Arbeitstier auf der Schiene Siemens soll Loks für Flixtrain bauen

Quelle: imago images

Der Bahnbetreiber Flixtrain plant eine großangelegte Attacke im Schienenfernverkehr – und setzt offenbar auf Siemens Mobility als Lok-Lieferant. Der Münchener Zugkonzern baut bereits den ICE für die Deutsche Bahn.

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Die Lokomotive Vectron ist ein Kraftpaket auf der Schiene, „verlässlich“ und „störungsarm“, heißt es in Branche, „ein zuverlässiges Arbeitstier.“ Mit einer Höchstgeschwindigkeit von in der Regel 160 Kilometer pro Stunde zieht die gut 19 Meter lange Lok normalerweise Güterzüge durch ganz Europa: schwere Kohle-, Auto oder Chemietransporte – für die Vectron kein Problem. „Überschreiten Sie Grenzen“, bewirbt Hersteller Siemens Mobility die Vorzüge der Zugmaschine, „mit der Lok, die neue Wege schafft.“

Künftig könnte die Siemens Vectron auch im Personenverkehr an Bedeutung gewinnen. Der Münchener Konzern soll im Gespräch als Zulieferer für bis zu 50 Lokomotiven sein, die der Bahnbetreiber Flixtrain für eine großangelegte Offensive im Fernverkehr auf der Schiene braucht. Flixtrain will Reisezugwagen in Russland bestellen, die dann von den Siemens-Loks gezogen werden. Damit rüstet ausgerechnet Siemens einen ernst zunehmenden Wettbewerber der Deutschen Bahn (DB) aus. Der Münchener Konzern baut bereits ICE-Züge für die DB.

Lesen Sie auch: Flixtrain will 65 Züge in Russland kaufen

Im Zuggeschäft von Siemens läuft es gerade ganz gut. Zumindest in Europa kann das Unternehmen zahlreiche Aufträge abarbeiten. Zwar geriet Siemens Mobility nach dem Kauf von Konkurrent Bombardier durch den französischen Wettbewerber Alstom unter Druck. Auch eine Fusion zwischen Siemens Mobility und Alstom war zuvor gescheitert. Doch geschadet hat das dem Unternehmen nicht. Siemens Mobility feiert Erfolge: sowohl bei Triebzügen wie dem ICE, der den Antrieb über den ganzen Zug verteilt, als auch bei Lokomotiven, die vor allem im Güterverkehr zum Einsatz kommen. Auch bei Stadt- und Nahverkehrszügen ist Siemens Mobility gut unterwegs.

Der mögliche Deal mit Flixtrain markiert jedoch eine Zäsur in Deutschland. Anfang Februar lobte Siemens-Chef Roland Busch noch eine Kooperation mit der Deutschen Bahn. „Lieber Richard, vielen Dank für den Folgeauftrag“, bedankte sich Busch artig bei Bahnchef Richard Lutz, der 43 zusätzliche ICE bei Siemens bestellte und eine laufende Order auf 73 erhöhte. Im Berliner Bahnhof Südkreuz präsentierten Deutsche Bahn, Siemens und Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) den ersten ICE3 Neo, der in einem Projektteam aus 200 Mitarbeitern „so schnell wie nie gebaut“ wurde. Die Mannschaft bestand „halb aus Deutsche Bahn, halb aus Siemens“, sagte Busch. Nun rüstet sein Unternehmen auch gleich den Wettbewerber dazu aus.

Es geht um bis zu 50 Lokomotiven des Modells Vectron, die Flixtrain-Züge nicht nur durch Deutschland, sondern auch durch andere Länder ziehen sollen. Flixtrain will die Reisezugwagen bei dem russischen Hersteller Transmashholding bauen lassen. Derzeit sucht Flixtrain Finanzierungspartner, die die Investitionssumme von rund eine Milliarde Euro aufbringen würden, um die Züge zu bestellen und zu kaufen, um sie danach an Flixtrain zu verleasen. Der Geldgeber soll auch die Loks finanzieren.

Das ist neu im ICE3 Neo
Mehr Türen:Eine Tür ist eine Tür ist eine Tür. Aber der ICE3 Neo hat davon mehr als sein Vorgänger, nämlich zwölf statt zehn Türen. Damit soll sich die Einsteige- und Aussteigezeit um bis zu 30 Prozent verkürzen. Quelle: Christian Schlesiger für WirtschaftsWoche
Das neue WC:Es werde Licht. Die Deutsche Bahn verändert das Innendesign in in den Toiletten. Nüchternes LED-Design ersetzt den Blumenaufdruck der Vorgängergeneration. Wasser, Seife und Desinfektionsmittel kommen berührungsfrei. Quelle: Christian Schlesiger für WirtschaftsWoche
Platz für Räder: Hört, hört. Die Deutsche Bahn schafft Platz für acht Fahrräder – und reagiert damit auf den Wunsch vieler Reisenden. Für die Fahrradmitnahme gilt wohl dann eine Reservierungspflicht. Quelle: Christian Schlesiger für WirtschaftsWoche
Mehr Kapazität: Durch die Mitnahme der Fahrräder ist die Zahl der Sitzplätze etwas niedriger als bei den Vorgänger-ICE. 439 Personen lassen sich in dem ICE3 Neo transportieren – sitzend. 99 von ihnen sitzen in der ersten Klasse. Quelle: Christian Schlesiger für WirtschaftsWoche
Infoschalter:Die neuen Anzeigetafeln an der Decke sind gleichzeitig ein Hinweis darauf, dass der ICE ein moderneres WLAN-System mit sich führt. Es soll zuverlässiger und leistungsfähiger sein. Quelle: Christian Schlesiger für WirtschaftsWoche
Ruhe vor dem Ansturm:Die Deutsche Bahn will die Zahl der Fahrgäste bis 2030 verdoppeln. Dafür sollen auch die 32.000 zusätzlichen Sitzplätze der neuen ICE3-Neo-Flotte sorgen. Einzelne Wagen werden in Ruhebereiche unterteilt. Quelle: Christian Schlesiger für WirtschaftsWoche
Das Herzstück der neuen ICE3 Neo: Mobilfunkdurchlässige Fenster sollen für besseren Handyempfang sorgen. Die Scheiben sind mit einer besonderen Siemens-Technologie beschichtet. Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) setzen schon seit längerem auf eine ähnliche Technik. Quelle: Christian Schlesiger für WirtschaftsWoche

Um den Lok-Auftrag haben sich auch andere Hersteller wie Alstom beworben. Siemens Mobility ist in der deutschsprachigen Region Deutschland, Österreich und der Schweiz die Nummer eins im Markt. Laut Beratung SCI Verkehr dürfte in Europa bis 2026 ein Bedarf von rund 500 Streckenlokomotiven entstehen. Ein Viertel davon sei bereits fest bestellt worden. „Siemens produziert von der festen Ordermenge 40 bis 45 Prozent“, sagt SCI-Verkehr-Chefin Maria Leenen. Jede vierte Lok komme laut SCI-Berechnungen von Alstom (Bombardier), die restlichen Aufträge teilen sich der spanische Hersteller Talgo und Stadler aus der Schweiz. 

Der Fokus von Flixtrain auf lokbespannte Züge hat einen guten Grund. Diese seien „flexibler in den jeweiligen Ländern einsetzbar“, sagt Expertin Leenen. Die Reisezugwagen, die Flixtrain in Russland herstellen lassen will, lassen sich offenbar relativ einfach für den europäischen Markt zulassen. Die Loks von Siemens wären mit entsprechender Ausrüstung bereits mit Mehrfachzulassung für den grenzübergreifenden Verkehr vorgesehen. Laut Siemens haben die Loks einen Listenpreis von bis zu fünf Millionen Euro. Der Vorteil für den Investor, der im Auftrag von Flixtrain Loks beschaffen soll: Sollte Flixtrain scheitern oder sich aus einzelnen Ländern zurückziehen, könnte die Leasingfirma der Loks die Zugmaschinen „anderweitig“ einsetzen, „im Zweifel wieder im Güterverkehr“, so Leenen.

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Das Modell Vectron ist bereits eine Erfolgsgeschichte. Siemens hat die Zugmaschine bereits 1317-mal verkauft – vor allem im Güterverkehr. Auch die Deutsche Bahn setzt rund 250 Vectrons ein. Für Flixtrain müsste Siemens die Loks auf mindestens 230 km/h ausbauen. Siemens wollte sich zu „möglicherweise laufenden Verhandlungen“ nicht äußern. Auch Flixtrain schweigt.

Mehr zum Thema: FlixTrain plant mit neuen Zügen einen Frontalangriff auf die Deutsche Bahn. Vertrauliche Papiere zeigen, wie sich die Münchner den Deal vorstellen – und welche Rolle russische Oligarchen dabei spielen.

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