
Die FIFA-Ethikkommission hat ein Verfahren wegen der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 an Deutschland eröffnet. Die Untersuchungen richten sich unter anderem gegen den früheren DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach und den damaligen Organisationskomitee-Chef Franz Beckenbauer, wie der Weltverband FIFA am Dienstag mitteilte. Zudem wird gegen den ehemaligen DFB-Chef Theo Zwanziger, die früheren Generalsekretäre Helmut Sandrock und Horst R. Schmidt sowie den Ex-Direktor Stefan Hans ermittelt. Alle sechs waren Mitglieder des Organisationskomitees für die WM. Sie werden jeweils verdächtigt, den FIFA-Ethikcode verletzt zu haben.
Die FIFA-Ethikhüter erklärten, dass sie vor Einleitung des Verfahrens den Untersuchungsbericht der vom DFB beauftragten Kanzlei Freshfield geprüft hätten.
Im Zentrum der Affäre stehen zwei Zahlungen von 6,7 Millionen Euro. Mit Hilfe von Robert Louis-Dreyfus überwiesen Beckenbauer und sein Manager Robert Schwan diese Summe 2002 zunächst über ein Konto in der Schweiz an eine Firma des früheren FIFA-Funktionärs Mohamed bin Hammam in Katar. 2005 zahlte das WM-OK die 6,7 Millionen an den früheren Adidas-Chef Louis-Dreyfus zurück - allerdings bewusst falsch deklariert als Beitrag zu einer WM-Gala, die am Ende nie stattfand.
Die WM-Affäre - Was wir wissen - und was nicht
Darauf geben die unabhängigen Ermittler keine schlüssige Antwort. „Wir haben keinen Beweis für einen Stimmenkauf gefunden, können diesen aber auch nicht ausschließen“, heißt es in dem Freshfields-Bericht. Da bei der Untersuchung Daten fehlten, Akten und Dokumente nicht zugänglich waren und Personen wie der frühere FIFA-Präsident Joseph Blatter und ehemalige Mitglieder der FIFA-Exekutive sich nicht äußern wollten oder konnten, sei ein abschließendes Bild nicht darstellbar.
Die DFB-Zahlung von 6,7 Millionen Euro im Jahr 2005 steht im Zentrum der gesamten Affäre. Klar ist, dass diese Summe zur Rückzahlung eines Darlehens des früheren Adidas-Chefs Robert Louis-Dreyfus verwendet wurde. Entgegen der ursprünglichen Annahme war dessen Geld 2002 aber nicht im Auftrag der deutschen WM-Macher an die Finanzkommission des Weltverbands FIFA geflossen. Die Summe landete über mehrere Kanäle letztlich in Katar im Dunstkreis des inzwischen lebenslang gesperrten Mohamed Bin Hammam, einst Vizepräsident des Weltverbandes FIFA.
Diese Frage beantwortet der Untersuchungsbericht nicht. Eine Vermutung lautet, es wurde als Provision für einen FIFA-Zuschuss für die deutschen WM-Organisatoren in Höhe von 250 Millionen Schweizer Franken gezahlt. Eine andere Theorie lautet, mit dem Geld sei der letztlich erfolgreiche Wahlkampf des damaligen FIFA-Präsidenten Joseph Blatter unterstützt worden. Keinen Beleg gibt es dafür, dass damit Stimmen bei der WM-Vergabe im Jahr 2000 gekauft wurden - auch wenn Bin Hammam Chef der asiatischen Konföderation war.
Da kommt Franz Beckenbauer ins Spiel. Über ein Oder-Konto, das in Kitzbühel auf den „Kaiser“ und dessen inzwischen verstorbenen Berater Robert Schwan lief, wurden zwischen dem 29. Mai 2002 - einen Tag nach der Wiederwahl von FIFA-Boss Blatter - und dem 8. Juli 2002 in vier Tranchen 6 Millionen Franken an eine Schweizer Anwaltskanzlei überwiesen. Von dort wurde das Geld an ein Unternehmen in Katar, die KEMCO Scaffolding Co., weitergeleitet. Im August 2002 gingen die Dreyfus-Millionen auf dem Anwaltskonto ein. Vier Millionen Franken flossen erneut an KEMCO, der Rest ging auf das Beckenbauer-Konto.
Der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger hatte laut Freshfields schon spätestens im Mai 2005 Kenntnis von der verschleierten Zahlung in Höhe von 6,7 Millionen Euro an Dreyfus. Die Ermittler glauben sogar, dass Zwanziger noch früher Kenntnis hatte, können dies aber nicht beweisen. Ähnlich ist es bei seinem Nachfolger Wolfgang Niersbach. Mit Sicherheit lässt sich nur sagen, dass der im Zuge der Affäre zurückgetretene Ex-Boss Anfang Juni 2015 davon erfuhr.
Am 9. November tauchte im DFB-Archiv ein Vertragsentwurf zwischen dem Deutschen Fußball-Bund und dem notorisch korrupten früheren FIFA-Vizepräsidenten Jack Warner auf - unterschrieben von Franz Beckenbauer. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach trat an jenem Tag zurück. Seine Interimsnachfolger Rainer Koch und Reinhard Rauball werten diesen auf einen Tag kurz vor der WM-Vergabe datierten Vertrag zumindest als Bestechungsversuch. Die Abmachung sollte Warner unter anderem 1000 WM-Tickets der teuersten Kategorie einbringen, die einen Weiterverkaufswert von mehreren hunderttausend Dollar hatten.
Mit großer Wahrscheinlichkeit ist dieser Vertrag nie in vollem Umfang in Kraft getreten. Es wurden nach Erkenntnis der Ermittler lediglich einige Leistungen erbracht. Der Beckenbauer-Vertraute Fedor Radmann bezeichnete das Papier als „eine Art Beruhigungsvertrag“, mit dem der Funktionär aus Trinidad & Tobago davon abgehalten werden sollte, andere Wahlmänner negativ zu beeinflussen.
Zunächst keine. Die Untersuchungsergebnisse sollen in Ruhe in den Gremien besprochen werden. Laut Interimspräsident Rainer Koch müsste der Bericht erst detailliert geprüft werden, ehe man Forderungen äußern könne. Es werde aber nichts vertuscht oder unter den Teppich gekehrt. Eines steht für die neue Führungsmannschaft aber schon fest: Ein solcher Vorgang darf sich niemals mehr wiederholen.
Der DFB muss schnell die Frage beantworten, ob Ex-Präsident Niersbach den deutschen Fußball weiterhin in den Exekutivkomitees der FIFA und der UEFA vertreten soll. Dazu drohen den Protagonisten der WM-Affäre auch Schadensersatzforderungen durch den DFB. Diese Möglichkeit hat sich der Verband absichern lassen. Sollte der DFB im Zuge der Steuerermittlungen seine Gemeinnützigkeit für 2006 verlieren, könnten sich eine Strafzahlung und Steuernachzahlungen inklusive Zinsen und Zinseszinsen am Ende zu einem Schaden von 25 Millionen Euro addieren.
Schadenersatz in der WM-Affäre?
Wegen möglicher Schadenersatzforderungen in der WM-Affäre sollen Franz Beckenbauer, Wolfgang Niersbach und Co. am Dienstag nach Ostern zudem vor einer Schlichtungsstelle in Hamburg aussagen. Der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger bestätigte der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag einen entsprechenden Bericht der „Süddeutschen Zeitung“. Auch Zwanziger ist als weiterem Mitglied des Organisationskomitees der Fußball-WM 2006 der Gütetermin bei der Öffentlichen Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle (ÖRA) mitgeteilt worden.
Laut SZ-Bericht ist allerdings keiner der WM-Macher verpflichtet, vor der Hamburger Schlichtungsstelle auszusagen. Beckenbauer, Niersbach, Fedor Radmann und Hort R. Schmidt wollen demnach zu dem Termin auch nicht erscheinen. Lediglich Zwanziger erklärte auf Nachfrage: „Ich halte mir offen, mit meinem Anwalt dorthin zugehen.“
Der Deutsche Fußball-Bund hatte Ende 2015 mehrere Güteanträge bei der Öffentlichen Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle eingereicht. Sie richten sich gegen die früheren OK-Mitglieder, gegen den Weltverband FIFA sowie den Testamentsvollstrecker des früheren Adidas-Chefs Robert Louis-Dreyfus. Der DFB möchte damit verhindern, dass mögliche Ansprüche in der WM-Affäre verjähren. Sollte dem Verband in diesem Skandal ein finanzieller Schaden entstehen, möchte er die Möglichkeit behalten, das Geld von den früheren WM-Machern zurückzufordern.
Im Zentrum der gesamten Affäre und auch dieser Auseinandersetzung stehen zwei Zahlungen von 6,7 Millionen Euro. Mit Hilfe von Louis-Dreyfus überwiesen Beckenbauer und sein Manager Robert Schwan diese Summe 2002 zunächst über ein Konto in der Schweiz an eine Firma des früheren FIFA-Funktionärs Mohamed bin Hammam in Katar. 2005 zahlte das WM-OK die 6,7 Millionen an den früheren Adidas-Chef aus Frankreich zurück - allerdings bewusst falsch deklariert als Beitrag zu einer WM-Gala, die am Ende nie stattfand.
Der DFB wirft den OK-Mitgliedern vor, in der Steuererklärung zur WM 2006 „mutmaßlich unzutreffende Angaben“ gemacht zu haben. Der Verband droht deshalb, für das Jahr 2006 nachträglich seine Gemeinnützigkeit zu verlieren. Sollte das passieren, käme auf den DFB ein „erheblicher zusätzlicher Schaden“ zu, heißt es in den Anträgen an die ÖRA.