Anstehender Umbau deutscher Krankenhäuser „Wir sehen derzeit eine planlose, kalte Strukturbereinigung“

„Wir sehen derzeit eine planlose, kalte Strukturbereinigung, die sollten wir vermeiden.“ Quelle: REUTERS

In Deutschland gibt es zu gleich zu viele und zu wenige Krankenhäuser. Der Gesundheitsökonom und Regierungsberater Wolfgang Greiner zur Krise der Kliniken, unpopulären Auswegen und Angst in Bundes- und Landesregierungen.

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WirtschaftsWoche: Herr Professor Greiner, wie lassen sich die Probleme der Krankenhäuser beschreiben – warum haben wir zugleich zu viele Kliniken und zu wenig Versorgung?
Wolfgang Greiner: Wir haben viele kleine Häuser und zu wenig Spezialisierung in diesen Häusern. Deshalb ist das Ergebnis von Behandlungen auch insgesamt schlechter, als es möglich wäre. Das Krankenhauspersonal ist knapp. Dabei haben wir nicht zu wenige Pflegekräfte oder Ärzte, zumindest wenn man ihren Anteil an der Bevölkerung mit anderen Ländern vergleicht. Wir behandeln aber zu viele Menschen im Krankenhaus statt ambulant. Das ist teuer und belastet die Beschäftigten wie auch die Patienten.  

Auf dem Land fürchten die Menschen um die Versorgung, weil dort Krankenhäuser schließen. In Ballungszentren bieten viele Häuser in kurzer Entfernung das Gleiche an. Was geht da schief?
Wir haben eine Vergütung, die zwischen ambulanter und stationärer Versorgung trennt. Für Krankenhäuser lohnen ambulante Angebote häufig nicht, obwohl zum Beispiel einige OPs gut ohne Aufenthalt über Nacht gemacht werden können. Wir bräuchten neue regionale Gesundheitszentren, wie wir das im Sachverständigenrat vorgeschlagen haben. Diese könnten für viele Krankheitsfälle an die Stelle von kleinen Krankenhäusern treten. Dort praktizieren Ärzte unter einem Dach, dort gäbe es auch eine Handvoll Betten, in denen Patienten zur Beobachtung über Nacht bleiben können. All das setzt aber voraus, dass die Länder ihre Aufgabe wahrnehmen. Sie müssen regional planen, wie viel Krankenhauskapazität angesichts von immer mehr ambulanten Behandlungsmöglichkeiten langfristig notwendig ist.

Warum tun die Landesregierungen das nicht?
Gerade vor Ort ist es für Politiker anspruchsvoll zu erklären, dass ein Krankenhaus schließen soll oder mehrere Häuser zusammengelegt werden.  Es ist oft so, dass Krankenhäuser erst schließen, wenn von Ärzten und Pflegekräften kaum einer mehr dorthin will. Gerade kleinere Einrichtungen haben zu kämpfen. Es ist schwer, die Schichtpläne noch sicherzustellen und die Behandlungsergebnisse sind oft weniger gut als in größeren Häusern. Die Politik hat die schwierige Aufgabe, diese Zusammenhänge zu erklären und der örtlichen Bevölkerung ein besseres Versorgungsangebot zu machen. So wird es künftig Krankenhäuser geben, die in eine andere Nutzung übergehen, zum Beispiel ambulante Gesundheitszentren. Die Beschäftigten werden entweder dort weiterarbeiten oder aber in benachbarten Krankenhäusern mit Kusshand genommen werden.

Der Bielefelder Gesundheitsökonom und Regierungsberater Wolfgang Greiner. Quelle: imago images

Noch versuchen aber alle Krankenhäuser, irgendwie zu überleben, etliche rutschen in die Insolvenz. Warum?
Wir sehen derzeit eine planlose, kalte Strukturbereinigung, die sollten wir vermeiden. Die Krankenhäuser sehen sich im jetzigen System gezwungen, möglichst viele Fälle zu behandeln, weil nur das mehr Einnahmen bringt. Der Preis pro Fall ist ja für alle gleich. Es wäre also sinnvoll festzulegen, wo welche Versorgung notwendig ist. Und wenn dann das Vorhalten bestimmter Angebote neben den Fallpauschalen bezahlt wird, wird dies den Druck, mehr Fälle zu behandeln, senken und die Versorgung verbessern. Als Maß kann gelten, dass niemand mehr als 30 Minuten Fahrzeit zum Krankenhaus haben sollte.

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Dänemark gilt oft als Vorbild, dort wurden viele Krankenhäuser geschlossen und zentrale Kliniken eingerichtet. Was sollte Deutschland übernehmen?
In Dänemark wurde konsequent auf Spezialisierung und Konzentration gesetzt, um die medizinischen Ergebnisse zu verbessern. Dazu wurde viel investiert. Auch für die dänische Bevölkerung war das eine Umstellung, aber mittlerweile erkennen die Menschen dort den Erfolg insgesamt an. Wenn man das bei uns so konsequent machen würde wie in Dänemark, blieben aber nur noch wenige 100 der bisher 1900 Krankenhäuser übrig. Das ist nicht wünschenswert, denn auch weniger radikale Konzentrationsschritte würden unsere Versorgung nachhaltig entlasten und qualitativ besser machen.

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Wie stellen Sie sich eine bessere Versorgung mit Krankenhäusern in fünf Jahren in Deutschland vor?
In meiner Wunschvorstellung haben wir dann weniger, aber bessere Krankenhäuser. Es gibt kooperativere Formen der Versorgung und eine flexiblere Vergütung, damit den Menschen adäquat geholfen wird, sei es stationär oder ambulant. Es soll im Ergebnis keinen Unterschied machen, ob jemand in Kaltenkirchen oder in Köln Hilfe braucht. Der Rettungswagenfahrer wird künftig das Krankenhaus ansteuern, das für den jeweiligen Fall am besten ausgerüstet ist und nicht einfach das Nächste. Dort wird dann auch niemand abgewiesen, weil viel mehr Fälle ambulant oder telemedizinisch behandelt werden und das Personal mehr Zeit für die verbleibenden Krankenhausfälle hat. Das setzt allerdings voraus, dass wir die Digitalisierung im Gesundheitssystem endlich hinbekommen. Es ist höchste Zeit.

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