Deutschlands zweitgrößte Airline wird schon jetzt von Altlasten, hohen Flugzeugmieten und einem gigantischen Schuldenberg erdrückt. Eine Anleihe von 200 Millionen Euro war gerade fällig, als Pichler seinen Quartalsgewinn der Öffentlichkeit verkündete. Und der Aufbau neuer Langstreckenverbindungen ist teuer. Zunächst braucht Pichler neue Flugzeuge. Zwar hat er still und leise seine Langstreckenflüge ab München gestrichen. Doch für das neue Programm braucht er zwei oder besser drei zusätzliche Langstreckenjets.
Dazu werden Millionen allein für die Werbung fällig und weil die sich die Maschinen am Anfang nur mit Sonderangeboten füllen lassen, bleiben Langstreckenflüge in den ersten Monaten in der Regel ein Verlustgeschäft. Während sich eine neue Europaroute quasi mit dem bestehenden Netz bewerben lässt, muss für eine Strecke nach Übersee lange im Voraus getrommelt werden.
Nur aus Deutschland heraus ist keine Strecke profitabel zu betreiben. Das gilt nicht zuletzt am Zielort USA, wo Air Berlin neben den starken heimischen Linien eher zu den Exoten zählt.
Die Chronik von Air Berlin
Vor 38 Jahren hob der erste Air-Berlin-Flieger ab. Alles begann mit alliierten Sonderrechten zur Landung im geteilten Berlin. Nach der Wende wuchs Air Berlin zur Nummer Zwei am Himmel über Deutschland heran, doch dann folgte eine jahrelange Krise.
1978: Gründung als Chartergesellschaft durch den Ex-Pan-Am-Pilot Kim Lundgren. Erstflug am 28. April 1979 von Berlin-Tegel nach Mallorca. Die Flotte umfasst zwei Maschinen.
1991: Im April kauft der LTU-Manager Joachim Hunold die Mehrheit der Anteile. Es gibt kurz darauf 15 Flüge pro Tag. Air Berlin expandiert und stationiert zunehmend auch Flugzeuge auf Regionalflughäfen.
1998: Mit dem Mallorca Shuttle Einstieg ins Linienfluggeschäft.
Einstieg zu 25 Prozent bei der österreichischen Fluggesellschaft Niki des früheren Rennfahrers Niki Lauda.
Börsengang und Kauf der Fluggesellschaft dba.
Kauf des Ferienfliegers LTU, damit auch Interkontinentalflüge.
Air Berlin rutscht in die roten Zahlen, legt das erste Sparprogramm auf: Strecken fallen weg, Flugzeuge werden ausgemustert. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor scheitert.
Air Berlin kündigt für 2012 den Eintritt in das Luftfahrtbündnis Oneworld an.
Hunold wirft das Handtuch, Hartmut Mehdorn übernimmt. Ein weiteres Sparprogramm soll das operative Ergebnis um 200 Millionen Euro verbessern. 18 der 170 Maschinen werden verkauft.
Die arabische Staatsairline Etihad erhöht ihren Anteil von knapp 3 auf 29,2 Prozent und stützt die Airline mit einem 255-Millionen-Dollar-Kredit. Ein neues Sparprogramm beginnt. Der Verkauf des Vielfliegerprogramms an Großaktionär Etihad bringt nur vorübergehend wieder schwarze Zahlen.
Wolfgang Prock-Schauer wird Vorstandschef und verschärft das von Mehdorn im Vorjahr aufgelegte neue Sparprogramm. Jeder zehnte Arbeitsplatz fällt weg, die Flotte schrumpft auf 142 Maschinen.
Im Februar löst Stefan Pichler den glücklosen Prock-Schauer ab. Air Berlin macht 447 Millionen Euro Verlust - so viel wie nie.
Nach einem juristischen Tauziehen kann Air Berlin den größten Teil der wichtigen Gemeinschaftsflüge mit Etihad weiter anbieten. Die Zahlen bessern sich nicht. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Mit einem tiefgreifenden Umbau und der Streichung von bis zu 1200 Arbeitsplätzen will Air Berlin seine Krise überwinden.
Air Berlin bekommt einen neuen Chef. Der Lufthansa-Manager und früheren Germanwings-Chef Thomas Winkelmann wird Vorstandschef. Air Berlin führt ihren Flugbetrieb in zwei getrennten Geschäftsfeldern weiter: Langstreckenflüge und Städteverbindungen in Europa werden zusammengefasst, Urlaubsflüge unter der Marke Niki geführt. Lufthansa erklärt sich bereit, Air Berlin zu übernehmen, wenn der Großaktionär Etihad zuvor die Schulden übernähme.
Air Berlin meldet Insolvenz an. Zuvor hatte Etihad seine finanzielle Unterstützung eingestellt. Ein 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes soll den Flugbetrieb zunächst sichern.
Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet am 27. Oktober 2017 um 23.45 Uhr der letzte Air-Berlin-Flieger dort. Die Zukunft der Angestellten und vieler Unternehmensteile ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.
Das wird bei der Strecke nach Dallas noch einigermaßen klappen, weil American Airlines als Partner in der Oneworld-Allianz hier sein stärkstes Drehkreuz hat. In San Francisco und vor allem Boston wird dies schwieriger. Hier sind nicht nur andere Airlines stärker als American, auch der Konkurrenzkampf ist extrem. So will etwa auch der neue Lufthansa-Billigflieger Eurowings von Köln aus nach Boston fliegen.
„Zum Investieren haben wir kein Geld“
Die Ausgaben für den Ausbau kann Air Berlin trotz erster Sparerfolge nicht ohne weiteres allein tragen. „Zum Investieren haben wir kein Geld“, erklärt ein Insider und verweist auf die hohen Schulden und das hohe negative Eigenkapital. Somit bleibt eigentlich nur ein neuer Zuschuss vom Hauptaktionär Etihad aus Abu Dhabi.
Doch das wird rechtlich schwierig. Denn nach den vielen Zuwendungen der vergangenen Jahre gibt es fast keine Möglichkeiten mehr, mit der Etihad dann nicht als kontrollierender Aktionär gelten würde. Das könnte Air Berlin seinen Status als deutsches Unternehmen kosten. Und hierdurch wiederum dürfte die Linie gerade auf den Langstrecken die Flugrechte verlieren.
Ausgerechnet Etihad aber wird die Kehrtwende beim Sanierungskonzept forciert haben. Bei den Arabern stieß Pichlers radikaler Sparkurs auf wenig Gegenliebe. Bei der Vorstellung der Pläne Ende September soll es zwischen dem Chef der arabischen Airline, James Hogan, und Pichler heftig geknallt haben.
Denn Etihad braucht keine kleine, gesundgeschrumpfte Air Berlin: Der schnell wachsende Konzern braucht eine deutsche Fluglinie, die das eigene Streckennetz erweitert und ergänzt. Mit zu wenig Routen und zu schlechtem Service, so die Ansage, ist Air Berlin für den Großaktionär wenig wert.
Dienstleister
Und die Worte aus Abu Dhabi haben Gewicht. Nicht nur, dass die Araber mit 29,21 Prozent an Air Berlin beteiligt sind. Ihre Geldspritzen hielten die Fluglinie bislang am Leben.
Doch die Investitionen in Millionenhöhe brachten zuletzt wenig Freude. Auch, weil ein großer Teil der Codeshare-Verbindungen, bei denen Etihad Air-Berlin-Flüge unter eigenem Namen anbietet, auf der Kippe stehen. Die umstrittenen Gemeinschaftsflüge sollen ab dem 15. Januar verboten werden, bekräftigte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt am Dienstag erneut, weil sie gegen die Verkehrsabkommen zwischen Deutschland und den Arabischen Emiraten verstoßen.
Somit kommt jetzt statt dem erhofften Neubeginn erneut eine Phase des "weiter so". Für Pichler, der einst als Erneuerer angetreten ist, kann das nicht befriedigend sein, sagen Konzernkenner.