Airline kappt die Billig-Langstrecke Der letzte Sargnagel für den Überflieger Norwegian?

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Norwegian: 3 Entscheidungen, die den Niedergang brachten

Mit dem Kjos-Rezept wuchs Norwegian von 2003 bis 2013 auf die sechsfache Größe und das Netz von 15 auf 130 Flugziele. Das verleitete den Airline-Chef zu drei radikalen Schritten, die in der Kombination letztlich dafür sorgten, dass die Linie bereits vor Corona zum Sanierungsfall wurde.

Die Riesenorder: Um weiter wachsen zu können, unterschrieb Kjos die bis heute größte Flugzeugbestellung eines europäischen Unternehmens. 250 Maschinen für den Europaverkehr sowie 150 Kaufoptionen sicherte er sich bei Boeing und Airbus, mit dem Recht später auf moderne Varianten wechseln zu dürfen.

Die Billiglangstrecke: Mit bis zu 70 Maschinen der besonders sparsamen Boeing Dreamliner 787 wollte Norwegian von Europa nach Asien und Nordamerika fliegen. Wie bei den Kurzstreckenflügen sollten die Fernverbindungen abseits der großen Drehkreuze in Orten wie Düsseldorf oder Hamburg starten und jeder Service neben Sitzplatz und Internet extra kosten. Zumindest dieses Experiment wurde nun beendet.



Der Umbau: Aus einer norwegisch geprägten Linie sollte ein europaweiter Konzern werden, so der Plan des Björn Kjos. Die Jets wanderten zu einem großen Teil in Tochterunternehmen mit Sitz in Steueroasen wie Irland. Neue Beschäftigte engagierte Kjos nicht nur europaweit, sondern wie im Fall der Langstreckencrews sogar in Thailand.

Bald zeigten sich die Tücken. Zuerst krachte es auf der Kurzstrecke. Die vielen neuen Flieger verschlangen nicht nur mehrere Milliarden Euro für Anzahlungen und zur Vorbereitung der neuen Routen, was die Schulden nach oben trieb. Um die vielen Jets unterzubringen, musste Norwegian stärker als gewohnt expandieren. Die Airline legte in manchen Jahren bis zu 40 Prozent zu. Damit kam die Linie nicht nur den großen Flugdiscountern Easyjet und Ryanair in die Quere. Die Offensive weckte endgültig den Kampfgeist der etablierten Linien wie Lufthansa und der British-Airways-Mutter IAG. „Nun war klar, dass auch wir in dem Feld wachsen müssen“, sagte der damalige Air-France-KLM-Chef – und versuchte seine Billigtochter Transavia zu vergrößern. Am Ende litten alle, aber vor allem Norwegian, weil sie nur einen geringen Teil ihrer Flotte profitabel auslasten konnte.

Das führte dazu, dass die Kosten stiegen, während die Wettbewerber ihre Ausgaben senken konnten. Das brachte Norwegian in eine ungewohnte Rolle. Statt wie bisher dank des effizienteren Betriebs etablierte Linien anzugreifen, wurde nun Norwegian von günstigeren Konkurrenten gejagt. So traute sich die osteuropäische Wizz Air sogar auf Inlandsrouten in Norwegen.

Noch schlimmer lief es bei der zweiten Neuerung Langstrecke. Zuerst kamen die neuen Dreamliner später als erwartet. Darum musste Norwegian Ersatzmaschinen anmieten, die von der Größe und der Reichweite nicht immer zu den geplanten Flügen passten – und etwa oft kein WLAN boten. Als die Maschinen da waren, lief es kaum besser. Es zeigte sich, dass Norwegian – anders als auf der Kurzstrecke – am Ende kaum billiger flog als die etablierte Linie. Zudem zahlten wegen der vielen kostenpflichtigen Extras Passagiere am Ende mehr als erwartet. Das sorgte für schlechte Presse.

Das dritte Problem war die europaweite Organisation. Sie sorgte zum einen für Unmut bei der Belegschaft. Weil Norwegian Personal aus Asien oder Osteuropa einsetzte und dabei auch übliche Sozialstandards umging, gab es lange Zeit reichlich Streiks und Ärger mit den Behörden. Dazu verzögerte sich die Landeerlaubnis für die Flüge aus der EU in die USA. Die US-Marktführer rund um American Airlines drängten die Behörden dazu, die Flugerlaubnis zu verweigern oder zumindest zu verzögern. Und weil Norwegians Hauptsitz Oslo nicht zur EU gehörte, machte die Europäische Union auch nur zögerlich Gegendruck. Norwegen selbst fühlte sich nicht so recht zuständig, weil es ja um Flüge aus anderen Ländern ging.

Die fehlende Bindung an ein Heimatland wirkt bis heute. Während Lufthansa, Air France-KLM und selbst der angeschlagene Lokalrivale SAS in der Coronakrise reichlich Geld aus Dänemark und Schweden bekamen, verweigerte Norwegen seiner Linie zuletzt die Hilfen. „Der Staat sieht keinen Mehrwert für den Steuerzahler“, beschreibt Analyst Lobbenberg die Stimmung.

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Trotzdem erkennt er noch eine kleine Überlebenschance für Norwegian. „Bisher hat uns das Management schon oft überrascht und neue Geldquellen gefunden“, so Lobbenberg. Zuletzt gelang dies in der vergangenen Woche, als Investoren im Rahmen der je nach Zählung bis zur vierten Restrukturierung innerhalb eines Jahres einem Kapitalschnitt zustimmten. Ob das so anhält, bleibt abzuwarten, glaubt Analyst Roeska: „Wir haben wenig Hoffnung, dass das Unternehmen wieder an Wert gewinnt.“

Mehr zum Thema: Die neue Corona-Variante gefährdet die schwache Erholung der angeschlagenen Fluglinien. Betroffen sind neben britischen Airlines vor allem große Billigflieger wie Ryanair und Wizz Air. Was bedeutet es für die Lufthansa?

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