Darum setzt Spohr auf der Langstrecke bereits wieder auf Angriff. Hier will er nach den bereits angekündigten Routen von Düsseldorf in die Karibik bald nachlegen und in den kommenden Monaten mindestens eine Handvoll weitere Jets in die Landeshauptstadt packen, vor allem für neue USA-Flüge. Und das ist erst der Anfang. Im kommenden Jahr soll Eurowings auch ab Berlin-Tegel interkontinental fliegen. „Das erste Ziel ist New York“, sagt einer, der es wissen muss. Und er verspricht auch gleich mehr Komfort. Die neuen Jets sollen aus Spohrs Sicht nicht nur wie die heutigen Eurowings-Großflugzeuge nur eine Premium-Economy haben, sondern eine Art Business mit echten flachen Betten.
Etwas mehr Arbeit hat Spohr, um auch bei den Mittelstreckenfliegern notfalls mit weniger oder gar ganz ohne zusätzliche Flieger von Air Berlin auszukommen. „Das ist mehr als machbar“, so ein Insider.
Air Berlin: Das Ringen um die Flughafen-Slots
Die Start- und Landerechte an deutschen Flughäfen, im Branchenjargon "Slots" genannt, sind das, was die insolvente Fluggesellschaft Air Berlin für ihre Konkurrenten so begehrt macht. Vor allem in Berlin und Düsseldorf verfügt sie über viele attraktive dieser "Zeitnischen" für Flugzeug-Starts und Landungen, wie sie im Amtsdeutsch offiziell heißen. Doch die Slots lassen sich nicht ohne Weiteres an eine andere Airline wie die Lufthansa weiterreichen.
Geregelt ist die Vergabe der Start- und Landerechte in einer EU-Verordnung. Sie können eigentlich weder gekauft noch verkauft werden - einzige Ausnahme: der Londoner Flughafen Heathrow. In Deutschland werden die Slots für die 16 internationalen Airports von Frankfurt bis Erfurt von Flughafenkoordinator Armin Obert für jedes Jahr neu zugewiesen. Er sitzt mit seinem Team am Frankfurter Flughafen und untersteht nur dem Bundesverkehrsministerium.
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Um ihre Slots zu behalten, müssen Fluggesellschaften sie in einer Saison (Sommer und Winter) mindestens zu 80 Prozent genutzt haben. Bei einer Einstellung des Flugbetriebs droht Air Berlin die Rechte also zu verlieren. Werden sie neu verteilt, gehen 50 Prozent an Airlines, die vom jeweiligen Flughafen bereits abfliegen, der Rest an Neubewerber. Das wäre vorteilhaft für Rivalen wie Easyjet und Ryanair, die dann damit rechnen könnten, dass ihnen Slots zufielen, ohne dass sie Personal von Air Berlin übernehmen müssten.
Von einem Unternehmen auf ein anderes können Slots nur dann übertragen werden, wenn sie damit entweder innerhalb eines Konzerns bleiben (also etwa von Lufthansa auf Eurowings), wenn eine Fluggesellschaft mehrheitlich übernommen wird oder "bei vollständigen oder teilweisen Übernahmen, wenn die übertragenen Zeitnischen direkt mit dem übernommenen Luftfahrtunternehmen verbunden sind", wie es in der Verordnung heißt.
Das könnte bei Air Berlin zum Streitpunkt werden. Denn insolvente Unternehmen werden normalerweise nicht als Ganzes erworben ("share deal"), weil der Käufer dann auch die Schulden übernehmen müsste. Der Käufer erwirbt vielmehr die Bestandteile einzeln ("asset deal") und packt sie in eine neu gegründete, schuldenfreie Gesellschaft. Ob das übernommene Paket ausreicht, um die Slots zu behalten, entscheidet der Flughafenkoordinator. Bei der österreichischen Tochter Niki besteht das Problem nicht. Sie ist nicht insolvent und kann damit als Ganzes verkauft werden.
Air Berlin und die beteiligten Insolvenzexperten gehen davon aus, dass sich die Slots wirksam übertragen lassen. Vor allem mit dem Erlös daraus soll der 150-Millionen-Euro-Kredit getilgt werden, den die Bundesregierung gewährt hat, um Air Berlin in der Luft zu halten. Sie standen zuletzt mit 80 Millionen Euro in der Bilanz von Air Berlin.
Für die Flugbegleiter hat Lufthansa in den vergangenen Tagen bereits Verträge abgeschlossen, die eine Aufnahme von bis zu 3000 Mitarbeitern zu Lohnabstrichen von rund 20 Prozent möglich macht – auch wenn Lufthansa weder die Unternehmensteile noch die Flugzeuge nimmt. Zwar gebe es noch ein paar Detailfragen bei der Teilzeitarbeit, wo nur halbe Stellen aber keine kleineren Teile möglich seien. „Doch die meisten Air-Berliner kommen bei einem Wechsel mit einem blauen Auge davon, vor allem Vergleich zur immer noch realen Gefahr einer echten Pleite“, heißt es in Gewerkschaftskreisen.
Bei den Piloten sollte bereits am Mittwoch ein Vertrag folgen, doch es kam zu keiner Einigung. Nun rechnet Spohr mit einer Einigung Ende September. „Wir sind eben nicht so leicht zu drücken angesichts eines drohenden Pilotenengpasses“, so ein Flugzeugführer.
Ohne Air Berlin wird es für Spohr komplizierter
Etwas komplizierter ist Spohrs Plan, mit dem er sich die nötigen Jets für ein Eurowings-Wachstum ohne Air Berlin sichern will. Am weitesten ist er bei den 38 Maschinen der Berliner, die bereits für Eurowings und Austrian Airlines fliegen. Die werden zwar nominell noch von Air Berlin betreiben. Doch die meisten dieser Jets gehören bereits Lufthansa.
Wie es im Konzern heißt, will die Lufthansa dieser Tage bereits beim 20 dieser Jets entweder den Leasingverträge übernehmen – oder sich den Flieger gleich ganz kaufen. Und die restlichen 18 Flieger sollen bald folgen. Die Anträge für den nötigen einen Wechsel von einer Betriebserlaubnis der Air Berlin auf die der Lufthansagruppe laufen bereits. Hier ist der einzige Flaschenhals das Luftfahrtbundesamt, dessen Fachleute „trotz bestem Willen und der Ermunterung durch das vorgesetzte Verkehrsministerium“, so ein Insider, im Schnitt nur gut drei Flugzeuge pro Woche schaffen. Denn der Vorgang ist umfangreich. „Allein das Papier der Unterlagen wiegt rund 40 Kilogramm“, so ein mit der Sache vertrauter Lufthanseat.
Und auch für die anderen Jets hat Spohr vorgesorgt. Sollte Air Berlin nun doch ungeplant den Betrieb einstellen müssen, weil das Geld ausgeht oder es gar rechtliche Bedenken gegen einen Deal mit der Lufthansa geben, hat Spohr längst seine Flugzeugkäufer losgeschickt. Sie hätten weltweit bereits rund ein Dutzend Flugzeuge mehr oder weniger gesichert – und das sei noch nicht das Ende. Weitere Verträge könnten folgen. Dazu könne Lufthansa einfach mehr ihrer älteren Jets weiter fliegen statt sie einzumotten. „Wir bekommen in diesem und dem nächsten Jahr noch gut 40 Flieger, von denen ein Teil ältere Maschine ersetzen sollte. Das könnten wir einfach sein lassen oder verschieben – und die zu Eurowings packen“ so ein Insider.
Kein großes Interesse hat Spohr dagegen an den Mietverträgen über die 13 Maschinen, die der Air-Berlin-Konzern vom Touristikriese TUI mietet. „Denen haben wir schon klar gemacht, dass wir den überhöhten Mietpreis nicht zahlen – und die haben verstanden, dass sie sich weitgehend in Richtung Marktpreis bewegen müssen“, so ein Insider.
Mit seiner Vorsorge hat Spohr er gerade im eignen Konzern viel Rückendeckung. „Es gibt eine Art Spaltung quasi durch die Mitte der Konzernzentrale, ob nicht organisches Wachstum besser und günstiger ist als eine Übernahmemit all dem Ärger“, so ein Konzernmanager. „Und gerade die Übernahmeskeptiker rechnen nach Kräften für ihr Modell.“
Die Chronik von Air Berlin
Vor 38 Jahren hob der erste Air-Berlin-Flieger ab. Alles begann mit alliierten Sonderrechten zur Landung im geteilten Berlin. Nach der Wende wuchs Air Berlin zur Nummer Zwei am Himmel über Deutschland heran, doch dann folgte eine jahrelange Krise.
1978: Gründung als Chartergesellschaft durch den Ex-Pan-Am-Pilot Kim Lundgren. Erstflug am 28. April 1979 von Berlin-Tegel nach Mallorca. Die Flotte umfasst zwei Maschinen.
1991: Im April kauft der LTU-Manager Joachim Hunold die Mehrheit der Anteile. Es gibt kurz darauf 15 Flüge pro Tag. Air Berlin expandiert und stationiert zunehmend auch Flugzeuge auf Regionalflughäfen.
1998: Mit dem Mallorca Shuttle Einstieg ins Linienfluggeschäft.
Einstieg zu 25 Prozent bei der österreichischen Fluggesellschaft Niki des früheren Rennfahrers Niki Lauda.
Börsengang und Kauf der Fluggesellschaft dba.
Kauf des Ferienfliegers LTU, damit auch Interkontinentalflüge.
Air Berlin rutscht in die roten Zahlen, legt das erste Sparprogramm auf: Strecken fallen weg, Flugzeuge werden ausgemustert. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor scheitert.
Air Berlin kündigt für 2012 den Eintritt in das Luftfahrtbündnis Oneworld an.
Hunold wirft das Handtuch, Hartmut Mehdorn übernimmt. Ein weiteres Sparprogramm soll das operative Ergebnis um 200 Millionen Euro verbessern. 18 der 170 Maschinen werden verkauft.
Die arabische Staatsairline Etihad erhöht ihren Anteil von knapp 3 auf 29,2 Prozent und stützt die Airline mit einem 255-Millionen-Dollar-Kredit. Ein neues Sparprogramm beginnt. Der Verkauf des Vielfliegerprogramms an Großaktionär Etihad bringt nur vorübergehend wieder schwarze Zahlen.
Wolfgang Prock-Schauer wird Vorstandschef und verschärft das von Mehdorn im Vorjahr aufgelegte neue Sparprogramm. Jeder zehnte Arbeitsplatz fällt weg, die Flotte schrumpft auf 142 Maschinen.
Im Februar löst Stefan Pichler den glücklosen Prock-Schauer ab. Air Berlin macht 447 Millionen Euro Verlust - so viel wie nie.
Nach einem juristischen Tauziehen kann Air Berlin den größten Teil der wichtigen Gemeinschaftsflüge mit Etihad weiter anbieten. Die Zahlen bessern sich nicht. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Mit einem tiefgreifenden Umbau und der Streichung von bis zu 1200 Arbeitsplätzen will Air Berlin seine Krise überwinden.
Air Berlin bekommt einen neuen Chef. Der Lufthansa-Manager und früheren Germanwings-Chef Thomas Winkelmann wird Vorstandschef. Air Berlin führt ihren Flugbetrieb in zwei getrennten Geschäftsfeldern weiter: Langstreckenflüge und Städteverbindungen in Europa werden zusammengefasst, Urlaubsflüge unter der Marke Niki geführt. Lufthansa erklärt sich bereit, Air Berlin zu übernehmen, wenn der Großaktionär Etihad zuvor die Schulden übernähme.
Air Berlin meldet Insolvenz an. Zuvor hatte Etihad seine finanzielle Unterstützung eingestellt. Ein 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes soll den Flugbetrieb zunächst sichern.
Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet am 27. Oktober 2017 um 23.45 Uhr der letzte Air-Berlin-Flieger dort. Die Zukunft der Angestellten und vieler Unternehmensteile ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.