Agrarspekulationen Trockene Tatsachen

Gewissenlose Finanzinvestoren sollen schuld daran sein, dass die Lebensmittelpreise steigen. Banken verzichten wegen der massiven öffentlichen Kritik auf Agrarwetten. Die Fakten aber entlasten die Spekulanten.

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Die Jahrhundert-Dürre in den USA ließ 2012 die Preise für Agrarrohstoffe explodieren: Mais, Weizen und Soja wurden immer teurer - sehr zum Leidwesen der verarmten Regionen der Welt. Zugleich sind die lebenswichtigen Grundnahrungsmittel Renditeobjekte, auf deren Wertentwicklungen Spekulanten an den Finanzmärkten zocken. Quelle: dpa

Auf dem Acker im rheinischen Nörvenich ist Ruh: Die Kartoffeln warten im Lager von Gut Ollesheim darauf, abtransportiert, geschnitten und als Pommes schockgefroren zu werden. Landwirt Eberhard Peill muss entscheiden, ob er jetzt oder später verkaufen will. Auf dem Bildschirm seines Büros laufen Daten von der Terminbörse Eurex ein. Kartoffeln, die im April an die Industrie geliefert werden sollen, stehen bei 22,50 Euro je Doppelzentner. Im November waren es noch 30 Euro. Bis Juni muss die Ernte verkauft sein.
„Ohne den Terminhandel hätte ich keine Richtschnur für den Preis, den ich vom Händler verlangen kann“, sagt er. Für die halbe Ernte sichert er sich Preise über Termingeschäfte – beim Händler oder über Futures an der Börse. Futures sind Verträge, die regeln, wann und zu welchem Preis wie viele Zentner Kartoffeln oder Weizen verkauft oder abgenommen werden müssen. In der Regel wird die Ware zum Termin aber nicht geliefert, sondern die Akteure zahlen oder kassieren einen Wertausgleich in bar (siehe Grafik Seite 100).
Für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie Foodwatch wäre Landwirt Peill ein „guter“ Spekulant. Sein Termingeschäft sichert reale Kartoffeln ab. Böse sind die smarten Jungs in den Handelsräumen, die für Banken mit „Essen spielen“. Weizen wollen sie nicht – es geht um Rendite. Vor allem die Deutsche Bank steht unter Feuer von Foodwatch, Oxfam und anderen NGOs. Während Commerzbank oder Deka auf Agrarwetten verzichteten, verteidigte Co-Vorstandschef Jürgen Fitschen die Geschäfte seines Hauses als hilfreich für den Agrarhandel und schuldlos am Welthunger. „Rücksichtsloses Geschäftsgebaren auf Kosten der Allgemeinheit“, kritisierte Foodwatch-Chef Thilo Bode. „Die Deutsche Bank hat die Zeichen der Zeit offenbar nicht erkannt“, sagte Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner dem „Handelsblatt“.


Zuletzt sind viele Agrarpreise eher gefallen. Kritiker halten den Spekulanten nun vor allem starke Preisschwankungen vor. Tatsächlich kletterte der nächstfällige Weizen-Future an der Terminbörse in Chicago im Februar 2008 auf über 13 Dollar pro Scheffel (27,2 Kilo) – eine Verdreifachung seit Anfang 2006. Dann ging es steil abwärts, bis auf 4,25 Dollar im Juni 2010. Danach über 100 Prozent hoch, auf 8,90 Dollar im Februar 2011, dann wieder unter 6 Dollar. Im Sommer 2012 schnellte Weizen binnen Wochen um gut 50 Prozent hoch, auf 9,47 Dollar. Aktuell notiert der Future wieder 22 Prozent tiefer. Sind Spekulanten aber schuld an diesen Ausschlägen und langfristig steigenden Preisen? Ein Faktencheck.

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