Deutsche Bahn Die Schonfrist für den Bahnchef ist vorbei

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Geheime Planzahlen - große Risiken (zur Vollansicht bitte auf die Grafik klicken)

Die Misere zeigt sich nirgendwo stärker als beim öffentlichen Personennahverkehr. Zwar war die S-Bahn Berlin wirtschaftlich zunächst ein Erfolg: Das Tochterunternehmen überwies der Konzernmutter 2008 etwa 56 Millionen Euro Gewinn vor Steuern. Doch Kritiker bemängeln schon seit Langem, dass die engen Sparvorgaben zulasten der Qualität gingen. Indizien dafür gibt es reichlich.

So hat die Bahn in Berlin schon 2005 im Rahmen eines Sparprogramms die Werkstattstunden für S-Bahnen der betroffenen Baureihe 481 um 30 Prozent verringert und die Wartungsintervalle verlängert. Außerdem hat sie seit 2005 rund 900 Stellen abgebaut. Die Auflagen des Eisenbahnbundesamtes, die Züge seit einem Radbruch im Mai dieses Jahres wöchentlich zu kontrollieren, ignorierte das Management. Das S-Bahn-Chaos begann.

Mehdorns Vorgaben erweisen sich für Grube als tote Gleise. Der Ex-Bahn-Chef drängte auf glanzvolle Ergebnisse der Tochtergesellschaften Stadtverkehr und Regio — exakt getimt auf den geplanten Börsengang. Allein DB Regio erwirtschaftete 2008 einen Gewinn in Höhe von 780 Millionen Euro. In den kommenden Jahren jedoch wird das Ergebnis wieder nach unten gehen. 2013, so die interne Prognose, fahren Regionalexpresszüge und S-Bahnen nur noch 550 Millionen Euro ein — ein Minus von fast einem Drittel.

Verbünde wenden sich an Konkurrenz

Allein die Stadt Berlin überweist der Bahn wegen der ausgefallenen Züge nun 25 Millionen Euro weniger. Bis zu 25 Millionen Euro zusätzlich kostet eine Aktion zur Besänftigung der Berliner S-Bahn-Kunden: Sie dürfen im Dezember kostenlos fahren.

Die Beziehungen der DB Regio zu den kommunalen und städtischen Verkehrsunternehmen wie den Verkehrsverbünden Berlin-Brandenburg (VBB) und Rhein-Ruhr (VRR) sind an einem Tiefpunkt angelangt. Die Verbünde bestellen bei den Bahngesellschaften ihren öffentlichen Nahverkehr und bekommen dafür pro Jahr rund sieben Milliarden Euro vom Bund überwiesen. Bisher für die Bahn ein lukratives Geschäft: Die Rendite von DB Regio war zweistellig, die Qualität dagegen mangelhaft, wie zwei separate Studien von VRR und VBB belegen. Der VRR verklagte die Bahn denn auch auf Rückzahlungen, inzwischen gab es einen Vergleich.

Nun schlagen die Verbünde zurück. Seit private Wettbewerber wie die französischen Verkehrskonzerne Veolia und Keolis, die britische Arriva oder die Tochter der Hamburger Hochbahnen Benex bei den Ausschreibungen mitbieten, geben die Besteller den Zuschlag gerne an die Konkurrenz oder drücken mit deren Angeboten zumindest die Preise für die DB-Züge.

Affront für Gewerkschaften

Die Bahn strebt zwar mit dem Programm „Zukunftsfähigkeit Regio“ an, „die Besteller durch eine noch intensivere Zusammenarbeit und spürbare Qualitätsverbesserungen zu überzeugen“, heißt es in dem internen Papier. Sie plant jedoch selbst mit einem sinkenden Marktanteil und geht dabei noch optimistisch von einer „rund 70- prozentigen durchschnittlichen Gewinnquote in Ausschreibungsverfahren und Direktvergaben“ von 2009 bis 2013 aus. Das Ziel scheint schwer erreichbar: 2008 gingen nur 30 Prozent der neu ausgeschriebenen Strecken an die DB.

Um die Chancen zu erhöhen, werde nun das Personalkostenniveau „adressiert“. Mit anderen Worten: Die Bahn wird bei den Ausschreibungen immer öfter mit eigenen Billigtöchtern antreten. So konnte sie die Regionalexpresslinie Aachen–Siegen nur verteidigen, weil sie mit der nicht tarifgebundenen Heidekrautbahn ins Rennen ging. Nun ist in der Mittelfristplanung schwarz auf weiß verbrieft, dass sie diese Praxis ausweiten will — zulasten der Lokführer und Schaffner der Deutschen Bahn.

Das ist ein Affront für die Gewerkschaften. Bislang erntete Grube Lob von den Arbeitnehmervertretern, insbesondere durch sein konsequentes Großreinemachen nach der Affäre um die Ausspähung der 173.000 Bahn-Mitarbeiter. Der Neue ließ schnell Köpfe rollen. Die Vorstände Margret Sucka-le (Personal), Norbert Bensel (Logistik) und Otto Wiesheu (Politik) mussten aufs Abstellgleis, weil sie laut Grube zu eng mit den Spitzelmethoden einiger Führungskräfte wie Jens Puls (Sicherheit) und Josef Bähr (Revision) verbunden waren, die sofort gehen mussten. Zudem schuf er ein Vorstandsressort für Regelüberwachung, neudeutsch Compliance.

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