Air Berlin Quelle: dpa

Air Berlin Die Hintergründe des spektakulären Insolvenzverfahrens

Das spektakulärste Insolvenzverfahren der vergangenen Jahre steuert auf das Finale zu. Was hinter den Kulissen der umstrittenen Rettungsmission wirklich geschah.

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Deutscher Journalistenpreis für Henryk Hielscher und Rüdiger Kiani-Kreß: Die beiden WirtschaftsWoche-Redakteure wurden Donnerstagabend in Frankfurt vor rund 200 geladenen Gästen für ihren Beitrag „Ende der Legende", der am 19. Januar 2018 in der WirtschaftsWoche erschienen ist, mit dem Deutschen Journalistenpreis (djp) in der Kategorie ‚Mobilität & Logistik‘ ausgezeichnet. Mit dem Preis würdigt die Jury die Bedeutung, die ein engagierter und qualifizierter Journalismus für das Verständnis der Strukturen und Entwicklungen in der Wirtschafts- und Finanzwelt hat. Der Preis wird in sieben Kategorien vergeben, darunter Banken und Versicherungen, Vermögensverwaltung, Logistik, Bildung und Arbeit. Insgesamt hatten sich 409 Journalisten mit 475 Beiträgen beworben.
Herzlichen Glückwunsch! Nachfolgend können Sie den Sieger-Text frei zugänglich lesen:

Servierwagen parken in Reih und Glied. Plastikfolien bedecken blau gepolsterte Sitzreihen, daneben stapeln sich Kartons voller roter Schokoherzen. Es sind die letzten Überbleibsel von Air Berlin, die hier in einer Lagerhalle am Essener Stadtrand zur Abholung bereitstehen. Das Inventar der Fluglinie wird derzeit online versteigert. Es ist der emotionale Abschied von Deutschlands zweitgrößter Fluglinie.

Der rationale Abschied folgt am kommenden Mittwoch und Donnerstag, wenn die Gläubiger im Berliner Estrel Congress Center Einblick erhalten in die Unternehmenshavarie. 3,8 Milliarden Euro Umsatz, 9100 Beschäftigte, gut eine Million Gläubiger, bis zu fünf Milliarden Euro Außenstände: Das sind die Zahlen hinter der Insolvenz. Doch es geht um mehr. Der Fall ist ein Politikum, um den sich von Anfang an wilde Verschwörungstheorien ranken: von einem politischen Komplott zu Gunsten der Lufthansa ist die Rede, die Airline sei gezielt in die Pleite geschickt worden statt sie zu retten.

Die WirtschaftsWoche hat recherchiert, wie die Milliardenpleite wirklich ablief. Gestützt auf interne Gutachten, E-Mails und Akten, ergänzt um die Aussagen beteiligter Manager, Investoren und Sanierer, ergibt sich ein ganz anderes Bild, von der wohl heikelsten Rettungsmission der deutschen Wirtschaftsgeschichte.

Letzter Aufruf

Die beiden Männer sind bester Dinge, als sie Mitte Juli 2017 in eine klimatisierte Limousine steigen, die sie zu ihrem Flug von Abu Dhabi nach Berlin bringt. Sie wissen zwar, dass die Sessel an Bord ihres Air-Berlin-Jets nicht so bequem sind wie die hellen Ledersitze im Fond des Wagens, und auch die Verpflegung wird nicht mithalten können mit den Speisen in den Hotels und Restaurants des Emirats am Persischen Golf. Doch ihre Mission scheint geglückt. Die Reise war „ein großer Erfolg“, versichern sich Air-Berlin-CEO Thomas Winkelmann und sein Finanzchef Dimitri Courtelis gegenseitig. Besonders ein Satz klingt nach: „Wir tun alles, Air Berlin in einen sicheren Hafen zu führen“, hat ihnen Mohamed Mubarak Fadhel Al Mazrouei, Verwaltungsratschef des Air-Berlin-Hauptaktionärs und wichtigsten Geldgebers Etihad, zugesichert.

Das beruhigt, schließlich hatte sich die Lage der seit Jahren kriselnden Airline zuvor nochmals verschlechtert. Probleme bei der Abfertigung an ihrem Hauptflughafen Berlin-Tegel hatten für so viele Verspätungen gesorgt, dass selbst Fans und Geschäftskunden lieber die teurere Lufthansa buchen. Und die einst enge Verbindung ins Etihad-Reich bröckelt, seit Al Mazrouei die Führung kaltgestellt hat. „Man kennt ja fast keinen mehr“, klagt Courtelis, der vor Air Berlin fünf Jahre für die Linie gearbeitet hat. „Aber wenn die Hoheiten ihr Wort geben, kann man sich darauf verlassen“, machen sich die Manager Mut.

Keinen halben Monat später werden beide eines Besseren belehrt. Zuerst fordert der neue Etihad-Chef Ray Gammell ein aktuelle Schätzung des Geldbedarfs an. Courtelis meldet, dass er wie erwartet spätestens Ende August wieder 50 Millionen Euro braucht. Das sollte kein Problem sein. Etihad hatte den Berlinern im April eine Kreditlinie über 350 Millionen Euro eingeräumt, von der noch 100 Millionen Euro offen sind. Und so fordert der Kassenwart der Berliner die 50 Millionen am Morgen des 9. August an.

Die Überraschung kommt gegen Mittag. „Wir können das Geld nicht anweisen“, heißt es da in einer Mail. „Grund sind fehlende Ziehungsvoraussetzungen.“ Courtelis geht sofort zu Winkelmanns Büro ein paar Türen weiter auf der Vorstandsetage der Berliner Zentrale. Sie reden kurz. Dann ruft Winkelmann in Abu Dhabi an. Wenig später folgt eine weitere Nachricht: Man sei „bereit, einen Brückenkredit zu zahlen unter veränderten Bedingungen“, heißt es darin. „Aber auch andere Interessengruppen müssen einen Beitrag“ leisten, fordert Gammell und zielt damit auf die deutsche Politik und die Lufthansa, die von Air Berlin fast 40 Flugzeuge inklusive Besatzung für ihre Billigtochter Eurowings mietet und dafür ein paar Hundert Millionen Euro angezahlt hat. Aus vielen Gesprächen mit den Regierungen von Bund, Nordrhein-Westfalen und Berlin in den vergangenen Monaten weiß Winkelmann: Von denen hat er nichts zu erwarten. Und wie er Lufthansa-Chef Carsten Spohr kennt, wird der kaum spendabler sein. Mit einem unguten Gefühl ruft Winkelmann in Abu Dhabi an. Doch Gammell lässt sich nicht umstimmen. Winkelmann seufzt und ruft Spohr an. Der oberste Lufthanseat block ab. Man könne höchstens über ein paar Kleinigkeiten reden.

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