Airbus Dauerproblem beim Bestseller A320neo

Beim Mittelstreckenjet A320neo sind die Triebwerksprobleme auch 15 Monate nach der ersten Auslieferung nicht gelöst. Weil sich auf den Werkflughäfen die halbfertigen Maschinen häufen, belastet das Programm die Konzernkasse mit hunderten Millionen.

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Die größten Problemflieger des Luftfahrtriesen
A320neo Quelle: dpa
A380 Quelle: dpa
A350Das neue Leichtbauflugzeug für die Langstrecke hat die größte Verspätung aller Airbus-Zivilflugzeuge. Es kam Ende 2014 nicht nur ein Jahre später als geplant. Zuvor war Airbus bei den Airlines mit einem ersten Entwurf unterwegs, der bereits 2011 fliegen sollte. Quelle: REUTERS
A340 Quelle: AP
A400M Quelle: dpa
Eurofighter Quelle: REUTERS
Tiger

Um Airbus-Chef Tom Enders zu erfreuen, brauchte es lange Zeit nur zwei Dinge: ein Tegernseer Hell genanntes obergäriges Bier des Herzoglich Bayerischen Brauhauses seiner Wahlheimat Tegernsee oder den Mittelstreckenjet A320neo. 

Denn die Jet-Familie mit bis zu gut 230 Sitzen hat - anders als der Militärtransporter A400M oder Superjumbo A380 - Bestellungen im Wert von fast 230 Milliarden Euro eingebracht, selbst nach Abzug der üblichen Rabatte.

„Wenn nur alle unsere Jets so gut wären“, seufzte Enders, als er im Februar die Bilanz für 2016 vorstellte.

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„Dann wäre Airbus allerdings bald in ärgster Bedrängnis“, vervollständigt ein intimer Kenner des Unternehmens Enders‘ Satz jetzt. Weil die Produktion des Bestsellers stockt, hat das Vorzeigeflugzeug das Zeug, eine millionenschwere Belastung zu werden.

Grund ist einer der beiden neuen besonders sparsamen Triebwerkstypen, der vom US-Hersteller Pratt & Whitney gebaut wird und an dem auch die Münchner MTU beteiligt ist. 

Auch 15 Monate nach der ersten Auslieferung plagen den GTF genannten Antrieb technische Probleme. Die Zeit zum Starten der Motoren ist mit dreieinhalb Minuten immer noch mindestens eine Minute länger als bei herkömmlichen Modellen – und insbesondere bei der anderen A320neo-Turbine, den der US-Technologieriese General Electric (GE) und der französische Safran-Konzern bauen. Auch das Abkühlen dauert derzeit noch länger als zugesagt. Darum müssen die Fluglinien längere Standzeiten am Airport einplanen, was ihre Flugpläne durcheinanderbringe und pro Minute im Schnitt mehr als 100 Euro kostet. Sonst besteht das Risiko, dass sich die zentrale mechanische Welle im Triebwerk verzieht und der Motor ganz ausfällt.

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Da tröstet es die meisten Linien nur wenig, dass die Motoren wie versprochen rund 15 Prozent weniger Sprit auf kurzen Strecken verbrauchen und bis zu 19 Prozent auf längere Routen. Stattdessen verlangen alle Nachbesserungen. Einige Gesellschaften wie Qatar Airways verweigern komplett die Abnahme.

Das sichtbarste Zeichen des Problems: „Wir zählen immer noch bis zu acht unfertige Flugzeuge allein auf dem Werkflughafen in Hamburg“, so ein Insider. Auch auf dem Flughafen am Airbus-Hauptwerk im südfranzösischen Toulouse stehen nach Informationen des amerikanischen Branchenmagazins „Aviation Week“ einige Maschinen für eine längere Zeit ohne Triebwerke auf dem Platz. Airbus bestätigte die Probleme, korrigiert aber die Zahl der betroffenen Flugzeuge auf insgesamt fünf.

Tiefe Löcher in der Konzernkasse

Die ungeplante Standzeit trifft Europas größten Luftfahrtkonzern empfindlich. Weil jeder A320neo im Schnitt zwischen 43 und 45 Millionen Euro Umsatz in die Konzernkasse bringt, parken allein am Südufer der Elbe schon jetzt selbst nach der Airbus-Rechnung gut 200 Millionen Euro verspätete Einnahmen.

Das bietet der Jumbokiller
Lufthansa Airbus A350 Quelle: Lufthansa
Lufthansa Airbus A350 Quelle: Lufthansa
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Lufthansa Airbus A350 Quelle: Lufthansa
Lufthansa Airbus A350 Quelle: Lufthansa
Lufthansa Airbus A350 Quelle: Lufthansa

Die Probleme mit den Motoren werden Airbus noch eine Weile begleiten. Zwar bietet der Hersteller seinen Kunden Nachrüstsätze an, die das Problem mildern. Doch die haben noch nicht alle eingebaut, weil sie dafür ihre Jets aus dem Betrieb nehmen müssten.

Zudem hat Airbus mit der Lufthansa ein besonderes Abkühlverfahren entwickelt, das zumindest die tote Zeit nach dem Abschalten der Triebwerke nach der Landung deutlich verkürzt. Doch es wird wohl noch mindestens bis zum Ende des Jahres dauern, bis die Pratt&Whitney-Motoren so zuverlässig sind, wie der GE/Safran-Antrieb des A320neo. Qatar Airways verlangt gar, dass in ihre bis zu 46 bestellten A320neos statt der Pratt-Motoren den alternativen GE-Antrieb eingebaut wird. Das würde aufwändige Änderungen nötig machen.

Die unsichersten Airlines der Welt
Einmal im Jahr stellt das Flugunfallbüro Jacdec für das Fachmagazin „Aero International“ ein Sicherheitsranking der 60 größten Fluggesellschaften auf. Die Sicherheit berechnet sich nach der Anzahl der Ausfälle pro Flugkilometer, gewichtet um die Schwere des Unfalls und einen Landesfaktor. Da alle Unfälle der vergangenen 30 Jahre zeitlich gewichtet in die Statistik eingehen, schneiden viele Airlines wegen schwerer Unglücke in der Vergangenheit schlecht ab. Wir zeigen, welche 20 Airlines im Ranking die hinteren Plätze belegen. Quelle: ap
Eine der größten Fluggesellschaften der Welt und in der Rangliste relativ weit hinten: American Airlines findet sich mit dem Jacdec-Index von 0,139 (ein niedriger Wert bedeutet höhere Sicherheit) auf Platz 41. Die Airline fusionierte zuletzt mit US Airways und behielt ihren Namen bei. American ist seit sechs Jahren unfallfrei. Doch erst 2001 gab es einen Absturz: Ein Airbus A300 stürzte mitten im New Yorker Stadtteil Queens ab, alle 260 Insassen starben. Quelle: Reuters
Mit dem Startjahr 1988 ist Air China eine der jüngeren Fluggesellschaften in der Rangliste, hat aber bereits zwei Flugzeugverluste erlitten. 2002 starben 129 Passagiere bei einem Absturz. Der Index liegt bei 0,142. Quelle: Reuters
Im September 2011 wurde Alaska Airlines zu einer Geldstrafe von 590.000 US-Dollar verurteilt, nachdem es bei der Wartung einer Boeing 737 zu Regelverletzungen kam – und Jahre später ein Feuer ausbrach. Die letzte große Katastrophe liegt mittlerweile 16 Jahre zurück: Im Jahr 2000 stürzte eine Maschine in den Pazifik. Obwohl die Airline eher unbekannt ist, gilt sie als zukunftsgerichtet: Alaska Airlines war eine der ersten Fluggesellschaften, die Flugscheine und das Check-in über das Internet anbot. Der Index liegt bei 0,163. Quelle: ap
Die größte Fluggesellschaft des bevölkerungsreichsten Landes der Welt gehört zu den unsichersten Airlines der Welt. Das letzte tödliche Unglück geschah am 8. Mai 1997. Den Piloten des Flugs 3456 misslang bei schwerem Gewitter der erste Landungsversuch in Shenzhen. Bei einem zweiten schoss die Maschine aufgrund des durch den ersten Landeversuch beschädigten Fahrwerks über die Landebahn hinaus. 35 Menschen kamen dabei ums Leben. Index 0,193 – macht Platz 44. Quelle: AFP
Die staatliche Fluggesellschaft Thailands war 2012 noch unter den „Top 10“ der unsichersten Airlines. Langsam arbeitet sie sich in sicherere Gefilde. Der letzte große Unfall datiert zwar auf 1998, doch kleine Pannen sorgen für eine schlechte Sicherheitsnote. Zum Beispiel kam im September 2013 ein Flugzeug bei der Landung am Flughafen Bangkok-Suvarnabhumi von der Landebahn ab, es wurden mehrere Personen verletzt. Der Index für 2015 liegt daher bei 0,216. Quelle: AFP
Die Südkoreaner mussten in den vergangenen Jahren schwere Zwischenfälle melden. 2013 verunglückte eine Boeing beim Landeanflug auf den Flughafen von San Francisco. Die Maschine setzte vor der Landebahn auf und kam schwer beschädigt auf dem Rollfeld zum Stehen. Drei Personen wurden getötet und 181 Menschen verletzt. 2015 streifte ein Flugzeug beim Landeanflug auf Hiroshima eine Antenne – viele Passagiere wurden verletzt. Das beschert der Airline eine schlechtere Platzierung im Sicherheitsranking (Index 0,241). Drei Flugzeugverluste stehen in der Jacdec-Statistik. Quelle: ap

Und das sind nicht die einzigen Schwierigkeiten des GTF. So beklagen mehrere Fluglinien, dass die neuen Triebwerke im Leerlauf zu stark drehen. Dazu sind sie bei widrigem Klima weniger zuverlässig. Bei heißem Wetter mit hoher Luftfeuchtigkeit sowie verschmutzter und salzhaltiger Luft wie sie etwa bei einigen der ersten Kunden wie IndiGo und Go Air aus Indien Alltag sind, tun sich die Motoren schwer und müssen öfter auf Abnutzung kontrolliert werden. Hier arbeitet Airbus zwar an einer Abhilfe. Doch noch hat das Unternehmen offenbar keinen festen Zeitplan beschlossen.

Immerhin eine Sache kann Airbus-Chef Tom Enders beruhigen: Bisher hat außer Qatar Airways noch keine Fluglinie ihren Ärger an die Öffentlichkeit getragen. Stattdessen halten alle still und kassieren lieber von Airbus Entschädigungen. Aus gutem Grund: „Weil die Flugnachfrage unter den Erwartungen liegt und wegen der vergleichsweise niedrigen Ölpreise alte Jets oft sogar billiger fliegen als teuer finanzierte neue Jets, stehen sich viele Kunden am Ende mit ihrer heutigen Flotte finanziell besser“, so der Vorstand einer Fluglinie. „Da lohnt es sich, zu warten.“

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