Air France-KLM Was der Accor-Einstieg bedeutet

Die Fluggäste von Air-France-KLM mussten in letzter Zeit häufiger Streiks hinnehmen. Quelle: REUTERS

Die französische Regierung denkt über einen Verkauf ihrer Air-France-KLM-Beteiligung nach. Die Accor-Hotels sollen die Fluglinie aus ihrer verfahrenen Lage befreien. Das bietet zwei Vorteile und eine Drohung.

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Gestern Abend erntete Pieter Elbers noch einige mitleidige Blicke, als er beim Jahrestreffen des Weltluftfahrtverbands Iata im australischen Sydney seine Berufskollegen traf. Als KLM-Chef leitet der 48-Jährige zwar die modernste der klassischen Fluglinien Europas. Doch weil sein Unternehmen seit 2004 zum Air-France-Konzern gehört, muss Elbers mit seinen Gewinnen die Lücken stopfen beim von Streiks und ineffizienter Arbeit gebeutelten französischen Teil – und immer wieder abstreiten, dass KLM bei einer Trennung besser dran wäre.

Als an diesem Montagmorgen über dem Tagungsort am Darling Harbour die Sonne aufging, war das anders. Denn nun hat der französisch-niederländische Konzern eine unerwartete Hoffnung. In der australischen Nacht hatte der französische Hotelkonzern Accor durchsickern lassen, dass er einen Teil von Air France-KLM übernehmen will. Das Unternehmen bestätigte einen Bericht der Tageszeitung Les Echos, dass es dem französischen Staat seinen Aktienanteil von 14,3 Prozent abkaufen will. Mit dem Deal würde Accor zum Hauptaktionär und Konzernchef Sébastien Bazin könnte sich als Verwaltungsratschef bemühen, die Lähmung zu lösen aus den vielen Streiks und dem stellenweise offenen Hass zwischen Management und Beschäftigten.

Noch reagieren alle Beteiligten, als ob sie bei etwas Peinlichem überrascht worden wären. Sie spielen die Sache herunter und verweisen darauf, dass noch viel zu tun ist und noch mehr schiefgehen kann.

Doch das wirkt vorsichtiger als nötig. Nicht nur die Accor-Äußerungen klingen wie die Statements vor jedem ihrer vielen Deals der vergangenen Jahre, zuletzt Ende April bei der Übernahme der Mövenpick-Hotels. „Wenn in Frankreich eine Sache so an die Öffentlichkeit kommt, ist das schon sehr weit gediehen“, sagt ein Air-France-Insider. „Der Deal ist zwar noch nicht die Rettung für Air France-KLM, aber doch zumindest ein guter Schritt“, so ein Insider. Denn die Verbindung hat für Air France-KLM gleich drei große Vorteile, inklusive einer glaubhaften Drohung an die Belegschaft.

1. Kein Kulturschock
Zum einen bedeutet eine engere Kooperation oder gar Vereinigung von Accor und Air-France-KLM keinen großen Bruch. Beide haben eine lange gemeinsame Vergangenheit und viele Marketingpartnerschaften. „Wir sind beide der international sichtbarste Teil der französischen Wirtschaft und gleichzeitig ein Stück Heimat und Lebensart, wenn Manager der französischen Exportunternehmen ins Ausland reisen“, so ein Insider der Fluglinie.
Dazu ist Accor in seinem Management-Stil näher an Air France als andere. Als einer der fünf großen Hotelkonzerne der Welt hat das Unternehmen aus dem Pariser Stadtteil Bercy zwar einen klaren Fokus aufs Geldverdienen. Dazu gehört wenig Verständnis für die noch immer tiefsitzende Kultur eines Staatsunternehmens, die Air France auch knapp 20 Jahre nach dem Börsengang prägt.

Und trotzdem ist Accor stark französisch geprägt. Dafür sorgen die starke Präsenz im Heimatland und der bei aller Lockerheit doch recht gallisch-paternalistische Führungsstil von Bazin. Diese Kombination macht Accor zu einer Art Brücke zwischen dem traditionellen französischen und dem zeitgemäßen niederländischen Teil der Fluglinie. „Ein Verwaltungsrats-Chef Bazin kann nun als Kompromisskandidat mit neuen Vorschlägen hinter den Kulissen für Bewegung sorgen“, so der Insider.

Bazin hat es als starker Verwaltungsratschef auch leichter, einen Nachfolger für Jean-Marc Janaillac zu finden, der die Airline Ende April überraschend verlassen hat. Der Chefposten ist der wohl undankbarste, den die Branche zu bieten hat seit dem Ende von Air Berlin: Er ist vergleichsweise schlecht bezahlt, die Aufgabe fast unlösbar. Denn der starke Einfluss der Gewerkschaften macht jede Reform nicht nur schwierig. Er kann auch den Chef die Karriere kosten.

Wie tief der Mix aus Gewerkschaftseinfluss und Hass lähmt, zeigte sich zuletzt vor vier Wochen. Da verweigerte die Belegschaft einen Plan zu milderen Gehaltserhöhungen. Dabei hatten mehrere Pilotenstreiks die Linie bis dahin nicht nur bereits mehr als 300 Millionen Euro gekostet. Den Beschäftigten war klar, dass sie damit den im Vergleich zu seinen Vorgängern relativ milden Konzernchef Janaillac aus dem Amt treiben würden und es anschließend fast unmöglich sein würde, einen Nachfolger zu finden. „Der Chefposten ist quasi zu einem Giftbecher geworden“, urteilt Daniel Roeska, Flugspezialist des New Yorker Brokerhauses Bernstein.

2. Endlich eine Vision

Bazins Job als Vermittler wird leichter, weil er – anders als die bisherigen Air-France-KLM-Chefs – seine Reformvorschläge mit einer positiven Vision verbinden kann. Janaillac und der zwei Jahre zuvor vertriebene Alexandre de Juniac konnten den Beschäftigten als Lohn für deren Opfer mehr bieten als das mögliche Überleben des Unternehmens. „Mit Accor ist ein gewaltiger Schritt nach vorne möglich, der beide Marken auf eine Ebene mit Google oder Amazon bringen könnte“, urteilt Deanna Ting vom US-Internet-Informationsdienst Skift.

Accor hat, anders als Air France-KLM, eine klare Wachstumsstrategie und kennt sich besser als andere damit aus, das Beste auch aus schwierigen internationalen Partnerschaften zu machen. Nicht nur, dass die Verbindungen zu Anteilseignern vor allem aus China extrem profitabel sind. In ihnen ist Accor – anders als Air France in seinem Verbund mit Delta Airlines aus den USA oder China Eastern – mehr als ein besserer Juniorpartner. Das Wissen kann Air France dringend brauchen

Dazu bringt die Verbindung mit Air France Bazin seinem wichtigsten Ziel näher, ein universeller Reiseanbieter zu werden. Das mag Industrieveteranen an Urlaubskonzerne wie TUI oder alte Zeiten erinnern, als alle Fluglinien Hotels besaßen. Doch dieses Mal geht es um mehr. Accor und Air France können nicht nur Kunden des anderen in die eigenen Flugzeuge oder Hotels locken. Wenn beide ihr Kundenwissen und ihre Bonusprogramme vereinen, kennen sie besser als jeder andere die Bedürfnisse der Reisenden und können maßgeschneiderte Angebote machen.

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Das gäbe Accor und Air France einen Vorteil beim wohl wichtigsten Zukunftsthema der Reisebranche: dem Kampf gegen Datenriesen wie Google, Amazon und Booking. Die haben sich bereits einen großen Teil des Hotelgeschäfts gesichert und verdienen hier mehr Geld als Bettenkonzerne wie Accor, Marriott oder Intercontinental. Nun arbeiten sie daran, das im Fluggeschäft zu wiederholen und die Airlines zu einer Art Auftragsflieger zu degradieren. "Vor allem durch ihre über Handys gewonnenen Daten zum Such- und Reiseverhalten wissen sie besser, was sich Reisende wünschen und was sie wofür zahlen", sagt Carsten Schaeffer von der Managementberatung Unex. Das könnte sich jetzt umkehren. Zusammen haben die beiden französischen Unternehmen deutlich bessere Chancen, urteilt Expertin Ting.

3. Eine freundliche Drohung

Neben der Aussicht auf Wachstum erleichtert die Verbindung auch den Druck auf die Belegschaft bei Air France. Mit dem Einstieg der Hoteliers steigt der französische Staat als Aktionär aus. Das beendet eine alte, gefährliche Illusion. „Ein großer Teil der Belegschaft glaubt bislang, sie müssen sich nicht ändern, weil ihnen der Staat das schlimmste erspart“, so ein Insider.

Die Hoffnung war bisher berechtigt. Zwar hat auch das Air-France-Management spätestens seit dem Beginn der Finanzkrise in 2008 das Unternehmen renovieren wollen. Doch dabei ist ihnen der Staat immer wieder in den Rücken gefallen. So machte die französische Regierung es de Juniac beim Amtsantritt 2011 zwar zur Aufgabe, die Firma umzubauen und die streikfreudigen Piloten zu zähmen. Doch dann zwang sie ihn 2016 um des lieben Friedens willen zu Kompromissen gegenüber dem Cockpit-Personal – und damit zum Rücktritt.

von Simon Book, Karin Finkenzeller, Rüdiger Kiani-Kreß

Solche staatlichen Eingriffe kann Bazin als Chef eines börsennotierten Unternehmens leichter abwehren. Dazu kann er leichter seine Anteile verkaufen oder gar wieder ganz auszusteigen, wenn die Air-France-Belegschaft sich den Reformen weiterhin verweigert. Denn selbst wenn der französische Staat im Gegenzug für seinen Rettungsbeitrag bei Air France einen Anteil an Accor übernimmt, sinkt der Staatseinfluss bei Air France. „Anders als bei einem Einstieg durch ein vom Staat abhängiges Unternehmen wie Thales oder gar der Staatsbahn, muss Bazin auch keinen großen Druck fürchten“, so ein Kenner der französischen Politik.

Im Gegenteil. Eigentlich muss die französische Regierung Bazin erst einmal dankbar sein, weil Bazin ihr ein Dilemma erspart. Ohne Reformen könnte Air France bald neues Geld oder gar Staatshilfe brauchen. Das wäre nicht nur eine Blamage für Präsident Emmanuel Macron und seinen marktwirtschaftlichen Reformkurs. Die Hilfe würde gegen die EU-Regeln zur Subvention verstoßen. Das gäbe dann peinlichen Ärger mit der EU sowie Staaten wie Polen, die ihre Airlines nur unter strengsten Auflagen helfen durften.

Darum scheint zumindest KLM-Chef Elbers bereits an den Wandel zu glauben. „Pieter wirkte heute Morgen doch ein wenig erleichtert“, berichtet ein Manager aus der Branche.

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