Deutsche Telekom Telekom-Skandale: Die Ermittlungsakten der Staatsanwälte

Um den Kundenschwund zu stoppen, hat die Deutsche Telekom einen gigantischen Vertriebsapparat mit unzähligen Subunternehmern und Callcentern aufgebaut. Doch das System entglitt über weite Strecken der Kontrolle. Abzocker bedienten sich, Partnerfirmen gingen pleite, Millionen von Kundendaten gerieten in falsche Hände. Das ganze Ausmaß der Folgen zeigen jetzt erstmals interne Unterlagen und staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten, die der WirtschaftsWoche vorliegen.

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Logo der Deutschen Telekom Quelle: dpa

Manfred Balz ist ein Unikum im Telekom-Vorstand. Kurz vor Weihnachten wurde der hochgewachsene Jurist mit den blond-grauen Locken 65 Jahre alt. Doch aufs Altenteil will sich der Spätberufene, der infolge der Spitzel- und Datenskandale im Oktober 2008 als Chefaufklärer in den deutlich jüngeren Vorstand rückte, nicht setzen lassen, sagt er. „Ich bin kein bisschen amtsmüde.“

Balz steht – trotz seines fortgeschrittenen Alters – am Anfang einer schwierigen Mission, deren Ausgang niemand abschätzen kann. Noch kurz vor Weihnachten hat er umfangreiche Aufräumarbeiten bei dubiosen Callcentern und anderen Vertriebspartnern der Deutschen Telekom angekündigt. Balz will einen 34-Punkte-Plan mit zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen dem Vorstand vorlegen, um Datendiebe abzuschrecken: Die Kundennummern aller Telekom-Kunden sollen ausgetauscht, seit Jahren im Vertrieb arbeitende Telekom-Manager versetzt und neue Provisionssysteme für Händler und Callcenter entwickelt werden, damit alte Seilschaften zerbrechen und den Kriminellen der finanzielle Nährboden entzogen wird.

Es geht um einen der größten Datenskandale in der Geschichte Deutschlands. Als die WirtschaftsWoche im Dezember 2008 aufdeckte, dass auf dem Schwarzmarkt die Daten und Kontoverbindungen von 21 Millionen Deutschen vagabundieren, gab es erste Hinweise auf gravierende Lücken bei der Deutschen Telekom (WirtschaftsWoche 50/2008). Inzwischen gehen Experten davon aus, dass große Teile des Datenbestandes des Konzerns in Deutschland – 39 Millionen Mobilfunk-, 27 Millionen Festnetz- und 11 Millionen Internet-Kunden – in irgendeiner Form in dubiose Hände geraten sind. Der Diebstahl und Missbrauch von 20 Millionen Kundendaten ist bereits Gegenstand von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Bonn.

Deutsche Telekom wurde streckenweise zur Chaosmaschine

Der WirtschaftsWoche vorliegende Ermittlungsakten und interne Unterlagen der Telekom zeigen nun erstmals, weshalb die Deutsche Telekom – zumindest streckenweise – zur Chaosmaschine werden konnte. Der massenhafte Diebstahl von Kundendaten war nämlich kein Werk von Einzeltätern in dubiosen Callcentern und Shops. Die Lecks erweisen sich aus heutiger Sicht viel mehr als zwangsläufige Folge eines neuen, gigantischen pyramidenförmigen Vertriebssystems, das Telekom-Chef René Obermann kurz nach seinem Amtsantritt im November 2006 gemeinsam mit seinem damaligen Vertriebsvorstand Timotheus Höttges installierte.

Obermanns Ziel war es, mehr Geschäft direkt mit den Telefon-, Mobilfunk- und Internet-Nutzern zu machen, statt dieses Dienstleistern wie 1&1 oder Debitel zu überlassen. Diese kaufen zu Großhandelskonditionen bei der Telekom ein und schnüren daraus eigene Angebote. Dadurch banden sie zeitweise über ein Drittel aller Telefon-, Mobilfunk- und InternetNutzer an sich. „Shift to direct sales“, auf Deutsch: „Schwenk zum Direktvertrieb“, nannte Obermann deshalb den Strategieschwenk, der den Kundenschwund im Festnetz stoppen und der Telekom die Kontrolle über die entglittenen Kunden zurückbringen sollte. Der Deutschland-Chef von T-Mobile, Philipp Humm, bekam den Spezialauftrag, den Direktvertrieb schnell auszubauen und nach neuen Absatzkanälen Ausschau zu halten.

Um das zu erreichen, wollte Obermann möglichst viele schnelle Internetanschlüsse unter das Volk bringen, die Verträge der bestehenden Kunden um zwei Jahre verlängern und den Marktanteil bei neuen DSL-Kunden auf mindestens 45 Prozent steigern. Dazu sollten alle verfügbaren Telekommunikationsshops und Callcenter für den Magenta-Konzern tätig werden. Die Telekom erhöhte deshalb innerhalb eines Jahres die Zahl ihrer eigenen Verkaufsstationen, der sogenannten T-Shops, auf 804 Läden (plus 181). Gleichzeitig ernannte sie 1011 Großhändler (plus 767) wie die Filialisten dug und The Phone House zu Hauptvertriebspartnern. Sie bildeten die Spitze der Telekom-Verkaufspyramide und spannten im Auftrag der Telekom rund 12 000 Subunternehmen ein, die als Fachhändler oder Callcenter die Kunden keilen sollten. Zugleich erhöhte die Telekom den ohnehin üppigen Etat für Provisionen von weit mehr als einer Milliarde Euro kräftig, damit die neue Verkaufsmaschine binnen weniger Monate auf Touren kommt.

Damit legte die Telekom jedoch, wie Recherchen der WirtschaftsWoche und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zeigen, den Grundstein für ein nie da gewesenes Organisationschaos sowie die späteren Datenskandale. Jede noch so kleine Telefonbude bekam Zugriff auf die Kundendaten. Obendrein nutzten auch noch windige Geschäftemacher die günstige Gelegenheit, sich auf Kosten der Telekom oder anderer Vertriebspartner zu bereichern. Im alten Vertriebssystem war das in diesem Umfang nicht möglich.

Was sich die Telekom damit einhandelte, wird Vorstandschef Obermann und seine Leute noch lange beschäftigen. Chefjurist Balz spricht inzwischen von einem „System mit kriminogenen Strukturen“. Andere Telekom-Manager räumen hinter vorgehaltener Hand ein, was binnen weniger Monate aus dem Boden gestampft worden sei, habe „halbseidene Geschäftsmacher“ angelockt.

Um Licht ins Dunkel zu bringen, musste die Telekom im vergangenen Jahr mehrmals Anzeige gegen Vertriebspartner und Mitarbeiter bei der Staatsanwaltschaft Bonn erstatten, die daraufhin Ermittlungen „wegen des Verdachts des gewerbs- und bandenmäßigen Computerbetrugs“ einleitete. Die Verdächtigen sollen persönliche Daten von mehreren Millionen Kunden aus den Telekom-Beständen gestohlen und gegen Bares an Unbefugte weitergereicht haben.

Rene Obermann, Quelle: AP

Mit einer „Tiefenbohrung“ will Oberaufklärer Balz, wie er selbst sagt, der -Sache nun auf den Grund gehen. Die Spuren, die er verfolgen muss, sind heiß und führen bis in die Deutsche Telekom selbst. Leitende Manager des Konzerns – das belegen streng vertrauliche, der -WirtschaftsWoche vorliegende Dokumente – wussten nicht nur vom Datenmissbrauch innerhalb des Pyramidensystems und drückten beide Augen zu. Aus Akten der Staatsanwaltschaft geht auch hervor, dass diese mitunter sogar Akteure der Vertriebsoffensive waren, indem sie unter dem Deckmantel von Freunden und Verwandten eigene Shops und Callcenter gründeten, um selbst DSL-Anschlüsse zu verkaufen. Dabei zweigten sie Provisionen ihres Arbeitgebers, der Telekom, in die eigene Tasche ab und beteiligten sich damit, so der Verdacht der Staatsanwalt, am Provisionsbetrug. Die Telekom hat auch in diesem Fall Strafanzeige erstattet.

Als wären Datenklau und Betrug nicht schon genug, entpuppt sich die Vertriebsoffensive inzwischen auch noch als eines jener Megaprojekte, deren Initiatoren vor lauter Komplexität irgendwann einmal die Kontrolle über ihr eigenes Tun verlieren. Von einem bestimmten Punkt an wusste zeitweise nicht einmal die Telekom, wer welche Kunden gewonnen hatte, wem welche Provisionen zustehen und wer welche Kundendaten zur Akquise neuer Vertragsabschlüsse abgreifen konnte. Bis heute streiten sich Vertriebspartner mit Großhändlern vor Gericht über ausstehende Provisionen, fühlen sich vor allem Subunternehmen von dem Marktführer in die Insolvenz getrieben. Überforderungen und persönliches Fehlverhalten durchzogen die neu geschaffene Ver-triebspyramide durch alle Instanzen.

Einladung zum Vertragsbruch

Bonn, 13. Oktober 2008, die Zentrale der Deutschen Telekom in der Friedrich-Ebert-Allee 140: Der Telekom-Vorstand legt Wert auf strikte Anonymität. Der Informant, der an diesem Nachmittag den Konzernchefs den Missbrauch von Kundendaten schildert, geht mit dem Namen „externer Hinweisgeber“ in die Unternehmensakten ein. Der Anonymus berichtet von einem Fall, der den frisch bestellten Datenschutz-Vorstand Balz noch bis weit ins Jahr 2009 beschäftigen wird. Ein Vertriebspartner habe „vertragswidrig für eigene Zwecke auf die Kundendatenbank der T-Mobile Deutschland zugegriffen“, heißt es im Datenschutz-Bericht der Telekom. Durch die „unbefugte Verwendung von Kennungen“ hätten mehrere externe Callcenter vorschriftswidrig monatelang im großen Stil Kunden von T-Mobile anrufen und deren auslaufende Verträge verlängern können.

Der Vorwurf richtet sich nicht gegen irgendeine Callcenter-Klitsche. Er zielt auf ein Unternehmen, das zu den Hauptakteuren des neuen Vertriebssystems der Telekom zählt und zusammen mit anderen die Spitze der Verkaufspyramide bildet: die Handyshop-Kette dug, die kurz zuvor vom Wettbewerber Debitel übernommen worden war.

An dug zeigt sich die ganze Krux des neuen Pyramidensystems, das offenbar die Telekom zu großzügigen Sonderzahlungen verleitete. Die Bonner spannten dug vor allem ein, um Kunden und Marktanteile in Ostdeutschland zurückzugewinnen. Zunächst gab es Zuschüsse in Höhe von 25 000 Euro für jeden neu eröffneten dug-Shop. Den Zuschlag durfte dug nur behalten, wenn der Shop acht Monate durchhielt und einen vorher festgelegten Mindestabsatz übertraf. Doch das schaffte nicht jeder Laden. Um via dug flächendeckend in Ostdeutschland präsent zu sein, drückten Telekom-Manager deshalb offenbar mehrfach beide Augen zu, wenn Shops mangels Laufkundschaft ihre Bilanz mit nicht zulässiger Telefonakquise aufpeppten.

Die Telekom machte dug zu einer Art Durchlauferhitzer für selbstständige externe Callcenter. Dafür sorgte ein Provisionssystem, das den Callcenter-Betreibern Aufschläge von bis zu 30 Prozent versprach, wenn sie Neuverträge und Vertragsverlängerungen über die Shops des Filialisten dug in die Vertriebsportale der Telekom eingaben. Die dafür erforderlichen Kennungen und Zugangskodes der rund 400 Shops gaben dug-Manager heraus. Dem Datenmissbrauch war dadurch Tür und Tor geöffnet.

Als der anonyme Zeuge dem Telekom-Vorstand von diesen Missbrauchsmöglichkeiten berichtet, stellt dies die Zusammenarbeit mit dug auf eine harte Probe. Monatelang streitet die Telekom mit ihrem Dienstleister, wer die Verantwortung für den Datenmissbrauch trage. Dann, im Dezember 2008, handeln beide Unternehmen einen Kompromiss aus. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Price-waterhouseCoopers (PwC) soll ergründen, „in welchem Umfang und auf welche Weise Direktvermarktungspartner der Deutschen Telekom Datensätze missbräuchlich erhalten und genutzt haben“. Würde PwC fündig, dürfte die Telekom dug fristlos kündigen.

Grafik: Verkaufspyramide Deutsche Telekom

Doch die Untersuchungen von PwC nehmen eine ungeahnte Richtung. Sie führen in die Spitze der Telekom-Mobilfunktochter: Zwei T-Mobile-Manager, darunter der damals für den Handel zuständige Bereichsleiter Sascha Hancke, hätten „Kenntnisse“ gehabt, heißt es in dem PwC-Abschlussbericht, dass die dug-Händler neben eigenen Mitarbeitern auch externe Callcenter zur Telefonakquise einsetzten – also gegen den Vertrag verstießen.

Damit droht der Fall dug zu einem Fall Deutsche Telekom zu werden. Als PwC die T-Mobile-Manager zu den Vorfällen befragen will, blockt die Telekom ab. Die beiden Manager stünden „ausdrücklich nicht zu einem Gespräch zur Verfügung“, heißt es in dem im April 2009 veröffentlichten, streng vertraulichen Abschlussbericht, den die WirtschaftsWoche einsehen konnte. Damit muss PwC auch die Frage unbeantwortet lassen, ob die beiden T-Mobile-Manager „Kenntnisse von der automatisierten Massendatenabfrage seiner Vertriebspartner“ hatten. Die Telekom deklariert das Gutachten als Verschlusssache und lässt es in den Aktenschränken verschwinden.

Auf den Datenmissbrauch an der Spitze der Verkaufspyramide angesprochen, bestätigt die Telekom, dass einzelne T-Mobile-Mitarbeiter Kenntnis vom vertragswidrigen Verhalten des Vertriebspartners hatten. Die konzerneigene Revision habe den Auftrag zur Befragung und zur Untersuchung interner Prozesse bekommen – und dabei offensichtlich Missstände festgestellt. „Ein Mitarbeiter wurde abgemahnt, ein anderer hat das Unternehmen zwischenzeitlich verlassen“, heißt es offiziell. Der inzwischen zum koreanischen Handyhersteller LG gewechselte und dort zum Vertriebschef für Deutschland aufgestiegene Ex-T-Mobile-Bereichsleiter Hancke weist die Vorwürfe zurück: „Die Revision konnte bei mir kein Fehlverhalten feststellen“, sagt Hancke. Es sei sogar seine Initiative gewesen, dass einer seiner Mitarbeiter eine Abmahnung bekommen hätte.

Telekom machte es Partnern leicht, mit Kundendaten Schindluder zu treiben

Eningen in Baden-Württemberg, gut eine Autostunde südlich von Stuttgart. Am 21. Juli 2009 fährt die Kripo zur Hausdurchsuchung in der Harretstraße 6 vor, dem Hauptsitz von Sedi Media, einem Hauptvertriebspartner der Telekom. Deutschlandweit schlagen die Ermittler an jenem Tag in fast 30 weiteren Firmen und Privatwohnungen zu und stellen Millionen von elektronischen Kundendaten der Telekom sicher. Seit mehreren Monaten hat die Staatsanwaltschaft Bonn ermittelt. Es geht um die Bildung einer kriminellen Vereinigung; unter anderem mit der Absicht, illegal erlangte Daten zu verkaufen. Angeblich sollen allein Mitarbeiter von Sedi Media vier Millionen Daten aus der zentralen Datenbank der Deutschen Telekom abgezogen haben. Sedi Media will sich zum laufenden Verfahren nicht äußern.

Die der WirtschaftsWoche vorliegenden Ermittlungsakten zeigen indes, wie leicht es die Telekom ihren Partnern in der neu geschaffenen Verkaufspyramide gemacht hat, mit Kundendaten Schindluder zu treiben. Denn damit die Callcenter schnell loslegen können, öffnet die Telekom großzügig ihre Datenbank mit Informationen über Millionen ihrer Kunden.

Zum einen erhalten die Akteure an der Spitze der Pyramide, also Unternehmen wie Sedi Media und dug, im großen Stil Daten über Telekom-Kunden, um diese an Callcenter weiterzureichen, damit deren Agenten etwa auslaufende Verträge verlängern oder den Kunden neue Angebote verkaufen konnten. Dazu übergibt die Telekom dug & Co. Listen in elektronischer Form mit Datensätzen von 10 000 bis 100 000 Kunden, die auch Subunternehmen und Callcenter bekommen (WirtschaftsWoche 43/2009).

Zum anderen schafft die Telekom die technischen Voraussetzungen, dass etwa Callcenter mithilfe des Namens und der Nummer des Kunden weitere Informationen direkt aus der Datenbank der Telekom abrufen konnten. Zu diesem Zweck installiert der IT-Dienstleister a.k.t. Informationssysteme aus Passau einen Zugang zum Kundenmanagement-System der Telekom, der vielen in der Branche bald als „akt-Schnittstelle“ ein Begriff ist.

Telekom-Finanzchec Timotheus Quelle: dpa

Richtig hohe technische Hürden, damit der automatisierte Abruf unmöglich wird, hat die Telekom laut Aussage von Brancheninsidern lange Zeit nicht errichtet – aus welchen Gründen auch immer. „Das ist in etwa so, als wenn eine Bank die Tür zu ihrem Geldtresor nur anlehnt und dann nach einem Diebstahl argumentiert, das sei doch verboten gewesen“, sagt ein Kenner der Callcenter-Szene, der ungenannt bleiben will. Seiner Einschätzung nach haben sich noch bis ins Jahr 2009 hinein viele Callcenter weitgehend ungehindert aus dem Datenschatz der Telekom bedienen können.

Die Telekom selbst widerspricht diesem Verdacht entschieden. Sie habe verschiedene Sicherheitssysteme für Kundendaten aufgebaut und kontinuierlich verbessert. Aufsichtsbehörden hätten dies geprüft. Wie leicht Daten tatsächlich von Telekom-Partnern abgerufen werden konnten, zeigt allerdings das Beispiel Sedi Media. „Und das ist nur die Spitze des Eisbergs“, sagt der frühere Vertriebschef eines Callcenters, der ungenannt bleiben will. Vor allem nachts und am Wochenende wurden deutschlandweit im großen Stil Datenmengen abgezogen, berichten Insider und bestätigen damit Aussagen, die der Staatsanwaltschaft Bonn vorliegen.

Konzernmitarbeiter geraten ins Visier der Fahnder

Besonders heikel werden solche Aussagen für die Telekom, weil sie zugleich Konzernmitarbeiter ins Visier der Fahnder bringen. Denn auch als die Konzernzentrale den Zugang zu ihrer Kundendatenbank verschärft, bedienen sich viele Callcenter offenbar weiter des Telekom-Datenschatzes, und zwar über persönliche Kontakte zu Telekom-Mitarbeitern. Einer von ihnen, das geht aus den der WirtschaftsWoche vorliegenden Ermittlungsakten der Bonner Staatsanwaltschaft hervor, ist Markus P.* aus St. Augustin bei Bonn, der bis Sommer 2009 Manager beim Telekom-Vertriebspartner Sedi Media war. Bis Ende 2007 hat P. zwölf Jahre lang auf verschiedenen leitenden Positionen im Vertrieb der Deutschen Telekom gearbeitet. Dass P. über Hintermänner bei der Telekom verfügt, erfahren die Ermittler durch eine breit gefächerte Telefon-Abhöraktion bis Mitte 2009.

Einen der überaus vorsichtig agierenden Hintermänner hat die Staatsanwaltschaft Bonn inzwischen ermittelt: Murat K.*, der bis Ende 2008 Leiter eines Telekom-Shops in Köln war und zuletzt Geschäftskunden der Niederlassung Köln von T-Mobile betreut. Über Murat K. will Markus P. bestimmte Verträge abrechnen, für die K. im Gegenzug einen Teil der Provisionen erhalten soll. Weiterhin soll K., so der „dringende Tatverdacht“ der Staatsanwaltschaft, der „kriminellen Vereinigung“ um P. die Zugangsdaten zum T-Mobil-Portal verschaffen.

Die Akten der Staatsanwaltschaft zeigen, dass K. der Telekom offenbar bereits als Filialleiter aufgefallen ist: So soll es schon im Jahr 2008 Ungereimtheiten bei der Abrechnung von 300 Handygeräten gegeben haben, die nach einer missglückten Verkaufsaktion auf der Telekom-Hauptversammlung in der KölnArena plötzlich in T-Shops in Kölner Vororten auftauchten, die Verwandten von K. gehören und dort zu Sonderkonditionen angeboten wurden. Entsprechenden Hinweisen geht die Staatsanwaltschaft Bonn nach. Die Telekom jedenfalls will die Nebengeschäfte ihrer Vertriebsmanager künftig genauer kontrollieren und mit Abmahnungen ahnden.

Köln, Mitte Juli 2007. In der Magnusstraße 11 im Herzen der Domstadt gegenüber dem Marriott-Hotel, wo zufällig auch die Unternehmensberatung McKinsey arbeitet, sitzen die beiden Callcenter-Firmen SCP und ICC von Peter Olewe. Der 57-Jährige, der seit mehr als 30 Jahren im Vertrieb arbeitet, wähnt sich auf der Überholspur. Angelockt von Provisionen in Höhe von bis zu 165 Euro pro Vertragsabschluss, die die Telekom von oben in die Vertriebspyramide schüttet, will auch Olewe dicke Geschäfte machen.

40 Euro pro Abschluss sollen bei ihm, in der dritten Vertriebsebene unterhalb der Telekom, hängen bleiben. So lautet das Angebot seines Vermittlers. „Das klang wie ein todsicheres Geschäft, schließlich ging es nicht um Verkauf, sondern eine Tarifumstellung bei Bestandskunden – und das für ein Unternehmen wie die Telekom“, sagt Olewe heute.

Grafik: Verkauf DSL / Insolvenzen Callcenter

Der Kölner reagiert fix. Von Mai bis Juli 2007 stellt er seine 30 Mitarbeiter auf die Arbeit für die Telekom um und heuert zusätzliche Kräfte an. In der Spitze beschäftigt Olewe fast 100 Callcenter-Agenten an drei Standorten in Köln, die nichts anderes machen, als Telekom-Kunden abzutelefonieren, um ihnen den neuen DSL-Internet-Tarif schmackhaft zu machen.

Im Spätsommer 2007 läuft die Vertriebsmaschine der Telekom durch Tausende Unternehmen, wie sie Olewe betreibt, heiß. Kam der Magenta-Konzern zuvor auf rund 30 000 Vertragsabschlüsse pro Woche, explodierte die Zahl Mitte 2007 auf vermutlich 250 000, schätzt ein Callcenter-Betreiber. Doch die Masse überfordert die neue Verkaufspyramide. „Das war ein Desaster“, erinnert sich Olewe, „alle Systeme der Telekom waren total überlastet.“ In einem Schreiben vom 31. Juli 2007, das der WirtschaftsWoche vorliegt, räumt die Telekom gegenüber Vertriebspartnern die Überlastung ganz offen ein: „Die Störfaktoren, von denen Sie zum Teil massiv in Ihrem Geschäftsalltag betroffen sind, sind uns bekannt. Alle an dem Projekt Beteiligten arbeiten mit Hochdruck an Lösungen“.

Die Probleme bleiben nicht ohne Folgen, vor allem treffen sie – wie oft in solchen Fällen – die Kleinsten. Mit der schleppenden Auftragsbearbeitung stocken nämlich auch Abrechnung und Bezahlung der Callcenter. Immer wieder verschickt die Telekom Durchhalteparolen, insbesondere die vielen kleineren und mittelgroßen Callcenter kommen zunehmend in Bedrängnis. „Schon im August 2007 saß ich nur noch mit zwölf Leuten da, weil alle anderen Callcenter-Mitarbeiter wegen ausstehender Zahlungen die Brocken hingeworfen hatten. Einen Monat später waren gar nur noch fünf Mitarbeiter übrig“, erinnert sich Olewe. Doch die Telekom vertröstet weiter, etwa im November 2007, als T-Mobile-Chef Humm per Rundbrief verspricht: „Im Rahmen einer besonderer Kulanzregelung erhalten Sie im Laufe der kommenden Woche eine gesonderte Abschlagszahlung“.

Telekom-Managern bleiben von Vorwürfen unbeeindruckt

Geholfen hat das den klammen Callcenterbetreibern wie Olewe wenig: Dem Kölner bleibt nur, den Mantel seiner Firma ICC Mitte 2008 zu verkaufen, SCP muss er Ende 2008 komplett schließen. Mit seinem Schicksal steht Olewe nicht allein. Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform hat für 2008 – das Jahr nach der großen Telekom-Vertriebsoffensive – für die Callcenter eines der höchsten Insolvenzrisiken aller untersuchten Branchen sowie einen deutlichen Anstieg gegenüber 2007 festgestellt.

Ob es Balz gelingt, die kriminogenen Strukturen zu zerschlagen, wird sich erst in einigen Monaten zeigen. Über das 34-Punkte-Programm will der Vorstand auf einer der nächsten Sitzungen entscheiden. Nur zu gern würde Balz eine Rotation bei den Managern im Telekom-Vertrieb einführen, damit Seilschaften künftig gar nicht erst entstehen können. Doch ob der Vorstand diesen Vorschlag aufgreift, ist offen.

Den verantwortlichen Telekom-Managern konnte das Organisationschaos durch das neue Vertriebssystem sowie die daraus resultierenden Datenskandale bisher nichts anhaben. Konzernchef Obermann weist jede Mitschuld an den Lecks und Pannen von sich und propagiert einen „Datenschutz ohne Kompromisse“. Ex-T-Mobile-Deutschland-Chef Philipp Humm, der Vollstrecker der Vertriebsoffensive, wurde von Obermann in den neu geschaffenen Europa-Vorstand der Telekom versetzt. Und Direktvertriebsspezialist Hancke arbeitet seit dem 1. November für den Handyhersteller LG.

Ihm gab die Telekom zum Abschied in einer Pressemitteilung ein dickes Lob mit auf den Weg: „Die von ihm geführten Vertriebskanäle haben sich zu erfolgreichen Einheiten entwickelt und haben großen Anteil am Ausbau der Marktführerschaft.“

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