose, sinkt das Ergebnis um fast 30 Prozent auf 627 Millionen Euro (siehe Grafik unten). Für das Ende des Jahrzehnts erwarten Bahnexperten, dass DB Regio maximal noch 250 Millionen Euro aus dem Nahverkehr herausholen kann.

Grube will dem drohenden Bedeutungsverlust der Sparte zuvorkommen. Der Manager möchte DB Regio „noch stärker“ an die sich verändernden Marktstrukturen anpassen und den Fokus auch „von großen Landesverkehrsverträgen hin zu kleinteiligen Ausschreibungen“ legen, so steht es in der geheimen Bahn-Akte. Dazu plane er regionale Organisationseinheiten, die sich dann an den Ausschreibungen der öffentlichen Hand beteiligen.

Zu verteilen gibt es viel. Jedes Jahr schüttet der Bund mehr als sieben Milliarden Euro für den öffentlichen Personenverkehr aus. Das Geld reichen die Bundesländer und Verkehrsverbunde an die Deutsche Bahn oder Wettbewerber wie Keolis, Veolia und Abellio weiter. Diese übernehmen dann die Beförderung von Fahrgästen in S-Bahnen, Regionalexpresszügen und Regionalbahnen.

Konnte sich die Deutsche Bahn früher auf die großen Verkehrsverträge in den Metropolen konzentrieren, muss sie sich nun neu ausrichten. Ihre Konkurrenten haben inzwischen bewiesen, dass sie auch große Netze managen können, wie etwa die Regionalstrecken in Bremen und Hamburg durch das Uelzener Unternehmen Metronom oder das Vogtlandnetz in Sachsen durch die britische Arriva.

Inhalt
  • Das Bahn-Debakel im Nahverkehr
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%