Alitalia, Condor oder Norwegian? Bei welcher Airline Lufthansa zuschlagen sollte

Mit der beginnenden Krise der Flugbrache bekommt die Lufthansa immer mehr Kaufmöglichkeiten. Quelle: REUTERS

Mit der beginnenden Krise in der Flugbranche bekommt die Lufthansa immer mehr Kaufmöglichkeiten. Welche Chancen Konzernchef Carsten Spohr nutzen – und wo er besser passen sollte.

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Es wäre mehr als verständlich, wenn Lufthansa-Boss Carsten Spohr derzeit kein großes Interesse an Zukäufen hätte. Seit der 52-Jährige vor gut fünf Jahren seinen Traumjob als Chef von Europas größter Fluglinie bekam, ging ihm nur eine Sache so richtig daneben: als er Ende 2017 gut die Hälfte der Air Berlin übernahm. Der Kauf des Erzrivalen könnte ihm neben einer größeren Marktmacht in Deutschland alles in allem Kosten von geschätzt bis zu einer Milliarde Euro bescheren.

Trotzdem müssen sich Spohr und sein Führungsteam dieser Tage fast ständig mit Übernahmen befassen. In dieser Woche gibt es zum Beispiel wichtige Weichenstellungen bei der italienischen Alitalia. Für die hat die Lufthansa zu einem früheren Zeitpunkt ebenso Interesse angemeldet wie für den Ferienflieger Condor. Gleichzeitig haben sich Spohrs Vertraute in Skandinavien den angeschlagenen Billigflieger Norwegian angesehen und ebenso ein Auge auf ihren Partner in der Star Alliance, SAS, geworfen. Selbst über die insolvente Adria Airways hat die Lufthansa schon mit dem Wirtschaftsminister ihres Heimatlandes Slowenien geredet.

Die offizielle Linie der Lufthansa scheint dabei klar: Schauen, aber nicht zugreifen. „Zumindest hat Spohr das gerade gegenüber dem Aufsichtsrat erklärt“, verrät ein Insider. Dabei wird es aber wohl kaum dauerhaft bleiben. „Dass die Eingliederung von Air Berlin so schlecht lief, ist kein Grund Übernahmen bleiben zu lassen“, so der Insider. „Zukäufe sind gut, wenn wir es richtig anstellen.“

Was Spohr und sein Team aus den Problemen bei Air Berlin gelernt haben, können sie in den kommenden Wochen gleich an drei Fällen zeigen.

Alitalia: nur die Slots, bitte

Bei der angeschlagenen Alitalia läuft diese Woche die mehrfach verlängerte Bieterfrist aus. Und nachdem Delta Airlines aus den USA trotz allem Drängen nur maximal zehn Prozent der neuen Alitalia übernehmen will, schauen die verbliebenen Investoren und der italienische Staat fast flehentlich zur Lufthansa.

Wirtschaftlich wäre ein Einstieg bei Alitalia allerdings Leichtsinn. „Wir verstehen auch nach längerer Beobachtung kaum, wie Alitalia tickt und bei jedem Blick lauern neue versteckte Probleme“, sagt ein Lufthansa-Insider. Klar ist: Die Linie aus Italien schreibt seit Jahrzehnten operativ Verluste. Dafür sorgen hohe Kosten und mäßiger Service. Beim Versuch, das zu ändern, sind zig Vorstände und Investoren gescheitert. Streikfreudige Mitarbeiter sowie politische Einflussnahmen der jeweiligen Regierungen waren am Ende stärker als der Reformwille.

Dazu sinkt der Wert von Alitalia. Angesichts der wirtschaftlichen Schwäche verlor sie daheim massiv Marktanteile. Sie ist dabei, zur Nummer drei im Land abzusteigen – nach den Billigfliegern Ryanair und Easyjet. Die Discounter kosteten den alten Marktführer nicht nur Kunden. Sie drückten dank ihrer niedrigen Betriebskosten auch die Preise und erhöhten die Defizite.

Trotzdem würde Spohr wohl gern zumindest bei einem Teil zuschlagen: Der Norden Italiens ist eine der führenden Wirtschaftsregionen Europas, viele Hightech-Unternehmen auf dem Niveau deutscher Weltmarktführer sind dort angesiedelt. Das bringt zahlreiche Geschäftsreisende, die sich bei Flügen in andere Industrieregionen und besonders auf der Langstrecke hohe Preise leisten können. Ebenso lockt Italien viele Touristen und Verwandtenbesucher aus Übersee. „Das passt gut zum Geschäftsmodell Lufthansa“, so Andrew Lobbenberg von der Investmentbank HSBC.

von Rüdiger Kiani-Kreß, Christian Schlesiger

Bislang war es für Lufthansa genug, Norditalien über München an sich und den Rest der Welt anzubinden. Doch weil Alitalia schwächelt und Konkurrenten immer mehr Platz lässt, gerät auch das Lufthansa-Modell für die Region unter Druck. Zum einen landen Linien aus China oder vom persischen Golf in rund einem halben Dutzend Orten in Italien – und jagen der der deutschen Linie Kunden aus Fernost ab. Zum anderen haben die großen US-Linien wie Delta Airlines und American Airlines ihre Flüge hochgefahren. Und nun baut auch noch die von Qatar Airways unterstützte Air Italy ein Flugnetz über den Atlantik ins „Bel Paese“. „Das wird uns einige Kunden kosten“, fürchtet ein Lufthanseat.

Da könnte eine Übernahme von Alitalia den Zugang zum lukrativen Italiengeschäft retten. „Wir haben Interesse und auch eine kommerzielle Partnerschaft ist für die Lufthansa Group vorstellbar“, sagt ein Konzernsprecher. Doch dafür müsste sich die Linie deutlich ändern. „Wir haben stets betont, dass wir Interesse an einer restrukturierten Alitalia haben“, heißt es aus der Konzernzentrale vorsichtig.

Doch eine für die Lufthansa passende Alitalia müsste deutlich schrumpfen. Für Geschäftsreisende und Langstreckenpassagiere braucht Lufthansa weder Jets noch Personal. Es reichen vor allem an den größeren Flughäfen wie dem Mailänder stadtnahen Airport Linate oder Rom die Start- und Landerechte zu Stoßzeiten. Damit könnte Lufthansa dann mehr Flieger zu ihren eigenen Drehkreuzen in Frankfurt, München oder Zürich schicken. Zwar bietet Alitalia auch eigene Langstreckenflüge aus italienischen Metropolen. „Doch daran hat die Lufthansa offenbar wenig Interesse. „Die Verbindungen lassen sich nur mit einem großen und teuren Zubringernetz füllen. Und davon hat die LH nun wirklich genug“, heißt es aus Aufsichtsratskreisen.

Da eine solche harte Schrumpfung in Italien kaum zu vermitteln wäre, dürfte am Ende die dortige Regierung großes Interesse an einer Kooperation haben. Somit ist es eher unwahrscheinlich, dass Lufthansa zum Zuge kommt.

Fazit: Ein Kauf von Alitalia sichert zwar einen lukrativen Markt, bringt aber kaum kalkulierbare Risiken.

Condor: bestenfalls die Langstrecke

Die zweite Kaufgelegenheit ist die bislang zum insolventen deutschen Reiseveranstalter Thomas Cook gehörende Condor. Bei der Kranichlinie kennt man die Airline aus nächster Nähe, mag die Führung auch offiziell in Oberursel sitzen. Die als Ferientochter der Lufthansa gestartete Linie hat ihr Zentrum am Frankfurter Flughafen. Dazu hat der Chef Ralf Teckentrup lange Jahre bei Lufthansa gearbeitet.

Anders als Alitalia würde Condor fast perfekt zur Lufthansa passen. Die Linie ist stark am Lufthansa-Drehkreuz in Frankfurt und im wichtigen Zukunftsmarkt Ferienflug. Dazu ist Condor bei den Kunden sehr beliebt und hat einen gut eingeschwungenen Flugbetrieb. Die Zuverlässigkeit ist etwa höher als bei der vom plötzlichen Wachstum und Strategieschwenks gebeutelten Eurowings.

Trotzdem würde eine Übernahme der Lufthansa zu viel abverlangen. Die erste Hürde wären die Wettbewerbshüter. Gerade weil Condor und ihre Ex-Mutter so gut passen, würden die Kartellwächter bei einem Deal große Zugeständnisse fordern. Am Ende müsste der Verbund wahrscheinlich viele alte Kurzstreckenrouten in Frankfurt, München und Düsseldorf aufgeben. Zwar könnte die Lufthansa versuchen, gut Wetter zu machen bei der wahrscheinlich zuständigen europäischen Kartellbehörde DG Comp. „Doch was ich aus Brüssel höre, macht keine große Hoffnung“, heißt es aus Aufsichtsratskreisen. „Denn bei der Übernahme der Air Berlin ist Lufthansa bei der DG Comp derartig hochmütig aufgetreten, dass viele Mitarbeiter bis heute sauer sind.“

Zum Problem für die Lufthansa würden freilich die Nebenkosten eines Deals werden. Condor hat eine sehr eigene mittelständische Unternehmenskultur, der sich nur mit hohem Aufwand und vielen Reibungsverlusten die Konzerndenke der Lufthansa überstülpen ließe. Dazu hat Condor gerade auf der Langstrecke eine so alte Flotte, dass sie über kurz oder lang neue Flugzeuge braucht.

Dazu bleibt die Frage, ob sich die Lufthansa die Condor-Passagiere nicht auch aus eigener Kraft holen kann. Bereits im Herbst 2018, bevor Condor von der inzwischen insolventen Mutter Thomas Cook zum Verkauf gestellt wurde, startete die Lufthansa unter dem Namen „Ocean“ ein Programm für den Ausbau des Fernflugs auf Ferienrouten. Dazu gehörte auch ein bereits in weiten Teilen umgesetzter Flugplan, der verdächtig dem Condor-Netz ähnelt. „Da ist die Frage, was der ganze Aufwand mit Kartellbehörden, Kulturkämpfen und Kaufkosten unterm Strich bringt“, heißt es aus Aufsichtsratskreisen.

Fazit: Eine Übernahme von Condor scheint attraktiv. Doch den Nutzen kann sich Lufthansa wohl auch mit weniger Risiko sichern.

Norwegian: kleine Jets und ein Druckmittel auf Eurowings

Seit dem Ende von Air Berlin wurde wohl keiner europäischen Fluglinie so oft das Ende prophezeit wie dem skandinavischen Billigflieger Norwegian. Der Start auf der Billig-Langstrecke, eine komplexe Firmenstruktur und die seinerzeit größte Bestellung von Mittelstreckenjets sollten die Linie flexibel machen und der Airline-Industrie eine Disruption bescheren. Tatsächlich stellte das Konzept nicht die Flugbranche auf den Kopf, sondern Norwegian selbst. Die Linie ist hoch verschuldet, musste Gläubiger zuletzt um Aufschub bitten. Der langjährige Chef sowie Großaktionär Björn Kjos zog sich in den Aufsichtsrat zurück. Zwar bieten sich die Skandinavier derzeit nicht mehr offen zum Kauf an, weil erste Sanierungsmaßnahmen greifen. Doch spätestens im Frühjahr könnten sie nach Investoren oder gar einem Käufer suchen müssen, glauben Analysten wie Daniel Roeska vom New Yorker Brokerhaus Bernstein: „Es ist zu viel in zu kurzer Zeit zu tun, um ohne frisches Eigenkapital auszukommen.“

Das alles hat die Lufthansa bereits dazu gebracht, sich Norwegian und deren Geschäfte genau anzusehen. Denn die Vorteile sind klar. Zwar braucht Lufthansa nicht das ganze Unternehmen. Doch dank der Norwegian-Organisation mit vielen rechtlich eigenständigen Töchtern lässt sich die Langstrecke anders als bei Condor oder Alitalia vergleichsweise einfach vom Rest trennen. Dabei könnte sich Carsten Spohr wohl relativ rasch mit seinem Amtskollegen Willie Walsh von der British-Airways-Mutter IAG einigen: Der Ire würde die Langstrecke übernehmen und Spohr die Mittelstrecke – oder zumindest weite Teile davon.

Dank der europaweiten Organisation von Norwegian könnte Lufthansa Eurowings zu einer wirklich europaweiten Marke ausbauen – und wie angekündigt zum drittgrößten Billigflieger der Alten Welt werden. Diskussionen mit den Kartellbehörden hätte Lufthansa nicht zu fürchten, weil sich ihr Netz und das von Norwegian kaum überlappen. Zu guter Letzt kann die Lufthansa die vielen neu bestellten Flieger gut brauchen – und könnte am Ende sogar Flüge der Lufthansa-Marken von der skandinavischen Linie durchführen lassen.

Fazit: Teile von Norwegian brächten Lufthansa eine echte Stärkung. Zwar bieten sich die Skandinavier derzeit nicht mehr offen zum Kauf an. Doch das könnte sich bald ändern.

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