Amazon Locker Warum Amazon mit Paketboxen experimentiert

Amazon testet in Deutschland eigene Packstationen. Die Paketdienste sind in Sorge – allen voran DHL. Denn ein eigenes Schließfachsystem gilt als nächster Schritt für Amazon zum eigenständigen Paketdienst.

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Ein Amazon Locker in Birmingham. Quelle: Pressebild, Montage

Das Paket soll den Kunden finden, nicht umgekehrt, lautet die Maxime von Bernd Schwenger. Ein großer, gelber Kasten mit Schließfächern verschiedener Größe soll dem Chef von Amazon Logistics in Deutschland nun dabei helfen, die Mission zu erfüllen. Amazon Locker heißt das Schließfachsystem für Pakete, das der Onlinegigant bald auch in deutschen Innenstädten aufbauen könnte.

Kunden sollen die Fächer mit einem Zahlencode öffnen und so ihre Sendungen auch dann abholen können, wenn der Paketbote niemanden angetroffen hat. Schon im Frühjahr suchte das Unternehmen nach Managern, um das Projekt zu realisieren, berichtete die „Süddeutsche Zeitung“.

In seinen Büros und Logistikzentren testet Amazon die Schließfachsysteme mittlerweile auch hierzulande mit eigenen Mitarbeitern, bestätigte Schwenger nun der WirtschaftsWoche. „Wir werden bald darüber entscheiden, ob wir die Amazon Locker auch unseren deutschen Kunden anbieten“, sagt der Chef von Amazon Logistics in Deutschland und schiebt schnell nach: „Dabei sind wir in enger Absprache mit unseren Lieferpartnern.“

Das sind Amazons nächste Projekte

Die sind in großer Sorge. Denn ein eigenes Schließfachsystem gilt als nächster Schritt für Amazon auf dem Weg, einen eigenständigen Paketdienst aufzubauen. Anbieter wie DHL und Hermes fürchten bereits, wichtige Aufträge von Amazon zu verlieren, seit der Konzern seine Pakete in einzelnen Regionen in Eigenregie ausliefert.

So stellt der Onlinehändler seit vergangenem Herbst bereits in München und seit Kurzem in Berlin Pakete zu. Auch in Hamburg hatte Amazon nach Standorten für Verteilzentren Ausschau gehalten. „In den Bezirken, in denen wir sind, wird nicht mehr viel von DHL ausgeliefert, vielleicht noch 10 bis 15 Prozent“, sagte Schwenger jüngst bei einem Rundgang durch das Berliner Verteilzentrum. Weitere Verteilzentren in deutschen Metropolregionen seien denkbar. Da hilft auch eine „enge Absprache“ nicht.

Logistik: Diese Anbieter dominieren das Paketgeschäft

Damit greift Amazon in das Hoheitsgebiet von Paketdiensten wie DHL oder Hermes ein. Doch Schwenger betont immer wieder: Man wolle die Paketdienste nur ergänzen, nicht ersetzen. Ihm geht es vor allem darum, mehr Kapazitäten in den Markt zu bringen. Denn gerade zur Hochsaison vor Weihnachten fehlen Paketboten, und in den Sortierzentren stauen sich die Pakete. Und das vor allem wegen Amazon.

„Das Gesamtvolumen an Paketen, das Amazon jeden Tag zustellen muss, ist so gewaltig, dass das in absehbarer Zeit nicht ohne DHL, DPD und andere Dienste zu bewerkstelligen ist“, sagt Michael Lierow, Partner bei der Unternehmensberatung Oliver Wyman.

In den USA betreibt Amazon die Boxen seit Jahren

Verspätete Lieferungen will sich Amazon nicht leisten. Der Onlinehändler definiert sich darüber, den besten Service für seine Kunden zu bieten. Der eigene Paketdienst hilft Amazon dabei, sagt Experte Lierow: „Amazon will bei speziellen Kunden, etwa bei Prime-Mitgliedern, auf individuelle Wünsche eingehen.“ Sei es nun, dass der Kunde die Zustellung am selben Tag wünscht oder das Paket zu einer bestimmten Zeit abholen möchte. Darauf zielen die Packstationen, aber auch das Aufbauen eigner Verteilzentren.

Der Briefmarkt in Zahlen

In den USA hat der Online-Händler ein entsprechendes Angebot schon 2011 angestoßen. Dort stehen die Packstationen auf öffentlichen Plätzen, in Einkaufszentren oder in 7-Eleven- und Spar-Supermärkten. Auch in Großbritannien finden sich die Boxen. „In den USA sind sie durchaus beliebt“, sagt Lierow. „Aber sie sind nur eine zusätzliche Möglichkeit, Pakete abzuliefern und werden nie Möglichkeiten ersetzen wie die Hauszustellung.“

Trotzdem: Jedes Paket, das Amazon selbst verschickt oder in einer der eigenen Packstationen deponiert, ist eines, das bei DHL nicht mehr verschickt wird. „Dabei geht Volumen verloren“, sagt Lierow. „Aber der Markt wächst immer noch zweistellig. Allein aufgrund des Marktwachstums, dürften sich die absoluten Mengenverluste bei DHL und Co. in Grenzen halten.“

Der Paketdienst der Deutschen Post liefert bisher einen Großteil der Amazon-Sendungen aus und betreibt ein eigenes Schließfachsystem namens Packstation. Allein in Deutschland hat der Bonner Konzern bereits mehr als 2750 Packstationen in 1600 Städten errichtet. Bis Ende 2015 zählte das Unternehmen acht Millionen registrierte Nutzer – damit hatte beinahe jeder zehnte Deutsche eine Karte für die Packstation.

Allerdings können nur die Post-Zusteller dort Pakete ablegen, andere Anbieter dürfen die Packstation nicht nutzen – nicht gerade praktisch für den Kunden. Auch das IT-System der Packstation gilt in der Branche als verbesserungswürdig: Die Schließfächer sind oft voll, doch die Paketboten werden darüber nicht benachrichtigt. Außerdem klauten Hacker in der Vergangenheit Nutzerdaten im großen Stil und verkauften die Zugänge zur Packstation im Internet. Eine Kooperation zwischen DHL und Amazon gilt deshalb als unwahrscheinlich.

So gut sind Deutschlands Paketdienste

Dass trotzdem Platz für beide Anbieter ist, weil der Markt nicht gesättigt ist, zeigt eine YouGov-Umfrage aus dem vergangenen Jahr. Auch wenn es immer wieder Ärger gibt, bei den meisten Deutschen genießt die Packstation einen guten Ruf. Nur 17 Prozent der Deutschen würden Packstationen auch dann nicht nutzen, wenn sich eine in der Nähe befände oder auf dem Arbeitsweg, 8 Prozent machten keine Angabe. Die restlichen Befragten sind allesamt potenzielle Kunden.

Steigt auch Parcellock ins Geschäft mit den Packstationen ein?

Die Deutsche Post versucht, dieses Potenzial auszunutzen. Neben der Packstation bietet der Bonner Konzern deshalb mittlerweile auch einen eigenen Paketkasten an, den sich Kunden vor die Haustür stellen können. Auch Modelle für Mehrfamilienhäuser testet die Post bereits.

Was die Post mit ihrer Strategie 2020 erreichen will

Doch gleichzeitig versuchen die Wettbewerber – Hermes, DPD und GLS – auf dem Markt Fuß zu fassen. Seit über einem Jahr arbeiten die drei Unternehmen gemeinsam an einer eigenen Paketbox für die Vorgärten. Parcellock heißt ihr Angebot, das im Herbst auf den Markt kommen soll. Im Gegensatz zum Angebot der Post sollen ihre Paketbox gegen Gebühr aber alle Anbieter nutzen können, auch die Apotheke, der Pizzabäcker, die Post – oder Amazon.

Dass die drei Unternehmen hinter Parcellock daneben auch in das Geschäft mit Packstationen einsteigen könnten, wollte DPD-Chef Boris Winkelmann im Interview zumindest nicht ausschließen: „Das ist durchaus denkbar“, sagt er. „Wir stellen nicht die Boxen her, sondern die Software und das Sicherheitssystem dahinter.“ Das könnte auf viele Produkte angewendet werden. „Auf Kästen mit mehreren Fächern für Mietshäuser oder auch auf eine Packstation.“ Konkrete Pläne gibt es aber noch nicht.

Sicher ist: Die Zahl der Angebote wie Parcellock oder der Amazon Locker wird zunehmen. Denn die Paketdienste bieten damit den Kunden nicht nur mehr Komfort – sie sparen sich selbst auch immense Kosten. „Dahinter steckt natürlich auch eine knallharte Kostenkalkulation der Paketdienste“, sagt Lierow von der Unternehmensberatung Oliver Wyman.

Die Paketzustellung der Zukunft

Die letzten Kilometer bis zu unserer Haustüre, die sogenannte letzte Meile, gelten als die teuersten Meter in der gesamten Lieferkette. Umso wichtiger ist es für die Paketdienste, dass der Zusteller nicht mehrfach an einer Haustür klingeln muss – oder das Paket sogar zurückbringt. Denn dann verursacht die Lieferung am nächsten Tag noch mal die gleichen Kosten.

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