Deutsche Bahn Zugtickets aufs Handy

Von November an gibt es Tickets per Satellit aufs Smartphone. Ein Erfolg brächte dem Staatsriesen eine internationale Vorreiterrolle.

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Kontaktpunkt für Tickets per Handy der Deutschen Bahn Quelle: laif

Seit Jahren hängt die blaue Tafel auf jedem Bahnsteig am Düsseldorfer Hauptbahnhof. "Touchpoint" prangt in weißen Buchstaben auf einer DIN-A3-großen Fläche. Ein roter Punkt in der Mitte und dünne, weiße Kreislinien symbolisieren, dass hier etwas durch den Äther geht. Rund 3000 Testpersonen haben in den vergangenen drei Jahren die Möglichkeit genutzt, per Funk ihr Ticket erst auf dem Bahnsteig statt in der Halle im Erdgeschoss zu kaufen.

Inzwischen haben sich die meisten Probanden ein Urteil über das Testangebot gebildet — mehr als mangelhaft kommt dabei nicht heraus. Der Grund: Die im Prinzip gute Idee der Bahn funktioniert nur mit einem speziellen Handy mit der Fähigkeit zur sogenannten "Near Field Communication" (NFC), wie Spezialisten die drahtlose Datenübertragung über wenige Zentimetern hinweg nennen. Vor Fahrtantritt wird dieses an den roten Punkt gehalten, am Zielbahnhof meldet man sich auf gleiche Weise wieder ab, den Fahrpreis ermittelte das System automatisch und bucht ihn beim Kunden ab. Weil kaum jemand ein solches Handy hat, stellte die Bahn jedem Teilnehmer ein Gerät zur Verfügung. Die Folge: Die meisten Versuchsfahrgäste mussten immer zwei Handys dabei haben. "Das hat viele Nutzer empfindlich gestört", sagt Birgit Wirth, die bei der Deutschen Bahn für das Projekt verantwortlich ist.

Durchbruch mit Hilfe von GPS-Technik

Test missglückt, Projekt beendet? Im Gegenteil: Die Bahn hat ihre Lektion gelernt und weitet die Möglichkeit zum Ticketkauf per Handy am Bahnsteig nun richtig aus. Das System, das bisher auf den Strecken Berlin–Köln–Frankfurt–Berlin getestet wurde, soll vom November an auf jedem Bahnhof installiert werden, an dem ein ICE oder Intercity hält. Die im Test verwendete NFC-Technik bleibt, den Durchbruch soll aber die satellitengestützte GPS-Technik bringen, wie sie auch Navigationsgeräte nutzen.

Der Clou: Das neue Touch&Travel-System (auf Deutsch "Berühren und Reisen") funktioniert mit fast jedem Smartphone. Damit könnte der Bahn der Einstieg ins papierlose Reisen gelingen. Seit Januar dieses Jahres wird die neue GPS-Technik getestet. Bis heute explodierte die Zahl der Interessenten von 3000 auf 15 000. "Das hat das Projekt definitiv vorangebracht", freut sich Bahn-Managerin Wirth.

Die Technik ist simpel. Voraussetzung ist ein iPhone von Apple oder ein anderes internetfähiges Smartphone, das mit dem Betriebssystem Android von Google arbeitet, sowie eine App. Das kleine Zusatzprogramm kann sich der Nutzer kostenlos herunterladen. Vor der ersten Fahrt registriert er sich als Nutzer, hinterlegt Bahncard-Nummer und Kontodaten und lässt sich bei der entsprechenden Telefongesellschaft freischalten. Gleichzeitig muss er zustimmen, sich per GPS orten zu lassen. Fahrtbeginn und -ende meldet er per Knopfdruck über seine App. Das System errechnet dann je nach zurückgelegter Strecke den günstigsten Preis. Derzeit funktioniert Touch&Travel nur bei der Deutschen Telekom und Vodafone, andere Telekommunikationskonzerne wie O2 sollen aber bald nachziehen.

Satellitengesteuerter Ticketkauf bei der Bahn

Durch Nutzung der GPS-Technik wird der Staatsriese zum internationalen Vorreiter beim elektronischen Eisenbahnticket. Im Gegensatz zu Ländern wie Großbritannien, Niederlande oder den USA, wo Reisende sich per Chip an Einlassschranken an- und abmelden, fehlen in Deutschland solche Barrieren. Auch auf den Nahverkehr lässt sich das System übertragen. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) machen bereits mit und profitieren von einer zusätzlichen Funktion. Sollte die GPS-Ortung ausfallen, können Reisende den Barcode auf der blauen Touch&Travel-Tafel mit der eingebauten Handykamera fotografieren. Das System erkennt dann den Bahnhof. Die Reisenden können Kurzfahrt- oder Einzeltickets erwerben. Summieren sich die einzelnen Fahrten zu einem Preis, bei dem ein Tagesticket günstiger wäre, berechnet das System automatisch das Tagesticket.

"Der Komfortgewinn für die Kunden ist gewaltig", lobt Carsten Sommer, Nahverkehrsexperte an der Universität Kassel. Hinzu kämen ganz neue Möglichkeiten für die Verkehrsunternehmen: "Durch das elektronische Ticket ist es etwa möglich, Fahrgästen an ihrem Geburtstag Rabatt zu gewähren", sagt Sommer. Zudem seien Funktionen wie die Ausleihe von Fahrrädern und Autos denkbar. "Ich bin mir sicher, dass Zufriedenheit und Fahrgastzahlen dadurch steigen werden", so Sommer.

Alternatives Handyticket

Die neue Technik hat allerdings auch ihre Nachteile. Mithilfe des GPS-Systems erfasst und speichert die Bahn Bewegungsprofile und Mobilfunkdaten der Reisenden und speichert diese sechs Monate – das mag nicht jeder. Sonderangebote und das inkludierte Nahverkehrsticket bei Hin- und Rückfahrtickets sind nicht buchbar. Zudem müssen sich Fahrgäste, die vergessen haben, sich auszuchecken, telefonisch abmelden. Daran werden sie spätestens nach vier Stunden von ihrem Smartphone erinnert. Bahn-Managerin Wirth sieht darin aber keine Hürden: "Im Test hat sich gezeigt, dass die Nutzer eine Routine entwickeln und das Abmelden kaum noch vergessen."

Auch die Frage, ob sich das Bahn-System im Nahverkehr deutschlandweit durchsetzt, ist noch offen. Städte wie Hamburg, Dresden, Bielefeld und Freiburg sowie die Verkehrsverbunde Rhein-Ruhr (VRR) und Rhein-Sieg (VRS), in denen die Städte Düsseldorf und Köln liegen, setzen derzeit erfolgreich auf ein alternatives Handyticket. Die Fahrgäste dort haben im ersten Quartal 2011 bereits 340 000 Tickets über ihr Mobiltelefon gekauft. Allerdings müssen sich die Kunden vor Fahrtantritt für eine Fahrkarte entscheiden, nachträgliche Preiskorrekturen sind nicht möglich.

Noch lassen sich Privat- und Geschäftsreisen nicht voneinander trennen. Die Deutsche Bahn will das in Zukunft ändern. Nahverkehrsexperte Sommer ist überzeugt: "Wenn die Deutsche Bahn Verkehrsverbunde und andere Verkehrsunternehmen von ihrem System überzeugen kann, wird sich das durchsetzen."

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