Dass Air Berlin mit der Insolvenz seine eigene Aufteilung angestoßen hat, scheint bereits ausgemacht. „Der Betrieb wird sicher von einer anderen Fluglinie übernommen – und damit auch die Mitarbeiter im Cockpit und der Kabine", sagt ein Brancheninsider gegenüber WirtschaftsWoche Online.
Air Berlin verhandelt auch bereits mit dem Konkurrenten Lufthansa und einer weiteren Fluggesellschaft über einen Verkauf von Betriebsteilen. Entschieden ist aber noch nichts. Laut Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries laufen die Gespräche mit der größten deutschen Fluglinie erfolgsversprechend. Wie die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf nicht genauer benannte Insider berichtet, soll die zweite Fluggesellschaft Easyjet sein. Der britische Billigflieger soll demnach vor allem Interesse an den Start- und Landerechten (Slots) in Berlin und Düsseldorf haben. Easyjet wollte den Bericht bislang nicht kommentieren.
Eine Übernahme durch beispielsweise Lufthansa und Easyjet ist aus Sicht des Hamburger Luftfahrtexperten Heinrich Großbongardt „die sinnvollste und logischste Perspektive." Eine Übernahme durch Ryanair etwa sei weder für die Mitarbeiter wünschenswert noch wahrscheinlich. „Das entspräche auch nicht der Strategie von Ryanair, die bislang noch nie auf Übernahmen zur Geschäftserweiterung gesetzt haben."
Das ist Air Berlin
Die 1978 gegründete Fluggesellschaft Air Berlin ist mit dem Boom der Billigflieger groß geworden. Erfolg hatte Deutschlands zweigrößte Airline zunächst mit Flügen von Berlin nach Mallorca. 2002 nahm sie Linienflüge in europäische Städte ins Programm.
Nach einem radikalen Expansionskurs geriet das Unternehmen in eine Krise. Seit 2008 schreibt Air Berlin - mit einer Ausnahme durch den Verkauf des Vielfliegerprogramms - rote Zahlen. Im Jahr 2016 betrug der Verlust rund 782 Millionen Euro, der Schuldenberg wuchs auf knapp 1,2 Milliarden Euro. Jahrelang hielt der arabische Großaktionär Etihad, der 29,2 Prozent der Anteile besitzt, die Airline mit Finanzspritzen in der Luft.
Im August 2017 zieht Etihad die Reißleine: Der Hauptaktionär erklärt, keine weitere finanzielle Unterstützung zur Verfügung zu stellen. Air Berlin stellt daraufhin beim zuständigen Amtsgericht Berlin-Charlottenburg einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung.
Die irische Fluggesellschaft hatte die Insolvenz und die staatliche Zwischenfinanzierung von 150 Millionen Euro scharf kritisiert. Ryanairs Stein des Anstoßes: Die Insolvenz laufe gezielt auf eine Übernahme der Air Berlin durch die Lufthansa hinaus und werde in Deutschland zu höheren Ticketpreisen führen.
Damit würde der Abschied von Air Berlin zum Nachteil für die deutschen Fluggäste. Wie in jedem Markt profitieren Verbraucher auch auf dem Flugmarkt von vielfältiger Konkurrenz. Die belebt ja bekanntlich das Geschäft, sorgt häufig für günstigere Preise und gibt dem Kunden die Möglichkeit abzuwägen – zum Beispiel guten Service gegen günstiges Angebot.
Doch was nun, wenn die zweitgrößte deutsche Airline zukünftig nicht mehr abhebt? Droht eine Art Lufthansa-Monopol mit höheren Preisen durch weniger Konkurrenz? Reduzieren sich dann die Flugverbindungen und Angebote für die Städtereise nach London? Oder die Touristenfliegerzahl zum Flughafen Palma de Mallorca? Und muss man zukünftig mit Lufthansa über den Atlantik zum Kranich-Preis buchen, weil es an Alternativen von deutschen Flughäfen aus mangelt? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Drohen höhere Ticketpreise ohne Air-Berlin-Angebote?
Branchenkenner geben Verbrauchern größtenteils Entwarnung. Höhere Ticketpreise durch die fehlende Konkurrenz und eine Marktbeherrschung durch die Lufthansa halten die meisten Experten für wenig wahrscheinlich – und nur in Einzelfällen für ein echtes Problem.
„Gehen wir von der Grundannahme ‚Weniger Wettbewerb – steigende Preise‘ aus, kann im schlimmsten Fall ein Abschied von Air Berlin natürlich steigende Ticketpreise bedeuten", sagt Ingmar Streese, Leiter des Geschäftsbereichs Verbraucherpolitik beim Verbraucherzentrale-Bundesverband. „Gleichwohl haben wir in den vergangenen Jahren gesehen, dass in allen Ländern Europas der Wettbewerb zugenommen hat und die Preise gesunken sind, sodass es kein Automatismus wäre." Der Wettbewerb auf dem deutschen Luftverkehrsmarkt könne sich künftig sogar durchaus weiter verschärfen, blickt man auf die zahlreichen europäischen Billigfluggesellschaften.
„Die Auswirkungen werden gering bleiben", schätzt auch Luftfahrtexperte Großbongardt. „Das Angebot am deutschen Markt ist besonders im Low-Cost- und Touristik-Bereich reichlich." Anbieter wie Eurowings, Ryanair, Easyjet, aber auch Condor im Touristensegment sowie neuere Gegenspieler auf der Langstrecke wie Norwegian Air sorgen bereits für vielfältige Konkurrenz um den besten Preis.
Den Preiskampf, für den Air Berlin einst stand, haben längst andere übernommen. Europas Billig- und Low-Cost-Flugmarkt ist längst neu sortiert. Dank günstigerer Kostenstrukturen und effektiverer Ausrichtung, mit der sie trotzdem gutes Geld verdienen, sind es schon längst Konkurrenten wie Ryanair und Easyjet, die die Preise diktieren. Air Berlin hat das Nachsehen. „Air Berlin war nun mal nicht der billigste und effizienteste Anbieter", gibt Streese zu Bedenken. „Wenn andere Anbieter nun Strecken übernehmen und dort effizienter agieren, kann das in manchen Fällen sogar Preissenkungen bedeuten."
Was der Verbraucherzentrale-Bundesverband problematisch sieht, ist die Aussicht, dass manche Strecken zukünftig ausschließlich von einem Wettbewerber bedient werden könnten. „Fluglinien wie Berlin-Düsseldorf etwa, werden derzeit von kaum jemand anderem so hochfrequentiert bedient, wie Eurowings und Air Berlin", sagt Streese. Würde Air Berlin dort wegfallen, könnten diese Preise dann tatsächlich nach oben gehen.
Können die Air-Berlin-Lücken geschlossen werden?
Falls überhaupt nennenswerte Lücken entstehen, werden die profitablen schnell von anderen Airlines besetzt werden. Denn neben der Lufthansa und womöglich Easyjet haben bereits andere Fluggesellschaften angekündigt, sich an dem Streckennetz beteiligen zu wollen.
So interessiert sich etwa der Reisekonzern Thomas Cook für Teile von Air Berlin. Thomas Cook und die Ferienflug-Tochter Condor stünden für eine "aktive Beteiligung an der Zukunft von Air Berlin bereit", sagte ein Thomas-Cook-Sprecher. Air Berlin und die Tochter Niki befördern bereits einen Teil der Gäste von Thomas Cook in den Urlaub. "Thomas Cook und Condor sind bereit, eine aktive Rolle bei möglichen Auffanglösungen zu spielen", sagte der Sprecher. Diese müssten aber nachhaltig und kartellrechtlich zulässig sein.
Dass eine Aufteilung von einzelnen produktiven Teilen Air Berlins für den Fall einer Insolvenz schon länger geplant gewesen sein könnte, deuten Branchenkenner dieser Tage vermehrt an. Etihad hatte bereits im vergangenen Jahr Air Berlin dreigeteilt – in Air Berlin, den Urlaubsflieger Niki und den Teil, der für Eurowings Flüge übernimmt. Offiziell gelten sie zum jetzigen Zeitpunkt als drei getrennte Unternehmen. „Das könnte die Strategie von Etihad gewesen sein, die funktionierenden Teile von Air Berlin vor der Insolvenz herauszulösen. Um sie dann selbst zu verwenden oder profitabel an einen Dritten weiterzuverkaufen. Der Rest kann dann Konkurs gehen", so ein Insider gegenüber der WirtschaftsWoche Online. Ob die verschiedenen Teile auch losgelöst von der Insolvenz agieren können, ist derzeit noch unklar.
Die Aufteilung zeigt aber schon jetzt: Air Berlin ist bereits nach seinen Filetstücken aufgeteilt – fertig zum Verkauf sozusagen.
Was geschieht mit den einzelnen Teilen von Air Berlin?
Eines dieser Filetstücke ist Niki. Unter diesem Namen hat Air Berlin jene Flüge gebündelt, die die Airline einst groß gemacht haben: das Touristikgeschäft. Air Berlin selbst konzentriert sich inzwischen auf innerdeutsche Flüge zwischen Städten wie Berlin (Tegel), Düsseldorf, München, Hamburg, Köln/Bonn und Stuttgart. Dazu gehen von Düsseldorf und Tegel aus einige Langstrecken-Verbindungen in die USA. Der große Rest, also die Ferienflüge von Deutschland aus zu Sonnenzielen wie Palma de Mallorca, Teneriffa oder Malaga werden seit dem Sommerflugplan ausschließlich von Niki bedient.
„Niki ist von der Substanz her tragfähig", so der Insider gegenüber WirtschaftsWoche Online. Offen ist aber, wie stark Niki von der Insolvenz betroffen ist. Etihad hat zwar bereits 300 Millionen Euro für die Niki-Anteile von Air Berlin bezahlt und sie damit faktisch übernommen. Doch die Fluggesellschaft gehört wegen der Insolvenz weiterhin Air Berlin, das Geld dürfte für den Aktionär aus Abu Dhabi verloren sein. "Der Vertrag gilt als schwebend unwirksam", sagt ein Insolvenzrechtler.
Der ursprüngliche Plan von Etihad, Niki mit TUIfly zu fusionieren, war gescheitert. Der Ferienflieger TUIfly fliegt aber für Niki mit eigenem Personal und geleasten Flugzeugen. Der deutsch-britische Reisekonzern TUI hat auch Passagiere auf Air-Berlin-Flüge gebucht. Um diese beiden Themen geht es auch in den Gesprächen mit Air Berlin. Eine Übernahme von Unternehmensteilen durch TUI steht Insidern zufolge derzeit nicht zur Debatte.
Der zweite Teil, den Air Berlin schon von der eigentlichen Kernmarke abgelöst hat, sind jene 40 Flugzeuge samt Besatzungen, die Flüge für Eurowings durchführen. Der Insider hält das aus Sicht von Air Berlin für ein gutes Geschäft. „Von den an Eurowings abgetretenen Fliegern erhält Air Berlin einen stabilen Cashflow. Deshalb kann es sein, dass die 150 Millionen Euro Kredit eine Weile ausreichen."
Teil drei ist der große Rest. Dazu zählen sowohl Langstrecken-Flüge wie die US-Verbindungen etwa aus Düsseldorf oder Berlin, als auch die innereuropäischen und innerdeutschen Strecken, die noch unter Air-Berlin-Logo fliegen. Diese könnten zerschlagen und in Teilen an Konkurrenten verkauft werden. Beispielsweise Start- und Landerechte in Berlin und Düsseldorf an Easyjet, sollte sich der Reuters-Bericht bewahrheiten. Oder rentable Kurz-, Mittel- und Langstrecken an Lufthansa-Tochter Eurowings – auch die dürften bereits Teil der Verhandlungen sein.
Verschlechtert sich durch Air Berlins Abschied das Flugangebot?
Die Angst, dass das Angebot für Verbraucher nun sehr viel schlechter werden könnte, wenn Air Berlin in Teilen der Konkurrenz zugeschlagen wird, ist laut den Experten unbegründet.
"Es muss sich niemand Sorgen machen, dass echte Angebotslücken entstehen", ist sich Luftfahrtexperte Großbongardt sicher: „In solche Lücken, die Air Berlin hinterlassen könnte, wird kurzfristig jemand reinspringen." Profitable Strecken und solche mit Wachstumspotenzial werden erhalten bleiben, wenn sie bei der Konkurrenz Mehrwert schaffen: „Wenn ein Konkurrent Streckennetze übernimmt, werden die vorhandenen Air-Berlin-Strecken genutzt, um das eigene Angebot zu komplettieren und zu erweitern", schätzt Großbongardt.
Dass sich für die Slots und Flugverbindungen neue Wettbewerber finden lassen, die diese übernehmen – da ist sich auch Verbraucherschützer Streese sicher: „Entweder indem sie von Air Berlin abgekauft oder nach deren Abgang neu aufgebaut werden." Wettbewerb auf allen Strecken beibehalten – das ist den Verbraucherschützern das wichtigste Anliegen im Falle einer Air-Berlin-Aufteilung. „Um monopolartige Strukturen auf bestimmten Strecken auszuschließen, befürworten wir eine Aufteilung der Airline auf verschiedene Konkurrenten", sagt Streese. „Wir hoffen dabei darauf, dass Bundesregierung und Kartellamt diesen Aspekt kritisch prüfen und zu einer schnellen Lösung kommen." Ein Teilverkauf derjenigen Strecken, die ansonsten ausschließlich vom Hause Lufthansa bedient würden, an andere Konkurrenten (etwa Easyjet), würde ein solches Monopol leicht verhindern.
Natürlich hängt das zukünftige Flugangebot zu großen Teilen auch davon ab, welcher Konkurrent, was übernimmt. „Wirft man beispielsweise einen Blick darauf, wie expansiv eine Eurowings bei den Langstrecken mittlerweile agiert, kann man erwarten, dass lohnenswerte Strecken mit Sicherheit übernommen werden", sagt Großbongardt. Die Entwicklungen auf dem noch recht neuen Low-Cost-Markt deuten beispielsweise darauf hin, dass profitable Air-Berlin-Strecken auch hier erhalten bleiben dürften. „Da steckt durchaus ein großes Volumen drin", so Großbongardt.
Das zeigt sich beispielhaft an Norwegian Air: Die Norweger starten seit diesem Jahr als erste europäische Airline Billigflüge auf der Langstrecke. Zunächst mit Routen nach New York und Bangkok, bald sollen Insidern zufolge Fort Lauderdale in Florida, China und Malaysia folgen. Damit macht der norwegische Edelbilligflieger eine deutlich bessere Kampfansage an die Lufthansa als Air Berlin sie jemals hätte machen können.
Könnte weniger Airline-Auswahl zu schlechterem Service führen?
Dass zukünftig die Lufthansa so unpünktlich wird, wie zuletzt häufig Air Berlin, die es damit immer mal wieder in die Top-Tweets bei Twitter schaffte – einfach weil man es sich nun erlauben kann, scheint also unwahrscheinlich. Letztendlich scheidet wohl ein Konkurrent namentlich aus dem deutschen Fluggeschäft aus – es stehen aber genügend andere Schlange.
"Ein Abgang der Airline wird weder Angebotslücken zurücklassen, noch ein Umfeld schaffen, in dem Wettbewerber Preise hochsetzen oder Leistung ungestraft einbüßen können", schlussfolgert Großbongardt. Sein Fazit deshalb: „Air Berlin wird auf dem Markt ganz sicher nicht fehlen."
So kam es zur Insolvenz