Air-Berlin-Auktion Die letzte Reise der insolventen Fluglinie

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Das geschieht mit den Erlösen

Doch reicht der emotionale Wert aus, um hunderte Euro für Schokolade oder einen Flugzeugsitz zu bieten? Jan Bröker, Leiter des Auktionshauses Dechow, ist sicher: „Schöne Erinnerungen öffnen das Portemonnaie.“

Auch für die Kabinentrolleys finden sich Interessenten. Sebastian Brüninghaus könnte sich den Trolley gut als Werkzeugschrank vorstellen oder – der Klassiker – als Minibar fürs Wohnzimmer. Seine Mutter Anne Brüninghaus, die in einem Flugzeugsitz Platz genommen hat, hätte gerne einen Trolley. Aber mit Geschirr. Und nur, wenn er nicht so teuer ist. „Die roten Wolldecken sind auch super“, erzählt sie und lacht schüchtern.

Doch das Blitzen in ihren Augen verschwindet schnell bei dem Gedanken an die letzten Monate. Persönlich verbinde sie keine Emotionen mit Air Berlin, doch das Schicksal der Mitarbeiter der insolventen Airline gehe ihr nah. „Es ist ja schon normal, dass eine Firma nach der anderen insolvent geht. Die Gesellschaft gewöhnt sich daran. Genau das ist das Schlimme“, sagt sie.

Die Air-Berlin-Mitarbeiter tun ihr merklich leid. Die Schicksale die an diesen Jobs hängen, treffen sie fast schon persönlich. Die grauhaarige Frau muss sich sammeln, bevor sie weiter spricht. „Diese Menschen haben so einen anstrengenden Job gemacht! Und jetzt landet alles hier auf einem Haufen wie bei einem Ausverkauf“, fährt sie fort. „So etwas ist immer Mist.“

Im August 2017 meldete Air Berlin Insolvenz an. Das Unternehmen war bereits länger am Boden, die Flugzeuge sind es seit Oktober auch. Die Mitarbeiter absolvierten ihre letzten Flüge, packten ihre Koffer und gingen. Alles, was übrig ist, steht jetzt im Auktionshaus Dechow und wartet darauf, online versteigert zu werden. Alles muss raus, scheint das Motto zu sein. Die Versteigerung dient nicht nur dazu, die Lagerhallen zu leeren: Der Erlös fließt in die Insolvenzmasse mit ein und wird an die Gläubiger ausgeschüttet.

Das Sortiment reicht vom Air-Berlin-Absperrband bis zu einem Modell eines Air-Berlin-Fliegers, stolze sechs Meter lang. Doch egal wie viel Geld zusammen kommt, Air Berlin wird den Kredit der staatlichen KfW-Bank höchstens zur Hälfte zurückzahlen können. Das bestätigte ein Sprecher des Insolvenzverwalters.

Letzten Endes leiden also nicht nur Gabi Werner und ihr Team unter der Insolvenz, sondern auch Gläubiger und Steuerzahler. Genau das enttäuscht auch Wolfgang Hütges, als er durch die Lagerhallen schlendert. „Ich habe einen dicken Hals, weil Air Berlin das Geld nicht zurückzahlt“, sagt er. Beim Anblick eines Trolleys ist sein Gram schnell vergessen. „So ein Kabinentrolley würde gut in mein Wohnmobil passen!“, sagt der 58-Jährige. „Es wäre ein cooles Gadget.“

Obwohl es der einzige Tag ist, um die Air-Berlin-Devotionalien während der Versteigerung zu begutachten, ist die Halle sehr leer. Die Schalen auf den Kaffeetischen sind bis oben gefüllt mit Air-Berlin-Herzen, die Stühle um die Tische sind nicht besetzt. Ab und an nimmt jemand ein Herz. Doch am Ende des Tages ist noch immer ein großer Haufen Herzen übrig. Sie liegen dort und warten, abgeholt zu werden.

Im Oktober 2017 begleitete Gabi Werner ihren letzten New-York-Flug. „Bei den Ansagen ist mir die Stimme weggeblieben“, sagt sie. Sie ist bemüht, deutlich zu sprechen, bemüht, ihre Stimme zu behalten. „Durch meinen Job ist New York mein zweites Zuhause geworden. Jetzt werde ich vielleicht nie mehr dort hinkommen“, sagt sie. Ihre Augen sind gerötet, ihre Stimme brüchig. So steht sie da zwischen Kindermalkoffern, Schokoladenherzen und Flugzeugsitzen.

Die ehemalige leitende Flugbegleiterin Gabi Werner wird für keine der angebotenen Dinge mitbieten. Sie möchte diese Sachen nicht als Deko zuhause haben, „weil sie mich immer wieder an alles erinnern würden“, sagt sie mit leiser werdender Stimme. Dann dreht sie sich um und verlässt die Halle.

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