Jetzt also der Radikal-Umbau. Nach Jahren der Krise, der gescheiterten Sanierungsversuche und des Gezerres zwischen Unternehmungsführung und Großinvestor Etihad bleibt bei Air Berlin nur noch der Zug an der Reißleine.
Die angeschlagene Fluggesellschaft streicht im Zuge eines umfassenden Konzernumbaus die Flugzeugflotte auf 75 Flugzeuge zusammen. Gut halb so viele wie bisher. Konkurrent Lufthansa soll per Leasing bis zu 40 Maschinen übernehmen und sie hauptsächlich in den Farben der Billigtochter Eurowings fliegen lassen.
Der Deal mit der Lufthansa umfasst das Cockpit- und Kabinenpersonal, die technische Wartung, die Versicherung und die Betriebskosten. Air Berlin will bei der geplanten Vermietung von Flugzeugen an den Lufthansa-Konzern allerdings keinerlei Start-, Landerechte und Strecken mit übertragen. Dies geht aus der Präsentation des Air-Berlin-Vorstands zur Telefonkonferenz an diesem Donnerstag hervor. Die Vereinbarung soll sechs Jahre laufen und mit dem Sommerflugplan am 26. März 2017 beginnen.
Die Air-Berlin-Spitze erwartet dafür von der Lufthansa über die Laufzeit des Vertrags Zahlungen von mehr als 1,2 Milliarden Euro. Kosten wie Treibstoff und Flughafengebühren trägt die Lufthansa.
Zudem soll das Air-Berlin-Touristikgeschäft mit 35 Flugzeugen in einen eigenständigen Bereich verlagert werden. Hunderte verlieren durch die Restrukturierungsmaßnahmen ihren Job. Bis zu 1200 Stellen der 8600 Stellen sollen gestrichen werden.
Es ist die größte Neuordnung der deutschen Flugbranche seit Jahren, ein Wachstumsschub für die Lufthansa-Tochter Eurowings und vor allem der verzweifelte Versuch eines Befreiungsschlags von Air Berlin.
Geht alles nach Plan, wird sich Air Berlin in Zukunft auf die Drehkreuze Berlin und Düsseldorf konzentrieren. Der Fokus soll auf Premium liegen sowie auf ausgewählte Mittel- und Langstrecken "zu den wichtigsten europäischen Wirtschaftsstandorten" und weltweiten Langstreckenflügen.
Skytrax-Ranking: Die besten Airlines der Welt
Hainan Airlines
Vorjahr: Rang 12
Etihad Airways
Vorjahr: Rang 6
Lufthansa
Vorjahr: Rang 10
EVA Air
Vorjahr: Rang 8
Cathay Pacific
Vorjahr: Rang 4
Emirates
Vorjahr: Rang 1
ANA All Nippon Airways
Vorjahr: Rang 5
Singapore Airlines
Vorjahr: Rang 3
Qatar Airways
Vorjahr: Rang 2
Der Hansa-Berlin-Deal ist die erwartete Entwicklung. Die langfristigen Folgen sind dennoch schwer absehbar, die Entscheidungen und Motive, die zu dem Deal führten, aber zumindest nachvollziehbar.
Air Berlin werde nun "ein fokussierter Netzwerk-Carrier mit einem klaren Profil", heißt es in der offiziellen Mitteilung des Konzerns. Das klingt besser als Schrumpfkurs oder Kahlschlag; Begriffe, die seit Tagen die Runde machen.
Air Berlin peilt schwarze Zahlen für 2018 an
Dass Air Berlin mit dem Rücken zur Wand steht und offenbar keinen anderen Ausweg mehr sah, lässt sich nicht verschweigen. "Bei dieser weitreichenden Umstrukturierung unseres operativen Geschäfts richten wir uns strategisch neu aus, um Air Berlin eine Zukunft zu eröffnen", so Air-Berlin-Chef Stefan Pichler.
Durch den stetig zunehmenden Marktdruck sehe sich die Fluggesellschaft gezwungen, das "bestehende komplexe Geschäftsmodell" zu ändern.
Deutschlands zweitgrößte Linie steckt tief in Problemen. Das wurde unter anderem bei der Verkündung der jüngsten Quartalszahlen überdeutlich. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum schrumpfte der Umsatz um mehr als neun Prozent auf 971 Millionen Euro – auch weil Air Berlin das Flugangebot gekappt und die Flotte verkleinert hatte. Der Verlust vor Zinsen und Steuern vervierfachte sich nahezu auf 63 Millionen Euro.
Bei Air Berlin läuft es seit Jahren schlecht. Überhaupt hat die Linie in der Unternehmensgeschichte nur einmal, im Jahr 2012, einen Gewinn erwirtschaftet. Das Minus in 2015 betrug satte 446 Millionen Euro. Das Eigenkapital ist seit 2013 negativ. Die Linie hat unterm Strich kein echtes Vermögen mehr und bereits den letzten ihrer Jets verkauft.
Die Fluggesellschaft rechnet nach ihrem angekündigten Kahlschlag auch im kommenden Jahr noch nicht mit einem Gewinn. „Wir erwarten, in 2018 operativ schwarze Zahlen zu schreiben“, sagte Vorstandschef Pichler am Donnerstag in einer Telefonkonferenz.
Pichler war 2015 mit dem Satz "das ist unser letzter Schuss" angetreten, die angeschlagene Linie zu retten. Doch er konnte sich im Ringen mit Großaktionär Etihad nicht durchsetzen. Sein Sanierungsplan scheiterte am Widerstand aus Abu Dhabi.
Lange hielt Etihad die deutsche Linie in der Luft - mal mehr, mal weniger offensichtlich. Hohe Summen flossen, der Einfluss der Geldgeber aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, die offiziell mit 29,2 Prozent an dem Unternehmen beteiligt sind, wuchs. "De facto hat Etihad in fast allen Bereichen längst das Sagen", erklären Konzerninsider hinter vorgehaltener Hand.
Air Berlin verkommt zum Zubringer
Doch die Fluggesellschaft aus Abu Dhabi wurde nicht glücklich mit ihrem Investitionsobjekt. Da absehbar ist, dass Air Berlin kaum zur Gewinnmaschine taugt, wollen die Etihad-Oberen wenigstens als Erweiterung des eigenen Netzes und als Zubringer einsetzen. Das erklärt die Art der Aufteilung. Erhalten bleiben schließlich auch die Langstreckenflüge aus Berlin und Düsseldorf, die das Netz der Etihad-Verbindungen ergänzen.
In diese Logik passt auch der zweite, über verschiedene Berichte angedeutet Coup: Das Touristikgeschäft wird in einem eigenständig agierenden, auf Touristik fokussierten Geschäftsbereich zusammengefasst. Insidern zufolge wollen Air Berlin und Etihad den Bereich in einem Gemeinschaftsunternehmen mit dem Ferienflieger Tuifly des weltgrößten Reisekonzerns Tui bündeln.
Dass Air Berlin nicht nur die Flugzeuge an die Lufthansa abtritt, sondern im Rahmen einer "Wet-Lease-Vereinbarung" auch Cockpit- und Kabinenpersonal, technische Wartung, Versicherung und die Betriebskosten, senkt Kosten und Überkapazitäten deutlich.
Des einen Leid, des anderen Vorteil. Auf einen Schlag kann die Lufthansa, die kurz zuvor die Komplettübernahme der bisherigen 45-Prozent-Beteiligung Brussels Airlines verkündete, mit dem Leasing-Deal ihre Billigtochter Eurowings kräftig ausbauen. Das ist dringend nötig, denn für das anvisierte rasche Wachstum braucht die Linie schlicht mehr Flugzeuge und Verbindungen. Die Flotte von derzeit 90 Jets kann Eurowings nun deutlich aufstocken. Das wirtschaftliche Risiko bleibt dabei für die Verantwortlichen angenehm überschaubar.
Dass die Lufthansa den Deal will, liegt aber nicht ausschließlich am Flugzeug-Zugewinn. Airline-Chef Carsten Spohr schlägt anderen, verdammt lästigen Konkurrenten ein Schnippchen. Denn die Vergangenheit zeigt: Wo Air Berlin schwächelt, rücken Angreifer in Form von Billig-Airlines wie Ryanair, Easyjet oder Transavia nach, die der Lufthansa die Kunden streitig machen. "Jemand muss in die Bresche springen", gab sich Ryanair-Chef Michael O'Leary zuletzt im Interview mit der Zeit streitlustig.
Die Gefahr scheint vorerst verringert. Nun muss die Lufthansa hoffen, dass ihr nicht doch Wettbewerbshüter den Deal mit Auflagen vermiesen. Die behördliche Genehmigung des Plans steht schließlich noch aus - und Stolpersteine gibt es: Der neue Bund wäre mit Abstand Marktführer in Hamburg, Köln, Stuttgart und München - und Monopolist bei allen Routen zwischen den vier Orten sowie auf vielen Ferienstrecken ans Mittelmeer.
Schon im Vorfeld wurde deshalb die Sorge laut, Lufthansa könnte die Marktmacht ausnutzen. "Wir fordern weiterhin stabile Ticketpreise", sagte Dirk Gerdom, Chef des deutschen Geschäftsreiseverbands VDR im Gespräch mit der WirtschaftsWoche.
Mit Material von dpa