Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht mehr zu sorgen. Das muss auch Air-Berlin-Chef Stefan Pichler dieser Tage wiederholt feststellen. Als wäre das Geschäft nicht schwer genug, muss der Manager noch Kommentare wie „Ryanair in Rot – nur schlechter“ lesen oder: „Immerhin passt das Logo zur Situation oder bin ich der Einzige, der mit dem „A“ auf dem Seitenleitwerk eine Notrutsche assoziiert?“
Als Pichler in der vergangenen Woche die Zahlen für das zweite Quartal vorlegte, war klar, dass das Trauerspiel um Air Berlin auch in der wichtigen Sommersaison keine Pause einlegt. Schwache Nachfrage, hoher Druck auf die Ticketpreise, dazu noch verängstigte Urlauber wegen des Terrors: Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum schrumpfte der Umsatz um mehr als neun Prozent auf 971 Millionen Euro – auch weil Air Berlin das Flugangebot gekappt und die Flotte verkleinert hatte. Der Verlust vor Zinsen und Steuern vervierfachte sich nahezu auf 63 Millionen Euro. Unter dem Strich wuchs der Fehlbetrag von knapp 38 Millionen auf 89 Millionen Euro.
Dazu kommen noch Maßnahmen, die Air Berlin bei den Kunden nicht gerade beliebter machen dürfte: Das Freigetränk für Economy-Passagiere wird demnächst gestrichen. Der Grundtenor der dazugehörigen Mitteilung war aber, man positioniere sich „klar im Premium-Segment der europäischen Airlines“ – weil es künftig auf Europaflügen auch eine Business-Class geben soll. In der Mini-Variante, vier Sitze in der ersten Reihe.
Doch weder mit teuer verkauften Premium-Sitzen noch mit den eingesparten Kosten für Kaffee und Tomatensaft wird Pichler Air Berlin zurück in die schwarzen Zahlen führen können. Der Umsatz stagniert seit Jahren – und nicht erst seit Pichler Anfang 2015 in Berlin antrat. Deutlich schlechter ist die Tendenz bei anderen Kennzahlen: Das operative Ergebnis, Eigenkapital oder Cashflow eint eines – sie sind tiefrot.
Der Blick auf die Zahlen zeigt, dass es mit einigen Retuschen und Sparmaßnahmen nicht getan ist. Das Problem: Auf Air Berlin lastet ein Schuldenberg, der in den vergangenen Jahren auf über 2,5 Milliarden Euro gewachsen ist. Und solange die Airline Geld verbrennt – allein in den ersten sechs Monaten über 66 Millionen Euro – ist es umso schwerer, die hohen Verbindlichkeiten langsam abzubauen.
Dazu kommt: 2015 hat Air Berlin die Marke von einer Milliarden Euro beim Eigenkapital gerissen – allerdings als negativer Wert. 2012 war das Eigenkapital noch positiv, inzwischen notiert in der Bilanz eine -1.126, angegeben in Millionen Euro. Das Geld fließt schneller weg als Pichler schauen kann. Noch dramatischer ist der Trend, wie die Grafik zeigt.
Zwar haben es auch andere Fluggesellschaften geschafft, über Jahre mit einem negativen Eigenkapital den Betrieb aufrecht zu erhalten. Doch sowohl United Airlines als auch TWA mussten in dieser Zeit Insolvenz anmelden – TWA sogar dreimal.
Diesen Schritt will Pichler unbedingt vermeiden – zumal es in Europa keinen Gläubigerschutz nach dem US-Vorbild Chapter 11 gibt, der den amerikanischen Airlines zu jener Zeit stark geholfen hat.
Um einem solchen Szenario aus dem Weg zu gehen, will Pichler Air Berlin präventiv gesundschrumpfen – unrentable Flugziele werden gestrichen, solche mit geringer Nachfrage nur noch von kleineren Jets oder gar Turboprop-Maschinen angeflogen.
Die Chronik von Air Berlin
Vor 38 Jahren hob der erste Air-Berlin-Flieger ab. Alles begann mit alliierten Sonderrechten zur Landung im geteilten Berlin. Nach der Wende wuchs Air Berlin zur Nummer Zwei am Himmel über Deutschland heran, doch dann folgte eine jahrelange Krise.
1978: Gründung als Chartergesellschaft durch den Ex-Pan-Am-Pilot Kim Lundgren. Erstflug am 28. April 1979 von Berlin-Tegel nach Mallorca. Die Flotte umfasst zwei Maschinen.
1991: Im April kauft der LTU-Manager Joachim Hunold die Mehrheit der Anteile. Es gibt kurz darauf 15 Flüge pro Tag. Air Berlin expandiert und stationiert zunehmend auch Flugzeuge auf Regionalflughäfen.
1998: Mit dem Mallorca Shuttle Einstieg ins Linienfluggeschäft.
Einstieg zu 25 Prozent bei der österreichischen Fluggesellschaft Niki des früheren Rennfahrers Niki Lauda.
Börsengang und Kauf der Fluggesellschaft dba.
Kauf des Ferienfliegers LTU, damit auch Interkontinentalflüge.
Air Berlin rutscht in die roten Zahlen, legt das erste Sparprogramm auf: Strecken fallen weg, Flugzeuge werden ausgemustert. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor scheitert.
Air Berlin kündigt für 2012 den Eintritt in das Luftfahrtbündnis Oneworld an.
Hunold wirft das Handtuch, Hartmut Mehdorn übernimmt. Ein weiteres Sparprogramm soll das operative Ergebnis um 200 Millionen Euro verbessern. 18 der 170 Maschinen werden verkauft.
Die arabische Staatsairline Etihad erhöht ihren Anteil von knapp 3 auf 29,2 Prozent und stützt die Airline mit einem 255-Millionen-Dollar-Kredit. Ein neues Sparprogramm beginnt. Der Verkauf des Vielfliegerprogramms an Großaktionär Etihad bringt nur vorübergehend wieder schwarze Zahlen.
Wolfgang Prock-Schauer wird Vorstandschef und verschärft das von Mehdorn im Vorjahr aufgelegte neue Sparprogramm. Jeder zehnte Arbeitsplatz fällt weg, die Flotte schrumpft auf 142 Maschinen.
Im Februar löst Stefan Pichler den glücklosen Prock-Schauer ab. Air Berlin macht 447 Millionen Euro Verlust - so viel wie nie.
Nach einem juristischen Tauziehen kann Air Berlin den größten Teil der wichtigen Gemeinschaftsflüge mit Etihad weiter anbieten. Die Zahlen bessern sich nicht. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Mit einem tiefgreifenden Umbau und der Streichung von bis zu 1200 Arbeitsplätzen will Air Berlin seine Krise überwinden.
Air Berlin bekommt einen neuen Chef. Der Lufthansa-Manager und früheren Germanwings-Chef Thomas Winkelmann wird Vorstandschef. Air Berlin führt ihren Flugbetrieb in zwei getrennten Geschäftsfeldern weiter: Langstreckenflüge und Städteverbindungen in Europa werden zusammengefasst, Urlaubsflüge unter der Marke Niki geführt. Lufthansa erklärt sich bereit, Air Berlin zu übernehmen, wenn der Großaktionär Etihad zuvor die Schulden übernähme.
Air Berlin meldet Insolvenz an. Zuvor hatte Etihad seine finanzielle Unterstützung eingestellt. Ein 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes soll den Flugbetrieb zunächst sichern.
Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet am 27. Oktober 2017 um 23.45 Uhr der letzte Air-Berlin-Flieger dort. Die Zukunft der Angestellten und vieler Unternehmensteile ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.
Bei über Jahre verzeichneten roten Zahlen scheint es nur logisch, wenn das Management Ausgaben senken und Effizienzpotenziale heben will. Nur stößt Pichler mit seinen Sparplänen an wichtiger Stelle auf großen Widerstand – bei Großaktionär Etihad. Die Golf-Airline arbeitet nach dem Credo „Wachstum und Premium“. Beides kann Air Berlin auf absehbare Zeit nicht bieten – die Entscheidung mit den vier Business-Sitzen pro Flieger gilt in der Branche als reines Premium-Zugeständnis an Etihad.
Die Kosten sind zu hoch – nach wie vor
Der Punkt ist: Air Berlin will auf vielen Hochzeiten gleichzeitig tanzen – Premiumverkehr, Billig-Airlines und Urlaubsflieger –, kann aber nirgends als Spezialist den Ton angeben und kann am Ende oft nur mit einem Argument überzeugen: dem Preis. Und so kommt es, dass Air Berlin nicht kostendeckend arbeiten kann. Im zweiten Quartal sanken die Kosten je angebotenem Sitzplatzkilometer um gut drei Prozent – wegen Pichlers Sparmaßnahmen, aber auch vor allem wegen gesunkener Treibstoffkosten. Die Ticketpreise sanken im Quartal aber fast doppelt so stark – die Einsparungen wurden sofort mehr als aufgezehrt.
Sparbemühungen hin oder her: Seit Jahren liegen die Kosten pro Sitzkilometer über dem Umsatz, wie die Grafik zeigt. Besserung ist kaum in Sicht – steigt der Umsatz mal um 0,09 Cent pro Sitzplatzkilometer, legen die Kosten im selben Zeitraum um 0,18 Cent zu. Oder geben die Kosten in einem anderen Jahr um 0,1 Cent nach, fällt der Umsatz gleich um 0,19 Cent. Alles zu Ungunsten von Air Berlin.
Auch der Kostenvergleich mit anderen Airlines zeigt die schwere Lage von Air Berlin. Ohne die stark schwankenden Treibstoffkosten (die auch für alle Fluggesellschaften mehr oder weniger gleich sind), hängt Air Berlin zwischen den Stühlen: Die Kosten sind deutlich höher, als bei Billigfliegern wie Ryanair, jedoch deutlich unter denen der Lufthansa. Jetzt kommt das Aber: Bei der Kranich-Linie zeigt die Tendenz nach unten. Und bei Air Berlin nach oben.
Wo Air Berlin sein sollte, zeigt IAG. Die Dachgesellschaft mit angesehenen Marken wie British Airways und Iberia muss im Schnitt nur 5,05 Cent je Sitzkilometer aufwenden – 2,81 Cent weniger als die zweitgrößte deutsche Airline. Im zweiten Quartal drückt sich das so aus: Air Berlin weißt ein negatives EBIT von 63 Millionen Euro aus, während IAG operativ 555 Millionen Euro verdient.
Wichtiger Faktor bei den Ausgaben einer Fluggesellschaft sind die Kosten für den Betrieb der Flotte. Hier hat Air Berlin bereits vor Pichlers Antritt eine wichtige Entscheidung gefällt: Die restlichen Boeing-Flugzeuge – im Jahr 2014 waren das 45 Stück – werden bis Ende 2016 aus dem Verkehr gezogen. Setzt man nur noch Airbus-Jets ein (und dort vornehmlich Varianten der A320-Baureihe) sinken die Kosten im Teileeinkauf und vor allem jene in der Aus- und Weiterbildung für Boden- und Bordpersonal sowie die Piloten. Eine Übersicht der Modelle finden Sie in unserer Bilderstrecke.
Auf ihrer Homepage rühmt sich Air Berlin „eine der jüngsten Flotten Europas“ zu besitzen und so mit den modernen Fliegern „sicher, sparsam und umweltschonend“ unterwegs zu sein. „Besitzen“ trifft es allerdings nicht mehr genau, „betreibt“ wäre treffender.
Wie der „Tagesspiegel“ im Juli berichtete, besitzt Air Berlin selbst gar keine Flugzeuge mehr. „Es ist richtig, dass die Air-Berlin-Flotte ausschließlich aus geleasten Flugzeugen besteht“, bestätigte ein Sprecher die Informationen der Zeitung. Geleaste Flugzeuge mit oder ohne Personal sind in der Branche keine Seltenheit. Die gesamte Flotte nur noch zu leasen allerdings schon.
Flugzeuge im Eigenbesitz dienen als Sicherheit. Mit geleasten Fliegern kann aber flexibel auf schwankende Nachfragen reagiert werden. Aus diesem Grund gehören der Lufthansa rund 80 Prozent der Flugzeuge selbst, der Rest wird über kurz- oder mittelfristige Verträge geleast. Im Falle vom Air Berlin kommt hinzu, dass geleaste Flugzeuge Kreditgebern gegenüber nicht als Sicherheit dienen.
Die Personalkosten der Fluggesellschaften
Bei der deutschen Lufthansa machten die Personalkosten im Geschäftsjahr 2014 23 Prozent der Ausgaben aus: Sage und schreibe 7335 Millionen Euro investierte die Fluglinie in ihre Mitarbeiter.
Quelle: Handelsblatt
Stand: September 2015
Prozentual gibt Air France-KLM mehr Geld fürs Personal aus als Lufthansa: 29 Prozent der Gesamtausgaben fließen in die Bezahlung der Angestellten. In absoluten Zahlen sieht das etwas anders aus: Die Personalkosten betrugen im Geschäftsjahr 2014 7136 Millionen Euro.
IAG, zu der British Airways und Iberia gehören, gab 2014 rund 4325 Millionen Euro für Piloten, Servicepersonal und weitere Mitarbeiter aus. Anteilig an den Gesamtausgaben des Geschäftsjahrs genauso viel wie die Lufthansa: 23 Prozent.
Ohne die Service-Tochter Dnata gab die arabische Fluggesellschaft 2431 Millionen Euro für ihre Angestellten aus. Damit machten Lohnkosten u. ä. lediglich 14 Prozent der Gesamtausgaben des Geschäftsjahrs 2014 aus.
16 Prozent der Gesamtausgaben von Turkish Airlines waren im Geschäftsjahr 2014 Personalkosten. In absoluten Zahlen: 1275 Millionen Euro.
Air Berlin gab 2014 524 Millionen Euro fürs Personal aus - 12 Prozent der Gesamtausgaben.
Ryanair hat günstiges Personal: lediglich 11 Prozent der Gesamtausgaben wurden 2014 in die Mitarbeiter investiert. 502 Millionen Euro waren es aber immerhin.
Auch Easyjet hält die Personalkosten relativ gering: 594 Millionen Euro (12 Prozent der Gesamtausgaben) wurden 2014 in die Mitarbeiter investiert.
Werden mit den Leasing-Fliegern nicht nur Nachfrage-Spitzen abgefangen, schmilzt auch der Kostenvorteil. Ein gekauftes Flugzeug ist irgendwann abgeschrieben, dann fallen nur noch die Betriebs- und Wartungskosten an. Air Berlin muss nicht nur die Kosten für Betrieb und die teure Wartung stemmen, sondern auch die Gebühren berappen.
Egal welche Kennziffern oder Statistiken man zurate zieht, ein positiver Ausblick für Air Berlin lässt sich daraus kaum ableiten. Und genau das könnte für die Airline irgendwann zum Problem werden: Übersteigen die Verbindlichkeiten das Betriebsvermögen, führt nur ein Weg an der Insolvenz vorbei. Das ist eine „positive Fortführungsprognose“. Alles andere kommt dem Tatbestand der Insolvenzverschleppung nahe.
Die Aussichten sind also nicht nur für Air Berlin düster – sondern auch für das Top-Management.