Air Berlin Die Hintergründe des spektakulären Insolvenzverfahrens

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Die Startphase

Winkelmann reicht am Morgen des 15. August beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg Insolvenzanträge für die drei zentralen Air-Berlin-Gesellschaften ein. Zu diesem Zeitpunkt brettert Lucas Flöther bereits im Mietwagen auf der A 9 Richtung Berlin. Der Jurist – 44 Jahre, kurz geschorenes Haar, markante Brille – gehört zu den bekanntesten Insolvenzexperten. Er hat den Onlinekonzern Unister und den Fahrradbauer Mifa durch die Pleite manövriert. Flöther wird dem Gericht als sogenannter Sachwalter vorgeschlagen, der in dem Verfahren dafür sorgen soll, dass die Interessen der Gläubiger gewahrt werden. Punkt 13.22 Uhr ist es so weit. Die zuständige Richterin bestellt Flöther. Das Verfahren mit dem Aktenzeichen 36a IN 4295/17 beginnt – und auch die Probleme. Kaum ist die Nachricht draußen, meutern Leasinggeber von Flugzeugen, Kreditkartenfirmen weigern sich, Kundenzahlungen an Air Berlin weiterzuleiten. Doch das Kunststück gelingt. Air Berlin fliegt weiter.

An Schlaf wagen die Experten im „War Room“ kaum zu denken an den ersten Tagen. Kaffee gibt es aus Air-Berlin-roten Pappbechern, Kalorien liefern wahlweise ein fragwürdiger Brötchenautomat im Nachbargebäude oder das Schnitzel Country vom Adria-Grill ums Eck. Zugleich bringen sich Kritiker in Stellung. Der lauteste ist Michael O’Leary, Chef der irischen Billiglinie Ryanair. Der Flug-Zampano mit Hang zu vulgären Sprüchen wittert ein Komplott. Es gehe nur darum, Ryanair daran zu hindern, in Deutschland weiter zu wachsen.

Läuft das Verfahren also direkt auf die Lufthansa zu, wird der Marktführer von Anfang an bevorzugt? Wenige Tage nach dem Insolvenzantrag sitzen Kebekus und Flöther in einem Konferenzraum in der sechsten Etage der Air-Berlin-Zentrale und beantworten die Fragen der WirtschaftsWoche. Ihre Augenränder verraten die 20-Stunden-Schichten, dennoch wirken beide angriffslustig: „Das sind Verschwörungstheorien“, sagt Kebekus. Die Politik nehme „auf den Verkaufsprozess keinen Einfluss“. Keine Einflussnahme? Kurz zuvor hat sich Verkehrsminister Dobrindt für die Lufthansa als Käufer „wesentlicher Teile“ von Air Berlin ausgesprochen: „Wir brauchen einen deutschen Champion im internationalen Luftverkehr.“ Jeder seriöse Kandidat könne ein Angebot abgeben. „Das einzige Problem ist die Zeit“, so Kebekus. Ein Player wie die Lufthansa, die schon vor dem Insolvenzantrag am Tisch saß, habe damit automatisch einen Informationsvorsprung.

Bescheidener Anfang: Air Berlin im Gründungsjahr 1980. (Zum Vergrößern bitte anklicken) Quelle: Presse

Auf Reiseflughöhe

Tatsächlich ist Spohr am besten vorbereitet. Er hat im Sommer 2016 ein Team unter Führung seines Strategiechefs William Willms eingesetzt. Rund 100 Leute haben in einem mit strengen Zugangscodes gesicherten Teil der Konzernzentrale Varianten des Air-Berlin-Dramas durchgespielt. Teil der Planung ist enger Kontakt zu Etihad. „Wir sind immer recht gut informiert gewesen, weil wir mit Etihad im Dialog waren“, erklärt Spohr später. Von den Kartellämtern fürchtet er keinen Gegenwind. „Wir können unseren Anteil noch kräftig aufstocken. Das halten unsere Juristen für genehmigungsfähig“, erzählt er im kleinen Kreis. „Was auch passiert, wir sind vorbereitet“, beschreibt ein Mitglied des Aufsichtsrats die Stimmung.

Auch wenn alle Beobachter einen Verkauf an Lufthansa erwarten, ist das Interesse enorm. Nicht weniger als 79 Interessenten melden sich bis zum 15. September und kommen in die Firmenzentrale am Saatwinkler Damm, teilweise mehrfach. Das verlangt dem Team um Flöther, Kebekus und Winkelmann eine logistische Meisterleistung ab. „Damit alles vertraulich bleibt, durften sich die einzelnen Gruppen nicht begegnen auf ihrem Weg zwischen Eingang, den Konferenzräumen und den Büros des Führungstrios“, so einer der Beteiligten. „Also mussten wir morgens festlegen, wen wir wann an welcher Tür abholen und wie durch die drei Verhandlungsetagen führen.“

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