Die Lufthansa macht Tempo bei Verhandlungen über die Übernahme eines Großteils der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin. Ab Freitag sind konkrete Verkaufsverhandlungen für die zweitgrößte deutsche Airline geplant. Der deutsche Marktführer Lufthansa will sich aus der Insolvenzmasse einen großen Teil der Flugzeuge sichern. Es könne um rund 90 der 144 Maschinen gehen, wurden am Donnerstag entsprechende Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ in Unternehmenskreisen bestätigt. Weitere Gespräche soll es nach dpa-Informationen mit Easyjet und Tuifly geben. Wie der „Spiegel“ unter Berufung auf Aufsichtsratskreise berichtete, soll die Lufthansa insgesamt rund 70 Maschinen von Air Berlin übernehmen.
Lufthansa sieht sich unter Zeitdruck, so dass die weit gediehenen und seit Monaten vorangetriebenen Verhandlungen schon in der kommenden Woche abgeschlossen werden könnten, wie die „Süddeutsche Zeitung“ erfuhr. Mit dem Air-Berlin-Vorstand und dem Sachwalter Lucas Flöther solle auch über das Wochenende verhandelt werden. Air Berlin hatte am Dienstag Insolvenz beantragt, nachdem Großaktionär Etihad der Airline die finanzielle Unterstützung entzogen hatte.
Der Flugbetrieb ist durch einen Kredit des Bundes über 150 Millionen Euro noch für etwa drei Monate gesichert. Lufthansa will neben 38 bereits angemieteten Air-Berlin-Jets die österreichische Touristik-Tochter Niki und weitere Flugzeuge übernehmen. Sie sollen unter dem Dach der Lufthansa-Tochter Eurowings an den Start gehen. In der Zahl seien auch die meisten der 17 Langstrecken-Flugzeuge von Air Berlin enthalten, die ebenfalls an die Eurowings gehen sollen.
Die Chronik von Air Berlin
Vor 38 Jahren hob der erste Air-Berlin-Flieger ab. Alles begann mit alliierten Sonderrechten zur Landung im geteilten Berlin. Nach der Wende wuchs Air Berlin zur Nummer Zwei am Himmel über Deutschland heran, doch dann folgte eine jahrelange Krise.
1978: Gründung als Chartergesellschaft durch den Ex-Pan-Am-Pilot Kim Lundgren. Erstflug am 28. April 1979 von Berlin-Tegel nach Mallorca. Die Flotte umfasst zwei Maschinen.
1991: Im April kauft der LTU-Manager Joachim Hunold die Mehrheit der Anteile. Es gibt kurz darauf 15 Flüge pro Tag. Air Berlin expandiert und stationiert zunehmend auch Flugzeuge auf Regionalflughäfen.
1998: Mit dem Mallorca Shuttle Einstieg ins Linienfluggeschäft.
Einstieg zu 25 Prozent bei der österreichischen Fluggesellschaft Niki des früheren Rennfahrers Niki Lauda.
Börsengang und Kauf der Fluggesellschaft dba.
Kauf des Ferienfliegers LTU, damit auch Interkontinentalflüge.
Air Berlin rutscht in die roten Zahlen, legt das erste Sparprogramm auf: Strecken fallen weg, Flugzeuge werden ausgemustert. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor scheitert.
Air Berlin kündigt für 2012 den Eintritt in das Luftfahrtbündnis Oneworld an.
Hunold wirft das Handtuch, Hartmut Mehdorn übernimmt. Ein weiteres Sparprogramm soll das operative Ergebnis um 200 Millionen Euro verbessern. 18 der 170 Maschinen werden verkauft.
Die arabische Staatsairline Etihad erhöht ihren Anteil von knapp 3 auf 29,2 Prozent und stützt die Airline mit einem 255-Millionen-Dollar-Kredit. Ein neues Sparprogramm beginnt. Der Verkauf des Vielfliegerprogramms an Großaktionär Etihad bringt nur vorübergehend wieder schwarze Zahlen.
Wolfgang Prock-Schauer wird Vorstandschef und verschärft das von Mehdorn im Vorjahr aufgelegte neue Sparprogramm. Jeder zehnte Arbeitsplatz fällt weg, die Flotte schrumpft auf 142 Maschinen.
Im Februar löst Stefan Pichler den glücklosen Prock-Schauer ab. Air Berlin macht 447 Millionen Euro Verlust - so viel wie nie.
Nach einem juristischen Tauziehen kann Air Berlin den größten Teil der wichtigen Gemeinschaftsflüge mit Etihad weiter anbieten. Die Zahlen bessern sich nicht. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Mit einem tiefgreifenden Umbau und der Streichung von bis zu 1200 Arbeitsplätzen will Air Berlin seine Krise überwinden.
Air Berlin bekommt einen neuen Chef. Der Lufthansa-Manager und früheren Germanwings-Chef Thomas Winkelmann wird Vorstandschef. Air Berlin führt ihren Flugbetrieb in zwei getrennten Geschäftsfeldern weiter: Langstreckenflüge und Städteverbindungen in Europa werden zusammengefasst, Urlaubsflüge unter der Marke Niki geführt. Lufthansa erklärt sich bereit, Air Berlin zu übernehmen, wenn der Großaktionär Etihad zuvor die Schulden übernähme.
Air Berlin meldet Insolvenz an. Zuvor hatte Etihad seine finanzielle Unterstützung eingestellt. Ein 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes soll den Flugbetrieb zunächst sichern.
Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet am 27. Oktober 2017 um 23.45 Uhr der letzte Air-Berlin-Flieger dort. Die Zukunft der Angestellten und vieler Unternehmensteile ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.
Nach einem Bericht der „Rheinischen Post“ (Freitag) will Lufthansa mit den Gewerkschaften über das Anheuern möglichst vieler Mitarbeiter von Air Berlin sprechen. Dies habe Lufthansa-Chef Carsten Spohr in einer internen Versammlung angekündigt. Demnach sagte Spohr: „Die Air-Berlin-Crews sind Top-Leute, bei denen wir uns freuen können, wenn wir möglichst viele zu uns holen. Deswegen werden wir jetzt auch mit den Gewerkschaften beraten, wie wir eine Lösung hinbekommen.“ Spohr bestritt demnach die Behauptung, dass wechselnde Mitarbeiter von Lufthansa als Berufsanfänger eingestuft werden sollen.
Der vom Amtsgericht bestellte Generalbevollmächtigte von Air Berlin, Frank Kebekus, zeigte sich zuversichtlich, die Jobs der meisten der 8600 Mitarbeiter retten zu können. „Endgültig sicher ist man erst, wenn die Verträge unterzeichnet sind. Aber wir befinden uns in sehr guten Gesprächen mit potenziellen Käufern“, sagte Kebekus dem „Handelsblatt“. „Wir brauchen schnell eine gute Lösung. Das haben unsere Verhandlungspartner verstanden und sind dazu auch bereit.“
Die Gewerkschaft Verdi fürchtet, dass Interessenten nur die Flugzeuge kaufen wollen und die mehr als 8000 Beschäftigten von Air Berlin sich neu bewerben müssen. „Dann wären Lohnverluste von bis zu 50 Prozent zu befürchten“, hatte Bundesvorstandsmitglied Christine Behle nach einem Gespräch mit Air-Berlin-Personalchefin Martina Niemann gesagt.
Das ist Air Berlin
Die 1978 gegründete Fluggesellschaft Air Berlin ist mit dem Boom der Billigflieger groß geworden. Erfolg hatte Deutschlands zweigrößte Airline zunächst mit Flügen von Berlin nach Mallorca. 2002 nahm sie Linienflüge in europäische Städte ins Programm.
Nach einem radikalen Expansionskurs geriet das Unternehmen in eine Krise. Seit 2008 schreibt Air Berlin - mit einer Ausnahme durch den Verkauf des Vielfliegerprogramms - rote Zahlen. Im Jahr 2016 betrug der Verlust rund 782 Millionen Euro, der Schuldenberg wuchs auf knapp 1,2 Milliarden Euro. Jahrelang hielt der arabische Großaktionär Etihad, der 29,2 Prozent der Anteile besitzt, die Airline mit Finanzspritzen in der Luft.
Im August 2017 zieht Etihad die Reißleine: Der Hauptaktionär erklärt, keine weitere finanzielle Unterstützung zur Verfügung zu stellen. Air Berlin stellt daraufhin beim zuständigen Amtsgericht Berlin-Charlottenburg einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung.
Ryanair hat die geplante Übernahme großer Flottenteile durch die Lufthansa kritisiert und sprach von einem „offensichtlichen Komplott“ zwischen der deutschen Regierung, Air Berlin und Lufthansa. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz griff Ryanair-Chef Michael O'Leary scharf an. „Es gibt keinen hemmungsloseren Manchester-Kapitalisten in Europa als diesen Mann“, sagte Schulz den Sendern Phoenix und Deutschlandfunk. Er habe „kein besonderes Fan-Potenzial“ für den Iren, der mit Dumpinglöhnen operiere.
Der Unternehmer Hans Rudolf Wöhrl sagte derweil den „Nürnberger Nachrichten“, die von ihm geleitete Intro Verwaltungs GmbH habe nach wie vor Interesse an Air Berlin. Die Fluggesellschaft müsse als Ganzes erhalten werden, weil nur auf diese Weise ein Monopol zu Lasten der Passagiere verhindert werden könne. Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) sagte der „Rheinischen Post“: „Am Ende wird schon aus kartellrechtlicher Sicht nicht nur eine Airline alleine die Slots und das Unternehmen übernehmen können.“ Mit dem Übergangskredit sei Air Berlin die nötige Zeit verschafft worden, um gemeinsam mit anderen Airlines eine gute Verhandlungslösung zu finden. „Ziel ist eine Lösung, die den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Air Berlin eine Perspektive gibt und den Wettbewerb sichert.“
Bundeskartellamtspräsident Andreas Mundt sagte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Freitag), die Bonner Wettbewerbsbehörde sei frühzeitig informiert worden und stehe in Kontakt mit der Europäischen Kommission. „Es bleibt abzuwarten, welche Übernahmepläne tatsächlich konkret werden und zur Anmeldung kommen. Dann wird sich die zuständige Behörde im Einzelnen mit den möglichen wettbewerblichen Auswirkungen befassen.“ Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte im „Sat.1-Frühstücksfernsehen“-Interview mit Blick auf den Kredit: „Wir haben sorgfältig geprüft, dass dieser Kredit dem Steuerzahler nicht verloren geht.“ Der sogenannte Massekredit werde vorrangig bezahlt.
Die Grünen im Bundestag fordern von der Bundesregierung Informationen zum Umgang mit Air Berlin. In einem auf Freitag datierten Brief an Peter Ramsauer (CSU), den Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses, bittet die Grünen-Obfrau Katharina Dröge um eine Unterrichtung durch die Bundesregierung „zum schnellstmöglichen Zeitpunkt, spätestens bis Mitte nächster Woche“. Das Schreiben lag der Deutschen Presse-Agentur vor. Offene Fragen gebe es unter anderem zu kartellrechtlichen Bedenken mit Blick auf die Lufthansa, die genaue Ausgestaltung des Kredits von 150 Millionen Euro und die Rolle der Bundesregierung.