Die Reißleine ist gezogen, der Insolvenzantrag gestellt und die Zukunft von Deutschlands zweitgrößter Fluggesellschaft Air Berlin ungewisser denn je. Diese Fragen sollten in den kommenden Monate geklärt werden.
Wer hat Chancen bei der Übernahme?
In den nächsten drei Monaten greift zunächst die Bundesregierung der Fluglinie mit einem Kredit von 150 Millionen Euro unter die Arme. Vorstandschef Thomas Winkelmann verhandelt derweil mit Lufthansa und weiteren Interessenten über einen Verkauf von Teilen der Airline und ist optimistisch: "Die Zukunftsfrage von Air Berlin wird nun zügig gelöst. Wer Teile haben will, muss jetzt bieten." Die Gespräche mit möglichen Partnern seien "sehr weit gediehen".
Insbesondere die Lufthansa steht bereit um die begehrten Start-und Landerechte zu übernehmen. "Der Plan ist, die Flugziele so aufzuteilen, dass nichts übrig bleibt", sagte ein Insider. Air Berlin fliegt in erster Linie Berlin und Düsseldorf an. "Lufthansa und Easyjet ergänzen sich da da gut." Der irische Billigflieger Ryanair sieht seine Felle davon schwimmen und will das nicht einfach so hinnehmen. Ryanair hat in der Insolvenz aber noch eine Chance, denn Vorstand und Sachverwalter sind allein den Gläubigern verpflichtet. "Sie müssen dafür sorgen, dass nichts verschenkt wird." Bietet Ryanair mehr für die Rechte, wird es schwer, dagegen anzukommen.
Auch der Reisekonzern Thomas Cook interessiert sich nun für Teile der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin. Thomas Cook und die Ferienflug-Tochter Condor stünden für eine "aktive Beteiligung an der Zukunft von Air Berlin bereit", sagte ein Thomas-Cook-Sprecher am Mittwoch. Air Berlin und die Tochter Niki befördern bereits einen Teil der Gäste von Thomas Cook in den Urlaub. "Thomas Cook und Condor sind bereit, eine aktive Rolle bei möglichen Auffanglösungen zu spielen", sagte der Sprecher. Diese müssten aber nachhaltig und kartellrechtlich zulässig sein.
Wie geht der Konflikt zwischen der Bundesregierung und Ryanair weiter?
Ryanair kritisierte auch die staatliche Rettungsmaßnahme scharf und reichte nach eigenen Angaben beim Bundeskartellamt und bei der EU-Wettbewerbskommission Beschwerden gegen eine mögliche Übernahme Air Berlins durch die Lufthansa ein. Die irische Fluglinie wittert einen Komplott zwischen Air Berlin, der Bundesregierung und der Lufthansa.
Auf die Vorwürfe reagiert die Bundesregierung mit Unverständnis. "Die Vorwürfe von Ryanair, es handele sich um einen inszenierten Insolvenzantrag, sind abwegig", sagte eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums am Mittwoch. Für die gesamte Regierung sei die Erklärung des Air-Berlin-Anteilseigners Etihad am Freitagabend überraschend gewesen, dass die gemachten Zusagen nicht mehr fortgeführt würden. Die Bundesregierung sei erst von Air Berlin über die Entwicklung informiert worden und habe deshalb sehr schnell eine Entscheidung treffen müssen.
"Wir gehen davon aus, dass sie beihilferechtlich konform ist", sagte die Sprecherin mit Blick auf den gewährten Übergangskredit. Außerdem rechnet sie damit, dass die 150 Millionen Euro Übergangskredit für die insolvente Fluggesellschaft Air Berlin zurückgezahlt werden. Die Zahlung durch die KfW werde derzeit vorbereitet, sagte die Sprecherin. Das Geld ist durch eine Bundesbürgschaft abgesichert. Man gehe davon aus, dass die Verhandlungen zwischen Air Berlin und anderen Airlines etwa über Start- und Landerechte zügig abgeschlossen würden und das Darlehen zurückgezahlt werde.
Auch Kanzlerin Angela Merkel hat den Übergangskredit verteidigt. Zehntausende Reisende im Stich zu lassen, „weil Benzin nicht bezahlt werden kann und die Tickets verfallen, das wäre glaube ich nicht angemessen gewesen“, sagte Merkel am Mittwoch in einer im Internet übertragenen Fragerunde mit vier prominenten jungen YouTubern. Die Bundesregierung habe sich die Entscheidung für den Übergangskredit „sehr gut überlegt“.
Auf die Frage, wie groß die Gefahr sei, dass am Ende der Steuerzahler die Rettung von Air Berlin bezahlen müsse, sagte die Kanzlerin: „Die ist relativ gering. Sonst hätten wir diesen Überbrückungskredit oder Brückenkredit gar nicht geben dürfen.“ Air Berlin stelle noch Werte dar, etwa über deren Landerechte. Auf Nachfrage betonte sie, die Bundesregierung könne „mit großer, großer Wahrscheinlichkeit sagen, dass der Steuerzahler das nicht bezahlen muss“.
Das ist Air Berlin
Die 1978 gegründete Fluggesellschaft Air Berlin ist mit dem Boom der Billigflieger groß geworden. Erfolg hatte Deutschlands zweigrößte Airline zunächst mit Flügen von Berlin nach Mallorca. 2002 nahm sie Linienflüge in europäische Städte ins Programm.
Nach einem radikalen Expansionskurs geriet das Unternehmen in eine Krise. Seit 2008 schreibt Air Berlin - mit einer Ausnahme durch den Verkauf des Vielfliegerprogramms - rote Zahlen. Im Jahr 2016 betrug der Verlust rund 782 Millionen Euro, der Schuldenberg wuchs auf knapp 1,2 Milliarden Euro. Jahrelang hielt der arabische Großaktionär Etihad, der 29,2 Prozent der Anteile besitzt, die Airline mit Finanzspritzen in der Luft.
Im August 2017 zieht Etihad die Reißleine: Der Hauptaktionär erklärt, keine weitere finanzielle Unterstützung zur Verfügung zu stellen. Air Berlin stellt daraufhin beim zuständigen Amtsgericht Berlin-Charlottenburg einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung.
Was wird aus Niki?
Die Österreich-Tochter von Air Berlin soll aus der Insolvenz herausgehalten werden. Air Berlin verkaufte im Laufe des Jahres seine Anteile an Niki an den arabischen Großaktionär Etihad. Bisher hatte Etihad 300 Millionen Euro für die Niki-Anteile bezahlt. Doch die Fluggesellschaft gehört wegen der Insolvenz weiterhin Air Berlin, das Geld dürfte für den Aktionär aus Abu Dhabi verloren sein. "Der Vertrag gilt als schwebend unwirksam", sagt ein Insolvenzrechtler. Im Dezember 2016 war vereinbart worden, dass Air Berlin ihre österreichische Tochter Niki an Etihad verkauft. Erst im Juni hatte Etihad-CEO Ray Gammell erklärt, man wolle die Transaktion in Kürze abschließen.
Welche Rolle spielt TUI?
Der ursprüngliche Plan von Etihad, Niki mit TUIfly zu fusionieren, war gescheitert. Der Ferienflieger TUIfly fliegt aber für Niki mit eigenem Personal und geleasten Flugzeugen. Der deutsch-britische Reisekonzern TUI hat auch Passagiere auf Air-Berlin-Flüge gebucht. Um diese beiden Themen geht es auch in den Gesprächen mit Air Berlin. Eine Übernahme von Unternehmensteilen durch TUI steht Insidern zufolge derzeit nicht zur Debatte.
Den Großteil der Arbeitsplätze retten
Was wird aus den Mitarbeitern von Air Berlin?
Air-Berlin-Chef Thomas Winkelmann ist zuversichtlich, einen Großteil der 7200 Arbeitsplätze bei der insolventen Fluggesellschaft in Deutschland zu retten. "Ich glaube, trotz Insolvenz mein Ziel zu erreichen und einen Großteil der Jobs zu sichern. Das kriegen wir hin", sagte der ehemalige Lufthansa-Manager der Wochenzeitung "Die Zeit" einem Vorabbericht vom Mittwoch zufolge.
Piloten und Bordpersonal dürften die besten Chancen haben, bei Lufthansa oder Easyjet unterzukommen. Schließlich müssen die bisher von Air Berlin geflogenen Strecken auch künftig bedient werden. Allerdings dürfte Lufthansa sie nur zu den Bedingungen der Billigflug-Tochter Eurowings einstellen. Schwieriger wird es für die rund 1000 Beschäftigten in der Berliner Zentrale und die 850 Mitarbeiter der Technik-Tochter. Alle 7200 Beschäftigten in Deutschland bekommen erst einmal bis Oktober Insolvenzgeld von der Arbeitsagentur. Die Gehälter für Juli hatte Air Berlin noch selbst gezahlt.
Was wird aus Etihad und den anderen Investoren?
Aus den Erlösen aus dem geplanten Verkauf der Start- und Landerechte wird zunächst der Massekredit der Staatsbank KfW über 150 Millionen Euro zurückgezahlt. Ob das reicht, ist offen. Wenn nicht, springt der Staat ein. Was danach übrig bleibt, bekommt zunächst die Arbeitsagentur. Die Zeichner von Air-Berlin-Anleihen gehen aller Wahrscheinlichkeit nach leer aus: Ihr Schuldner ist die britische Air Berlin plc - die eine weitgehend leere Hülle ist. Etihad muss nicht nur seinen knapp 30-prozentigen Aktienanteil abschreiben. Auch die Kredite, die der Partner aus Abu Dhabi Air Berlin gegeben hat, dürften wertlos sein. Als Gesellschafterdarlehen werden sie nachrangig behandelt, das heißt nach allen anderen Schulden bedient.
Wie reagieren die Gewerkschaften?
Die Insolvenz von Air Berlin hat nun auch das Personal bei der Lufthansa-Billigtochter verunsichert. Die seit April laufende Schlichtung im Tarifkonflikt der Flugbegleiter bei der Lufthansa-Billigtochter Eurowings ist gescheitert. Mit der Geschäftsleitung von Eurowings habe keine Lösung erarbeitet werden können, teilte die Flugbegleiter-Gewerkschaft UFO am Mittwoch mit. Grund dafür sei die Insolvenz des Lufthansa-Rivalen Air Berlin, durch die der Konzern billig an Flugzeuge und Personal kommen könne. "Mit dieser neuen Situation sind flächendeckende Arbeitskämpfe zu erwarten", kündigte Ufo-Tarifvorstand Nicoley Baublies an. Ein Eurowings-Sprecher sagte, man bedauere, dass UFO die Schlichtung abgebrochen habe, "obwohl wir tragfähige Lösungen angeboten haben und gemeinsam mit dem Schlichter einen Kompromiss ausarbeiten wollten." Die Eurowings-Mitarbeiter seien extrem verunsichert, erklärte die Gewerkschaft. „Die Gefahr, dass Mitarbeitergruppen gegeneinander ausgespielt werden und einzelne Eurowings-Betriebe in den Abwärtswettbewerb gegeneinander gebracht werden, ist nun keine Fiktion mehr. Es ist harte Realität.“
Die Gewerkschaft appellierte an die Bundesregierung, von den beteiligten Unternehmen soziale Verantwortung zu verlangen. Auch Eurowings befinde sich in einer „Schmuddelecke“, die sie mit schlechten Arbeitsbedingungen bei außerdeutschen Eurowings-Anbietern wie auch bei den heimischen Teilgesellschaften selbst zu verantworten habe.