Abholbox für Lebensmittel Der Kampf um die kalte "letzte Meile"

Milch, Tiefkühlpizza oder Frischfleisch online zu bestellen klingt bequem – doch wie kommen gekühlte Waren zum Kunden, wenn der nicht daheim ist? Temperierte Packstationen sollen nun den letzten Abschnitt überwinden.

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Mit der Bahnhofsbox wird der Einkauf für Pendler einfacher. Quelle: Presse

Stuttgarts Hauptbahnhof war in den vergangenen Jahren vor allem wegen des Streits um den Neubau S21 in den Schlagzeilen. Ende März richtete sich die Aufmerksamkeit jedoch auf eine vermeintliche Wand aus Schließfächern mit Werbung drauf. Das Logo der Bahn prangt neben dem von Edeka, das übergroße Foto zeigt die Zutaten für ein Pastagericht. Das Wort „emmasbox“ steht ebenfalls darauf, „Frische Lebensmittel. Online einkaufen. Hier abholen.“ Ähnlich einem Fahrkarten- oder Geldautomat ist in der Mitte ein Monitor, daneben ein Karten-Schlitz, darüber ein Zahlenfeld für die Eingabe einer PIN.

Der Kasten ist das letzte Glied einer Kette, die im Handel mit verderblichen Waren eines der größten Hindernisse für die Anbieter darstellt: die ununterbrochene Kühlkette.

Gesetzliche Vorschriften regeln, bei welcher Temperatur tiefgefrorenes Fleisch oder Fisch (-18 Grad Celsius), Frischfleisch (4 Grad), Milch- und Molkereiprodukte (8 Grad), Schokolade (15 bis 18 Grad) oder Mangos (12 Grad) den Kunden erreichen müssen. Das ist für den Lebensmittelhandel, der sich mit Rewe-Online, Amazon fresh oder allyouneedfresh anschickt, den Marktanteil von Onlinebestellung und –versand für verderbliche Waren zu erhöhen, der entscheidende Punkt: Wie kommt alles in der richtigen Temperatur beim Kunden an?

Üblicherweise endet die Verantwortung der Händler dafür auf dem Laufband der Supermarktkasse. Doch Produkte wie Basilikum, Joghurt oder Salami über das Internet zu bestellen und geliefert zu bekommen, ist einer der wichtigsten Trends des Lebensmitteleinzelhandels. Etwa 1,3 Milliarden Euro wurden 2016 online im deutschen Lebensmitteleinzelhandel umgesetzt - dem stehen 160 bis 170 Milliarden Euro im stationären Handel gegenüber.

Das wird nicht so bleiben. Die Strategieberatung Oliver Wyman rechnet bis 2020 mit einem Umsatz von sechs bis acht Milliarden Euro mit Onlinebestellungen - das wären rund vier bis fünf Prozent statt 0,8 Prozent im vergangenen Jahr.

Kalte letzte Meile

Doch es gibt Hindernisse. Schon beim Versand unverderblicher Ware ist die „letzten Meile“, der letzte Abschnitt auf dem Weg zum Haushalt, schwierig. Der Umgang mit frischer Ware verschärft das Problem. Können Socken, Fernseher oder Zelte beim Nachbarn hinterlegt werden oder gar Tage im Depot warten, würden Eiscreme, Hühnerbrustfilets oder Hefeklötze rasch vergammeln, sollte der Empfänger nicht zu Hause sein.

Edeka und Kaufland gehören zu den ersten Anbietern, die nun Click&Collect-Stationen bestücken. Die Deutsche Bahn wird im Mai im Berliner Ostbahnhof eine zweite "emmasbox" installieren, Kaufland wird nach einem Standort in Berlin demnächst in Hamburg eine Kühlbox aufstellen.

Die umsatzstärksten Onlinehändler

Das Vorbild ist schon seit vielen Jahren in Deutschland sichtbar: die gelben Packstation von DHL. Rund 3000 Stück stehen davon in Deutschland parat, um Onlinekunden zu erleichtern, an ihre bestellten Kuchenformen, Salatschüsseln und Bücher zu kommen.

Für Lebensmittel ist die Technik jedoch aufwändiger. Kunden kaufen in der Regel nicht nur Waren aus einer Temperaturzone. Und alle Waren im kühlsten Fach zu lagern, ist spätestens mit Bierflaschen in der Tiefkühlzone eine sofort ersichtlich dumme Idee. Ein Kunde, der Tiefkühlpizza, Himbeerjoghurt und Trockenwaren wie Mehl, Nudeln oder eingemachtes Gemüse kauft, belegt entsprechend mindestens zwei Fächer. Der Händler wiederum muss die Lieferung an einen Kunden auf verschiedene Fächer aufteilen.

Frische und durchgängige Kühlung sind ausschlaggebend

Der komplexe Umgang mit Lebensmitteln, der anderen Regeln folgt als Produkte aus Drogerie- oder Baumarkt, ist es wohl auch, der Branchenriese DHL davon abhält, sein flächendeckendes Netz an Packstationen um gekühlte Varianten zu erweitern. „Das haben wir geprüft und entschieden, dass es zu diesem Zeitpunkt nicht zu unserer Strategie passt“, sagt eine DHL-Sprecherin. Das Unternehmen setze viel mehr auf Kühllösungen am Wohnort der Kunden unter anderem des eigenen Supermarktangebots allyouneedfresh.de

Das gibt neuen Spielern ein wenig Luft, um groß zu werden. So die open ideas GmbH. „Unser Stärke ist die Software“, sagt Benjamin Slotty von open ideas, das die emmasbox vertreibt. Von den elf Mitarbeitern sind die meisten mit der Softwaretechnik beschäftigt. Sie sorgen dafür, dass der der Computer für den Händler die optimale Bestückung der verschiedenen Kühlboxen organisieren kann.

Drei Temperaturzonen hat emmasbox, Kunden müssen gegebenenfalls bis zu drei Fächer öffnen, um alle Besorgungen abzuholen. Und das zu einer bestimmten Zeit. Ähnlich wie temperaturgeführte Zustellungen in einem Zeitfenster von etwa zwei Stunden erfolgen, wählt der Kunde der Kühlboxen ebenfalls ein Zeitfenster aus, in dem er die Waren abholt. Das Fach kann der Händler natürlich erst dann neu befüllen, wenn es leer ist. Den reibungslosen Ablauf muss die Software gewährleisten. Der Kunde soll zudem mit nur wenigen Handgriffen, sich ausweisen und die Ware entnehmen können.

Daraus ergeben sich komplexe Prozesse, deren Lösung open ideas seit Jahren verfolgt. Zunächst waren sie Pioniere, das Segment ist noch klein – aber nun wächst es und die Konkurrenz mit. „2013 waren wir auf der Messe Euroshop noch allein“, sagt Slotty. 2017 stellten gut ein halbes Dutzend Spezialisten wie das Unternehmen Carrier ihre Lösungen für gekühlte Packstationen auf der Handelsmesse vor. Die Entwicklung wird von der Politik unterstützt. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie förderte im Rahmen des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand (ZIM) die Entwicklung eines „Schließfachsystems mit Kühl- und Gefrierfunktion“ eines Unternehmens aus Bayern.

Wenn die Zahl der Anbieter von Kühlelementen steigt, wird auch für Händler oder dritte Anbieter die passende Lösung leichter zu finden sein. Je nach Standort und Struktur der umliegenden Kundschaft sind die Bedürfnisse an die Boxen unterschiedlich. Preiswerter als Zustellung sei die Box, meint Slotty.

Die Bahn verknüpft aber noch ganz andere Hoffnungen mit den Kühlboxen. „Unser primäres Ziel ist, unseren Kunden mit der Bahnhofsbox einen neuen attraktiven Service anzubieten und damit den Aufenthalt auf den Bahnhöfen insbesondere für Pendler aufzuwerten“, sagt ein Bahnsprecher. Die beiden Standorte in Stuttgart und Berlin sind ein Pilotprojekt, von dessen Verlauf es abhängt, ob dem Modell gekühlte Packstation eine große Zukunft beschert ist in deutschen Bahnhöfen.

Und einmal mehr schielt die Branche auf Amazon, das traditionell wenig über seine Pläne verlauten lässt. Fest steht, dass der Versender plant, eigene Packstationen aufzustellen und mit Amazon fresh auch den Handel mit frischen Lebensmitteln weiter forcieren wird.

Soll das erfolgreich sein, gilt es auch für Amazon die Vorbehalte der Kundschaft beiseite zu räumen. In einer Umfrage von 2016 nannten mit 88 Prozent von 1000 Befragten nach den Gründen, die gegen den Kauf von Lebensmitteln im Internet sprechen, befragt: „Frische kann nicht selbst überprüft werden.“ Auf Rang 2 landete mit 79 Prozent „Keine durchgängige Kühlung der Produkte“. Zumindest das ist für Reisende im Stuttgarter Hauptbahnhof kein Argument mehr.

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