
Dieses Gespräch ist längst Legende: Am Rande des Weltwirtschaftsforums in New York fragte ein Interviewer des Nachrichtensenders Bloomberg Rolf Breuer, damals Chef der Deutschen Bank, ob man dem angeschlagenen Medienunternehmer Leo Kirch „mehr helfen“ solle, weiterzumachen. „Das halte ich für relativ fraglich“, antwortete Breuer an jenem 3. Februar 2002, „was man alles darüber lesen und hören kann, ist ja, dass der Finanzsektor nicht bereit ist, auf unveränderter Basis noch weitere Fremd- oder gar Eigenmittel zur Verfügung zu stellen.“
Zwei Monate später ist Kirch pleite, sein Medienkonglomerat, zu dem unter anderem die Fernsehsender ProSieben, Sat 1 und Premiere, zahlreiche Filmrechte sowie eine Beteiligung am Axel-Springer-Verlag gehören, steht vor dem Aus. Kirch, der einst als kleiner Filmhändler begonnen hatte, lässt keinen Zweifel daran, wen er für den Kollaps seines Lebenswerkes verantwortlich macht: „Erschossen hat mich der Rolf.“
Ob das stimmt, wird voraussichtlich von heute an vor dem Landgericht München geklärt. Dann steuert Kirchs juristischer Rachefeldzug seinem vorläufigen Höhepunkt entgegen. Es geht um viel Geld. In zwei getrennten Verfahren fordert Kirch von Breuer und der Deutschen Bank insgesamt fast vier Milliarden Euro Schadensersatz. Und es geht um eine Verschwörungstheorie erster Güte.
Vorwürfe gegen Breuer wurden erweitert
Kirchs Version der Geschichte geht so: Die Deutsche Bank habe sein angeschlagenes, aber intaktes Reich zerschlagen und davon profitieren wollen. Breuer habe die Kreditwürdigkeit des Konzerns deshalb bewusst in Zweifel gezogen. Daraufhin hätten die anderen Banken keine weitere Finanzierung mehr gegeben. Die Deutsche Bank hat dagegen stets erklärt, dass die Aussagen keinen Einfluss auf die weitere Entwicklung hatten. Die Situation der Kirch-Gruppe sei bereits ausweglos gewesen.
Zumindest einen Teilerfolg konnte der gefallene Mogul vor zwei Jahren erzielen. Da entschied der Bundesgerichtshof (BGH), dass Breuer seine Pflichten gegenüber einer Kirch-Gesellschaft verletzt habe. Die Kirch-Anwälte müssen allerdings beweisen, dass durch Breuers Aussage tatsächlich ein Schaden entstanden ist.
Sie haben ihre Vorwürfe im Vergleich zum Ursprungsprozess sogar noch erweitert. Die Kirch-Gesellschaft „KGL Pool“ stützt sich dabei auf einen Beratervertrag der Investmentbanker der Deutschen Bank bei einer damals geplanten Fusion des börsennotierten Fernsehkonzerns ProSiebenSat.1 mit Kirchs Herzstück, KirchMedia. Dadurch habe die Bank tiefe Einblicke in das Kirch-Imperium erhalten. Daraus wollen die Anwälte eine Haftung gegenüber weiteren Konzernteilen herleiten. Die Deutsche Bank hingegen argumentiert, Breuer habe hier keine Details gekannt.
Das Münchner Verfahren ist nur die Spitze des Eisberges: Derzeit laufen noch etwa 30 Kirch-Klagen gegen die Rechtmäßigkeit der Hauptversammlungen der Deutschen Bank von 2003 bis 2008. Bei jedem Aktionärstreffen richten Kirch-Anwälte mehrere Stunden lang Fragen an den Deutsche-Bank-Vorstand. Dabei nehmen sie alle nur denkbaren Details aufs Korn. Bei rund 1.500 Antworten sollen sie bisher geklagt haben, dass diese nicht korrekt gewesen seien.

Die Deutsche Bank hat längst eine eigene „Projektgruppe K“ eingerichtet, die sich im Durchschnitt einmal wöchentlich trifft, um die Lage zu klären. Die diversen Verfahren haben die Kirch-Seite bis heute vermutlich rund 20 Millionen Euro gekostet, schätzen Experten.
Für die Deutsche Bank sind all die nebensächlichen Verfahren, von denen sie die meisten gewonnen hat, nicht nur lästig. Sie hatten auch schon unmittelbare Folgen. Zahlen musste das Institut bisher zwar nichts. Aber seit drei Jahren sind die Frankfurter verpflichtet, die Gehälter auch ihres erweiterten Vorstands offenzulegen. Breuer trat 2006 nach dem Urteil des BGH als Aufsichtsratsvorsitzender vorzeitig zurück. Ihm folgte der bisherige Finanzvorstand Clemens Börsig, gegen dessen Berufung die Kirch-Anwälte dann wieder klagten.
Kirch ist inzwischen 82, Breuer 71 Jahre alt. Ein Vergleich, wie ihn der BGH angemahnt hat, ist nicht in Sicht. Angeblich gab es bereits eine Abmachung, die am Widerstand der Deutschen Bank scheiterte. Die Bank bestreitet das. Selbst Kirchs Tod würde den Streit nicht beenden. „Dafür ist vorgesorgt“, heißt es in seinem Umfeld.
Wirklich profitiert haben von den Verfahren bisher die Anwälte. Die Deutsche Bank wird von der Düsseldorfer Großkanzlei Hengeler Müller vertreten, Kirch von der Münchner Sozietät Bub Gauweiler. Deren Partner Wolf-Rüdiger Bub hat sich erst in diesem Sommer eine neue Villa in Berlin-Grunewald gekauft – das Domizil des verstorbenen Entertainers Harald Juhnke.