Alba-Chef Axel Schweitzer „China holt auf“

Axel Schweitzer, Chef des Berliner Abfallunternehmens Alba über die neue Müll-Konkurrenz aus Fernost, den Wettlauf um die Technologieführerschaft – und die neuen Chancen in der EU.

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Axel Schweitzer Quelle: Presse

WirtschaftsWoche: Herr Schweitzer, Sie kommen gerade aus Hongkong, wo Sie die Hälfte Ihrer Zeit leben. Wie läuft Ihr dortiges Prestigeprojekt, Chinas erstes Recyclingsystem?

Axel Schweitzer: Prestigeprojekt? Das klingt mir zu sehr nach Show. Das Projekt ist ein Meilenstein, der größte Einzelauftrag, den wir je hatten: Wir bauen die modernste Elektronikschrott-Aufbereitungsanlage in ganz Südostasien. Wir sammeln Fernseher, Kühlschränke und andere Elektronik-Großgeräte und bereiten sie unter einem Dach nach europäischen Standards auf. Und ganz wichtig: Hongkong führt das deutsche Verursacherprinzip ein: Wer Produkte künftig dort in den Markt bringt, muss auch für die Entsorgung bezahlen. Das ist für mich einer der Schlüssel im deutschen System.

Zur Person

Aber sind Sie im Zeitplan? Sie wollten ja Mitte des Jahres fertig sein.

Wir werden wie geplant im Spätsommer eröffnen. Den Probebetrieb haben wir pünktlich Mitte Mai gestartet, das erste Material ist also schon durch die Anlage. Das ist auch wichtig, denn die Anlage soll ein Vorbild werden für die gesamte Region. Wir sind in Deutschland technologisch führend, Hongkong wird nochmal eine Weiterentwicklung sein. Denn hier sind die Anforderungen anders, weil es um weitere Gerätearten geht: Die Asiaten haben etwa viel mehr Klimaanlagen zu entsorgen, aber beispielsweise auch Reiskocher.

Und deren Entsorgung wollen Sie bald für ganz China organisieren? Klingt ganz schön optimistisch.

Wir haben heute schon während des Probebetriebs viele Anfragen von anderen Kommunen aus Asien, die sich das anschauen möchten. Deshalb ist das Projekt so interessant: Vom Volumen her noch eine Nische, aber technologisch sehr weit vorne.

Verdienen Sie denn damit am Ende des Tages auch Geld?

Wir kalkulieren alle Anlagen so, dass sie sich am Ende rechnen müssen.

Dennoch haben Sie im vergangenen Jahr zur Sicherheit 60 Prozent ihres China- und Servicegeschäfts an die chinesische Familie Deng verkauft. Beides sind wesentliche Wachstumssegmente für Sie. Warum teilen Sie an der Stelle Geschäft?

Wir wollen an den beiden wichtigsten Wachstumsmärkten teilhaben: Das Dienstleistungsgeschäft in Deutschland und vor allem das Recycling in China. Wir sind beispielsweise im Bereich der Sortierung von Wertstoffen und Abfällen weltweit führend. Aber in China entwickelt sich das Recyclinggeschäft derart schnell, dass wir diese Wachstumschancen allein nicht optimal nutzen könnten. Deshalb haben wir uns einen Partner gesucht mit gleichen Zielen und ähnlichen Mentalitäten – ein Familienunternehmen eben.

von Simon Book, Konrad Fischer, Jacqueline Goebel, Lea Deuber

Von vielen Beobachtern wurde der Deal als reiner Buchtrick gesehen.

Das Gegenteil ist der Fall. Wir betreten Neuland. Anfang Juni haben wir im Beisein des chinesischen Premierministers Li Keqiang und von Bundeskanzlerin Angela Merkel den Vertrag über den Bau des ersten chinesischen Hightech-Recyclingparks in Deyang in der Provinz Sichuan unterzeichnet. Wir errichten auf einer Fläche von 3,3 Quadratkilometern ein ganzes Set von Anlagen, in denen die verschiedenen Wertstoffe aufbereitet werden: Kunststoffe, Papier, Altfahrzeuge und so weiter. Aber eben alles an einem Ort, auf einem Gelände, ohne dass zwischen den einzelnen Verarbeitungsschritten LKW durch die ganze Stadt fahren müssen.

Wie müssen wir uns das vorstellen?

An einer Stelle werden beispielsweise Altautos nach europäischen Umweltstandards zerlegt, daneben arbeiten der Spezialist für das Batterie-Recycling und ein Fachbetrieb, der die Altreifen für weitere Verwendungen nutzt. Wir konzipieren diesen Park, bewerben uns aber auch darum, einzelne dieser Komponenten selbst zu betreiben. Wir haben auch ansonsten eine Menge geplant, wollen den Bereich Elektronikschrott weiter ausbauen, neben Hongkong auch in anderen Regionen. Dann wollen wir uns in Asien um das Automobilrecycling kümmern und vermehrt um Papier und Kunststoffe. Und in Deutschland entwickeln wir gemeinsam mit Familie Deng das Servicegeschäft weiter.

Schneller Strukturwandel in China

Klingt, als wären die Chinesen dabei, Deutschland in Müllbehandlung den Rang abzulaufen.

Das dauert noch. Aber in der Tat holen sie auf. Der große Vorteil liegt für mich in der Priorisierung durch die chinesische Politik und in der Schnelligkeit der Umsetzung. Anders als bei uns gibt es dort noch keine gewachsenen Strukturen. Aber es gibt den politischen Willen, die Probleme und Herausforderungen anzugehen. So eine Entwicklung wie in China seit 1978 hat es auf der Welt noch nicht gegeben: Die Umweltzustände heute muss man sich teilweise vorstellen wie im Ruhrgebiet der 60er Jahre. Nur, dass China den Strukturwandel wesentlich schneller hinbekommen wird als wir in Deutschland. Das bietet für die deutsche Wirtschaft und Unternehmen wie uns gewaltige Chancen und Möglichkeiten.

Recyclingquoten ausgewählter Länder im Vergleich

Auch ihr neuer Partner wittert offenbar Margen in Deutschland und ist gerade bei ihrem Basketballteam Alba Trikotsponsor geworden.

Die Familie Deng und ihre Firma Techcent haben in Deutschland in den vergangenen Jahren eine dreiviertel Milliarde Euro investiert, sie sind inzwischen die größte deutsch-chinesische Umweltgruppe. Jetzt geht es ihnen darum, sichtbar zu werden, den eigenen Namen bekannt zu machen und sich gesellschaftlich zu engagieren, gerade als Familienunternehmen. Da haben sie gesehen, dass Alba Berlin eine hervorragende Plattform ist, insbesondere auch für den deutsch-chinesischen Austausch.

Liegt darin für Alba denn nicht auch eine Gefahr – durch solche Kooperationen bauen Sie quasi einen neuen heimischen Konkurrenten auf.

Das höre ich oft: China kommt und klaut die Ideen. Aber wenn man mal nach konkreten Beispielen fragt, dann wird es dünn. Dennoch: Hier wie in China gibt es gute, weniger gute und schlechte Unternehmen. Wir haben in den letzten 20 Jahren sehr gute Erfahrungen in China gemacht, in Sachen Zusammenarbeit, Weiterentwicklung der Technologien, Anpassung an den jeweiligen Markt. Im Gegenteil zu vielen anderen teilen wir unsere Technologien mit unseren chinesischen Partnern, passen sie an die Marktgegebenheiten an und rollen sie dann gemeinsam aus in China und anderen Ländern in Asien.

Oder das Problem entsteht erst noch: Die Chinesen formulieren ziemlich offen den Anspruch, technologisch aufzuholen – und auch zu überholen.

Definitiv, das ist kein Geheimnis. Die chinesische Wirtschaft wächst und wird weiter versuchen, mehr Wertschöpfung zu generieren. Und zwar nicht nur für sich, sondern für den gesamten asiatischen Bereich. Aus deutscher Sicht ist es einfach: Es wird ja niemand gezwungen, daran teilzunehmen. Aber für uns sehen wir eine Chance darin, Technologien weiterzuentwickeln. Damit schaffen wir ja auch in Deutschland Arbeitsplätze. Das wird häufig unterschätzt.

So produzieren wir weniger Müll
Wie viel Müll produzieren die Deutschen?Jedes Jahr fallen in der Bundesrepublik 350 Millionen Tonnen Abfall an. 17,8 Millionen davon sind Verpackungsmüll, die Menge ist seit 1996 um mehr als 30 Prozent angewachsen. Rund 8,3 Millionen Tonnen, also fast die Hälfte, kommt aus Privathaushalten. Das macht 103 Kilogramm Verpackungsmüll im Haushalt pro Person und Jahr. Das meiste davon sind dem Umweltbundesamt (UBA) zufolge Verpackungen von Getränken, Nahrungsmitteln und Tierfutter. „Kein Land in Europa produziert pro Einwohner und Jahr mehr Verpackungsabfälle als wir“, sagt Patrick Hasenkamp vom Verband kommunaler Unternehmen. Quelle: DPA
Was wird schon getan, um die Abfallmenge zu verringern?Seit Dezember 2013 gibt es ein „Abfallvermeidungsprogramm“ des Bundes und der Länder. Es besteht aus Empfehlungen und soll 2019 ausgewertet werden. Die Bundesregierung setzt hauptsächlich auf Freiwilligkeit. Etwa, wenn Unternehmen sich selbst verpflichten, Plastiktüten nicht mehr umsonst abzugeben, oder Kaffee in Mehrwegbechern verkauft wird, wie in Freiburg, Tübingen oder Berlin. Gerade läuft die „Europäische Woche der Abfallvermeidung“, an der viele Unternehmen und Kommunen teilnehmen. Schwerpunkt dieses Jahr: Verpackungsmüll. Quelle: DPA
Warum fällt trotzdem immer mehr Verpackungsmüll an?Ein Grund sei der demografische Wandel, sagt UBA-Präsidentin Maria Krautzberger. Kleine Haushalte kauften kleine Portionen, Singles setzen oft auf Fertiggerichte. Außerdem zähle bei Verpackungen oft der Marketing-Wert statt nur die Funktionalität: „Sie sind oft unnötig, aufwendig und vor allem oft nicht recyclinggerecht.“ Quelle: ZB
Sehen die Hersteller das genauso?Der Markenverband weist die Kritik als zu pauschal zurück. „Lediglich in kleinen Bereichen findet man sogenannte Schmuckpackungen“, sagt Hauptgeschäftsführer Christian Köhler. Verpackungen seien nicht nur für den Schutz wichtig, sondern trügen den Kundenbedürfnissen Rechnung wie Portionierbarkeit und Verschließbarkeit. Quelle: DAPD
Reicht es, auf freiwillige Initiativen zu setzen?Die Umweltministerin sieht „ermutigende Signale“, dass Menschen und Unternehmen umdenken. Bei den Plastiktüten laufe es auch gut, es seien schon rund 350 Unternehmen dabei, darunter auch große Handelsketten. Hendricks verweist darauf, dass viele Dinge sich rechtlich nur auf EU-Ebene regeln ließen: „Alleingänge“ würden als Wettbewerbshemmnis betrachtet. Das Umweltbundesamt dagegen wünscht sich in manchen Bereichen schärfere rechtliche Vorgaben. Quelle: DPA
Was will das Umweltbundesamt konkret?Erstens sollen Geschäfte im Getränke-Sortiment immer auch Mehrwegflaschen anbieten – Discounter wie Lidl oder Aldi haben oft nur Einweg. Zweitens kritisiert das Bundesamt, dass die Gebühren, die Hersteller von Verpackungen für deren Entsorgung schon im Voraus bezahlen müssen, nicht mehr richtig wirken. „Verpackungen sind einfach zu billig.“ Die Behörde schlägt vor, das Lizenzentgelt von der Recycling-Fähigkeit der Verpackungen abhängig zu machen. Quelle: AP
Was hält der Handel von der Mehrweg-Pflicht?Wenig. Es bedürfe keiner gesetzlichen Regelung, sagt Kai Falk, Geschäftsführer des Handelsverbands HDE. „Für beide Packungsarten gibt es ein gut etabliertes Pfand- und ein flächendeckendes Rücknahmesystem, die für eine hohe Rücklauf- und Recyclingquote sorgen.“ Eine gesetzliche Regelung würde Importeuren den Zugang zum deutschen Markt verstellen und die Vielfalt im deutschen Lebensmitteleinzelhandel einschränken, argumentiert der Verband. Quelle: DPA

Sind denn Deutschland und Europa mülltechnisch dann kaum mehr attraktiv?

Oh nein, im Gegenteil. Ich sagte ja schon: Wir wollen auch hierzulande an den Wachstumschancen partizipieren, gerade im Bereich der Dienstleistungen, aber auch in unserem angestammten Geschäft. Es kommt eine neue europäische Gesetzgebung, die deutsche Standards in der ganzen EU festschreibt; die Bundesregierung hat gerade das neue Verpackungsgesetz durch Parlament und Bundesrat gebracht. Nicht perfekt, aber eine gute Grundlage, um das Recycling hierzulande weiter voran zu bringen. Mein Gefühl aber ist: Wir könnten da ruhig noch ambitionierter sein. So war es ja in der Vergangenheit: Wir haben uns ambitionierte Regeln gegeben, das Knowhow entwickelt und waren dann in der Lage, das zu exportieren. Da gibt es in Europa noch viel Raum für Verbesserung.

Wo zum Beispiel?

Deutschland ist unser Hauptmarkt, hier wollen wir natürlich weiterhin expandieren. Noch werden viel zu viele Wertstoffe verbrannt, statt sie in den Kreislauf zurückzuführen. Kommunen verbrennen zum Teil mehr als nötig, damit ihre Anlagen ausgelastet sind.

"Deponieren ist nur auf kurze Sicht günstig"

Wenn es nach der EU geht, soll das Deponieren von Abfällen bis 2035 verboten werden. Künftig müssen also auch Griechen und Portugiesen wiederverwerten und verbrennen. Das müsste bei Ihnen ja Jubelstürme auslösen.

Erst mal ist es ein Umwelteffekt. Das Deponieverbot in Deutschland 2005 hat als größter Einzeleffekt auf die Reduktion von Treibhausgasen eingezahlt, nicht Kraftstoffverbrauch oder Autos. Durch das Deponieverbot wurde etwa ein Fünftel der Emissionen eingespart. Wenn das bald ganz Europa macht, ist das eine gute Nachricht, die Deponierungsrate liegt europaweit ja bei gut 40 Prozent. Da könnte man also eine gigantische Menge sparen. Zudem: Recyceln spart auch Geld, weil sie keine Folgekosten haben. Deponieren ist nur auf kurze Sicht günstig. Aber meistens handelt es sich um eine tickende Zeitbombe. Denn an die Nachsorge einer solchen „billigen“ Deponie denkt kaum jemand.

Warum macht es dann – außer Deutschland – kaum ein anderes Land so konsequent?

Deutschland als einwohner- und wirtschaftlich stärkstes Land in Europa hatte früher als andere Länder die Herausforderung wachsender Abfallberge zu meistern. Zudem verfügen wir kaum über natürliche Rohstoffe. Dies gepaart mit deutscher Ingenieurkunst hat zu weltweit führenden Recyclingtechnologien geführt. Zunehmend hat dann auch die Industrie den Vorteil des Einsatzes von Sekundärrohstoffen schätzen gelernt. Auch in Süd- und vor allem in Osteuropa wird sich der Markt entwickeln. Wer will heute noch eine Deponie in seiner Nachbarschaft?

Dann kommt mit ihrem neuen chinesischen Partner also bald die große Europa-Expansion?

Bitte nicht übertreiben. Wir stürzen uns nicht in Abenteuer. In Polen etwa sind wir schon seit Mitte der 90er Jahre, das Geschäft habe ich damals selbst aufgebaut. Dort hat man sich ambitionierte Ziele gesetzt, was etwa die Kreisläufe von Wertstoffen angeht. Auch andere Länder in Osteuropa sind für uns interessant. Da gibt es verlässliche Regeln, große Volkswirtschaften und vor allem die Bereitschaft, Umwelt einen entsprechenden Wert beizumessen.

Und Südeuropa?

EU-weit fehlt es bisher noch an den gesetzlichen Rahmenbedingungen. Wir brauchen jetzt den politischen Willen, der auch ambitionierte Ziele festschreibt. Das ist die Besonderheit dieser Branche: Wenn sie es nicht regeln, dann passiert nichts. Der Markt existiert ja nicht aus sich heraus. Abfall bekommt erst dadurch einen Preis, dass wir dafür bezahlen müssen, gekaufte Produkte – oder deren Verpackungen – auch wieder loszuwerden. Die Technologien sind da. Am Ende ist die Frage: Wie schnell kommt die deutsche Entwicklung in die anderen Länder. Und: Wie flexibel ist die deutsche Technologie, sich auf andere Länder einzulassen. Man wird in Italien beispielsweise den Haushalten nicht sieben Mülltonnen vor die Haustür stellen können, sondern muss den Gedanken der getrennten Sammlung auf die Gegebenheiten anpassen und gemeinsam weiterentwickeln, um nachhaltig etwas zu verändern. Die EU-Gesetzgebung könnte da einen neuen Markt in Europa schaffen.

Herr Schweitzer, vielen Dank für das Gespräch.

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