Nicht alle in der Gruppe nehmen das Projekt ernst. Aber davon lässt sich Scholten nicht beirren. Es gehe ihm darum, eine Airline zu gründen, in der gehobener Standard und freundlicher Service an erster Stelle stehen – wie früher bei LTU eben. „Heute muss man im Flieger für jede Dienstleistung extra zahlen, die früher ganz normal dazugehörte“, klagt er. „Bei uns wird ein Flug vielleicht 200 Euro mehr kosten, aber dafür wollen wir deutlich mehr Qualität bieten.“
Um eine Fluggesellschaft zu gründen, brauchen Scholten und sein Team eine Genehmigung des Luftfahrtbundesamts. Dafür müssen sie den strengen Sicherheitsregularien der Luftfahrt entsprechen und ausreichende finanzielle Reserven mitbringen. Hinzu kommt die Herausforderung, Start- und Landerechte für den verkehrsstarken Düsseldorfer Flughafen zu bekommen. Die Gründer müssen entscheiden, ob sie selbst weitere Flugzeuge anschaffen oder ob sie diese leasen wollen. Ein Grund für die Beliebtheit der LTU war auch, dass diese ihren Mitarbeitern überdurchschnittliche Gehälter ausgezahlt hat. Scholten und seine Kollegen müssen festlegen, ob sie an diese Tradition anknüpfen wollen – und wie sie diese finanzieren wollen. Auch der Vertrieb, die Schulung der Mitarbeiter oder steuerliche Besonderheiten dürften erhebliche Investitionen und hohen Planungsaufwand erfordern. Für all das ist ein hohes Startkapital nötig. Wie genau sie die noch anstehenden Hürden meistern wollen – darüber schweigen sich Scholten und seine Kollegen derzeit noch aus.
LTYou – Träumerei oder realistischer Plan?
Jürgen Marbach war sechs Jahre lang Geschäftsführer der LTU. Der Duisburger verließ das Unternehmen ein Jahr nach dem Verkauf an Air Berlin. Noch immer ist er als Investor in der Touristikbranche tätig, steht in regelmäßigem Kontakt zu Hans-Rudolf Wöhrl. „Wir haben immer mal wieder darüber nachgedacht, wieder ins Luftfahrtgeschäft einzusteigen. Die Fliegerei hat uns nie ganz losgelassen“, sagt er. Wöhrl gab denn auch im Air Berlin-Insolvenzverfahren ein Gebot ab, Marbach beteiligte sich jedoch nicht.
Die größten Fluggesellschaften Europas
Die Statistik zeigt die zehn größten Fluggesellschaften Europas nach Passagierkilometern im Jahr 2016. Passagierkilometer sind eine Maßeinheit für die Beförderungsleistung der Fluggesellschaften. Berechnet werden sie als Produkt der Anzahl an Passagieren und der zurückgelegten Entfernung.
Quelle: Airline Business/Statista
Stand: 2017
Fluggesellschaft: Lufthansa
Verkaufte Passagierkilometer: 162,17 Mrd.
Fluggesellschaft: British Airways
Verkaufte Passagierkilometer: 142,02 Mrd.
Fluggesellschaft: Air France
Verkaufte Passagierkilometer: 141,21 Mrd.
Fluggesellschaft: Ryanair
Verkaufte Passagierkilometer: 130,59 Mrd.
Fluggesellschaft: Turkish Airlines
Verkaufte Passagierkilometer: 119,37 Mrd.
Fluggesellschaft: KLM
Verkaufte Passagierkilometer: 93,23 Mrd.
Fluggesellschaft: Easyjet
Verkaufte Passagierkilometer: 77,62 Mrd.
Fluggesellschaft: Aeroflot
Verkaufte Passagierkilometer: 74,12 Mrd.
Fluggesellschaft: Iberia
Verkaufte Passagierkilometer: 48,56 Mrd.
Fluggesellschaft: Air Berlin
Verkaufte Passagierkilometer: 47,01 Mrd.
Von Scholtens Plänen hat Marbach gehört. Er hält die Wiederbelebung der LTU nicht grundsätzlich für abwegig. Allerdings gibt er zu bedenken, dass mit der Gründung einer neuen Airline hohe Risiken und Kosten verbunden sind. Die Gründer bräuchten vor allem eine vernünftige Vermarktung und Kooperationen mit Reiseveranstaltern. Hinzu kämen die hohen Anschaffungs- und Wartungskosten für die Flugzeuge. Mindestens „25 Millionen frei verfügbarer Liquidität“ müsse man für den Anfang schon einplanen, so Marbach. Für Langstrecken liege der Kapitalbedarf noch einmal deutlich höher.
Eine weitere Schwierigkeit sieht er im starken Konkurrenzdruck der Branche. „Ich glaube nicht, dass es auf Dauer möglich ist, gegen Billigflieger wie Easyjet zu bestehen.“ Die Gründer sollten sich eine Nische suchen und von Anfang an auf Qualität zu setzen: „Erst die Passagiere besorgen, dann die Flugzeuge.“ Wer ihn reden hört, könnte meinen, er habe selbst Lust, die LTU wiederzubeleben. Aber Marbach winkt ab. „Ich wünsche den Gründern alles Glück der Welt. Aber ich leide derzeit nicht unter Arbeitsmangel.“
Auch Hans-Rudolf Wöhrl hat laut einem Bericht des Express dem Projekt „LTYou“ bereits eine Absage erteilt. Das Risiko sei ihm zu hoch. Er signalisierte aber, dass er durchaus beratend zur Seite stehen wolle.
Deutlichere Worte findet der ehemalige LTU-Mitarbeiter Holger Schmitt. „Für mich sind das Hirngespinste“, sagt er. Er glaubt: Viele Mitglieder der Gruppe sind nostalgische Ex-Passagiere, die sich den Service der LTU zurückwünschen. Aber: „Wenn sie die Wahl haben, nehmen sie dann doch lieber den günstigen Preis statt den tollen Service.“
Schmitt arbeitet heute für eine andere Fluggesellschaft. Auf dem Weg zum Flughafen fährt er manchmal durch den beschaulichen Düsseldorfer Stadtteil Angermund. An der Hauptstraße, zwischen einer Fahrschule und einem Zeitschriftenkiosk, gibt es ein kleines Reisebüro, dessen Schaufenster mit Plakaten von Pauschalreisen vollgeklebt ist. Über dem Eingang hängt noch ein altes LTU-Werbeschild. Es leuchtet längst nicht mehr.
Hans-Egon Funke, ein älterer Herr mit weißen Haaren und wachem, freundlichem Blick, wundert sich nicht, wenn er auf das Schild angesprochen wird. „Das passiert regelmäßig“, sagt der Mitarbeiter des Reisebüros. Einige ehemalige LTU-ler hätten gefragt, ob sie ihm das Schild abkaufen dürften. Aber Funke schüttelt jedes Mal den Kopf. Das Schild bleibt hängen – aus Nostalgie.
*Zwei ehemalige LTU-Mitarbeiter wollten ihren Namen lieber nicht öffentlich nennen.