100 Tage Tom Blades Der Bilfinger-Karren steckt noch im Dreck

Vor rund 100 Tagen wurde der frühere Linde-Vorstand Tom Blades Chef des krisengequälten Bilfinger-Konzerns. Die Zwischenbilanz fällt gemischt aus. Aber der Kurs steigt unter Blades wieder über die 30-Euro-Marke.

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Thomas Blades. Quelle: Bilfinger

Die Startphase der Ära Blades bei Bilfinger erinnert an den Film „Der Flug des Phönix“. Der Streifen erzählt, wie überlebende Passagiere nach einer Bruchlandung in der Wüste versuchen, die Trümmer ihres Flugzeugs neu zusammenzuschrauben und das Provisorium flugfähig zu machen. Misslänge das, würden sie alle verdursten.

Der Film hat natürlich ein Happy End. Wie hingegen das Himmelfahrtskommando bei dem schwer kriselnden MDax-Konzern in Mannheim einmal endet, ist ungewiss. Negativ betrachtet aus heutiger Sicht: Der Bilfinger-Karren steckt auch nach gut drei Monaten Blades weiter im Dreck – er hat seit dem Verkauf der gut funktionierenden Gebäudemanagementsparte zudem ein stabiles Rad weniger. Positiv betrachtet. Tom Blades arbeitet ernsthaft daran - wie der von Hardy Krüger dargestellte Heinrich Dorfmann aus dem Hollywood-Streifen von 1965 – aus den Bilfinger-Bruchstücken ein bewegliches neues Unternehmens-Vehikel zusammenzusetzen. Die Frage ist, ob das schwer strapazierte Material dafür reicht? Massive Hindernisse stellen sich dem in Hamburg geborenen Briten in den Weg.

Hindernis eins: Die Bilfinger-Mitarbeiter misstrauen ihren Chefs

Wer zur Bilfinger-Belegschaft gehört, hat in den vergangenen Jahren unglaublich viel Management-Versagen erlebt. Die vom langjährigen Vorstandschef Herbert Bodner verfügte Total-Abkehr vom Baugeschäft erwies sich als Fehleinschätzung. Die Baubranche floriert heute – aber ohne Bilfinger. Das Geschäft mit Dienstleistungen für Industrieanlagen und Kraftwerke hingegen, in das Bodner Bilfinger trieb, leidet extrem unter anderem durch Energiewende und Ölpreisverfall. Der Ex-Politiker Roland Koch, der seit Sommer 2011 das Unternehmen leitete, dann noch einmal Herbert Bodner als Übergangschef nach Kochs desaströsem Abgang 2014 sowie der Norweger Per Utnegaard, der nur zehn Monate im Amt war, haben jegliches Vertrauen der Mitarbeiter in die Fähigkeiten der Führungskräfte verbraucht. Blades braucht also einen langen Atem, um die Crew von sich zu überzeugen.

Ein Betriebsrat beschreibt den skeptischen Blick auf die von außen gekommenen Manager so: „Die sagen heute bei uns ´Wir´, und morgen sagen sie woanders ´Wir´.“ Das Misstrauen der Bilfingerianer gilt unter anderem dem Aufsichtsratsvorsitzenden Eckhard Cordes, der vor allem den Interessen des Bilfinger-Großaktionärs Cevian verpflichtet zu sein scheint, bei dem Cordes Partner ist. Und das Misstrauen gilt Blades - trotz seines konzilianten Auftretens und seines Werbens um Vertrauen. Solange nicht auszumachen ist, ob Blades Entscheidungen mehr dem Erhalt von Bilfinger oder einem achtbaren Ausstieg Cevians aus dessen Fehlinvestment dienen – und damit notfalls einer Zerschlagung des Unternehmens – ändert sich daran nichts.

Zerschlagen hat sich die Hoffnung der Arbeitnehmervertreter, dass ein interner Kandidat, der das Vertrauen der Belegschaft hat, den bisherigen Finanzvorstand Axel Salzmann beerben könnte, der wenige Wochen aus völlig ungeklärten Gründen nach nur anderthalb Jahren Amtszeit im September Bilfinger verlassen hat. Stattdessen wacht nun der neue CFO Klaus Patzak über Finanzen und Sparprogramme. Patzak sagte vor kurzem noch bei Osram ´Wir´, bis sich der Licht-Konzern von dem Manager im April trennte.

Vorstandsmitglied Jochen Keysberg  hat gerade mit der Gebäudemanagementsparte den Konzern verlassen. Er führt die Sparte nun als Unternehmen namens „Apleona“ als Vorstandschef unter dem Dach des Finanzinvestors EQT. Keysberg war der letzte Vorstand mit echtem Bilfinger-Stallgeruch.

Hindernis zwei: Die US-Justiz misstraut Bilfinger

Bilfinger ist das dritte und derzeit einzige deutsche Unternehmen, das wegen Korruptionsvergehen unter Aufsicht des US-Justizministeriums steht.  Eigentlich sollte diese Kontrolle 2016 enden. Nun aber wurde das 2013 abgeschlossene sogenannte „Deferred Prosecution Agreement“ (DPA) mit den US-Behörden bis zum 9. Dezember 2018 verlängert, bestätigte der Konzern unlängst gegenüber dem „Handelsblatt“. Bei einer US-Reise im November hat Bilfinger-Chef Blades deshalb unter anderem Termine mit der US-Staatsanwältin Laura Perkins.

Bilfingers Compliance-Probleme sind also trotz jahrelanger Bemühungen nicht ausgestanden – auch wenn der Konzern „null Toleranz - auf allen Stufen unseres Unternehmens“ verkündet. Die Vorgeschichten: ein Korruptionsfall in Nigeria, für dessen Beilegung Bilfinger vor drei Jahren 32 Millionen Dollar Strafe zahlte; ein weiterer Fall in Brasilien, wo im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 für Aufträge rund eine Million Euro an Staatsbeschäftigte geflossen sein sollen. Fünf Ex-Vorstände, darunter Herbert Bodner, wurden bei der diesjährigen Hauptversammlung unter anderem deshalb nicht entlastet.

Die Aufarbeitung der Vergangenheit kostet Bilfinger nach eigenen Angaben 50 Millionen Euro für „Einmalaufwendungen im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung und dem Re-Design unseres Compliance-Systems sowie des Abschlusses von Altfällen“. Bilfinger bezahlt indirekt den Juristen Mark Livschitz, der für das US-Justizministerium als Überwacher („Monitor“) fungiert und Aufsichtsrats- und Vorstandssitzungen besuchen darf. Der frühere FBI-Direktor Louis Freeh wird von Bilfinger als Berater honoriert.

Umso unangenehmer, dass gerade ein weiterer Fall neu bekannt wird: Die Staatsanwaltschaft Würzburg bestätigte Anfang September Recherchen der WirtschaftsWoche, wonach sie seit Oktober 2015 unter anderem gegen Helmut Welp, den Geschäftsführer der Würzburger Bilfinger-Tochter Babcock Noell, wegen Untreue ermittelt. Aufzuklären ist, ob beim Bau von drei Kraftwerken in Rumänien zweifelhafte Zahlungen in sechsstelliger Höhe an einen Dienstleister flossen.
Babcock-Noell-Geschäftsführer Welp nahm auf Anfrage dazu nicht Stellung. „Ob gegebenenfalls Anklage erhoben“ wird, ist laut Staatsanwaltschaft Würzburg noch offen. Über den Babcock-Noel-Fall hat einem Konzernsprecher zufolge Bilfinger „die Behörden in Eigeninitiative informiert“.

Hindernis drei: Bilfinger misstraut seinen Märkten


Auf die Erträge der soliden Gebäudemanagement-Sparte konnte sich Bilfinger verlassen. Noch im Oktober 2015 hat sie der damalige Vorstandschef Utnegaard zum Kerngeschäft gezählt – um wenige Wochen später die Verkaufsverhandlungen zu bestätigen. Was nun übrig ist vom damals eingegrenzten Kerngeschäft ist die Sparte Industriedienstleistungen. Was Blades wider Willen weiter führen muss, ist das unter der Energiewende leidende Geschäft mit Kraftwerksdienstleistungen. Diesen Geschäftsbereich versuchte Utnegaard en bloc zu verkaufen. Das aber ist misslungen und ein Einzelverkauf der Unternehmen mühsam. Bei dieser Ausgangslage ist die wohl größte Schwierigkeit von Blades, in den nächsten Wochen eine Strategie zu benennen, die Mitarbeiter und Investoren überzeugt und die tatsächlich zukunftsfähig ist.

Über Bord geworfen hat Blades offenbar schon die Utnegaard-Doktrin, Bilfinger solle nur noch in Europa Geschäfte machen und alles andere sein lassen. Jüngst verkündete Bilfinger neue Deals in Iran und Texas.

Die Frage ist, ob neue Geschäftsabschlüsse den misstrauischen Blick auf die eigenen Märkte nachhaltig aufhellen. Vor wenigen Monaten noch hatte der Konzern im Geschäftsbericht 2015 gewarnt, „aufgrund der Nachfrageschwäche im Öl- und Gasbereich“ sei 2016 im gesamten Industrieservicegeschäft ein „deutlicher Rückgang der Leistung gegenüber 2015“ zu erwarten. Mitteilungen wie die vom 6. Oktober, Bilfinger habe im norwegischen Öl- und Gasmarkt mit Statoil und einem weiteren Kunden Aufträge im Wert von 270 Millionen Euro verlängert, stimmen hingegen optimistisch.

Nicht zuletzt deshalb steigt der Bilfinger-Kurs, der von 93 Euro (2014) bis kurz vor Blades Amtsantritt auf 25 Euro abgestürzt war, wieder über die 30-Euro-Marke. Zum hundertsten Amtstag kann sich Blades rund 14 Prozent Kursgewinn ans Revers heften. Optimistische Analysten geben gar ein Kursziel von 50 Euro aus.

Aber ist das schon die Trendwende? Zahlen über die Öl- und Gas-Sparte gab Blades bei der Vorstellung der Halbjahreszahlen nicht preis. Stattdessen nannte er wie üblich bei Bilfinger keine detaillierten Zahlen der einzelnen Divisionen und ihrer einzelnen Unternehmen.

Die Unsicherheit in der Belegschaft ist riesig - überall im Rest-Unternehmen. Welche Bilfinger-Töchter im Kraftwerksservice- und im Bereich Industriedienstleistungen werden saniert, um sie zu behalten und welche, um sie zu verkaufen? Wie hoch sind die Sanierungskosten, die auf Bilfinger zukommen? Wie viele Stellen werden dabei abgebaut?

Die Zahl der Mitarbeiter in der Zentrale etwa will Blades durch ein Freiwilligen-Programm senken, wurde Ende September bekannt. Ältere Beschäftigte, die zum Abschied bereit sind, sollen pro Jahr Betriebszugehörigkeit ein Monatsgehalt als Abfindung bekommen. Hinzu kommen Sprinterprämien. Jeder der gut 300 Beschäftigten in der Verwaltung kann das Angebot annehmen. Wie viele Stellen auf diese Weise abgebaut werden sollen, ist offen. Ein Arbeitnehmervertreter erwartet aber „starke Nachfrage, da die Stimmung in der Belegschaft ganz mies ist“.

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