Augenoptiker Blindflug mit Brille

Lange verdrängten Fielmann und Apollo traditionelle Betriebe. Doch jetzt greifen neue Konkurrenten die beiden Platzhirsche an – auch mit Methoden zulasten der Kunden.

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René Krass

Eigentlich ist die Neustraße in Neuss nur ein kleiner Abzweig der Fußgängerzone. Doch die Altbauten und Cafés in Düsseldorfs Nachbarstadt bilden die Kulisse für einen verbissenen Kampf.

Am unteren Ende der Straße wirbt der örtliche Optiker Horstkotte im prachtvollen Gründerbau mit Seriosität. Keine 200 Meter entfernt preist der alteingesessene Konkurrent Mellentin auf einer Urkunde im Schaufenster seine „Aufnahme in den deutschen Optikeradel“. Zwei Häuser weiter wuchert Ice-Optik mit „dem kompletten Spektrum an coolen, aber nicht kühlen Brillen“. Einen Steinwurf entfernt bietet die neue Filiale der Kette eyes + more den Kunden Espresso frisch aus der Maschine an. Und als wäre das nicht genug, mischen auch noch Apollo links und Fielmann rechts um die Ecke mit.

Online-Anbieter auf dem Vormarsch

Das Neue an der Auseinandersetzung ist eine Art Zwei-Fronten-Krieg – am Niederrhein wie deutschlandweit. Auf der einen Seite attackieren neue Kleine die großen und traditionellen Betriebe. Anders als die Etablierten garantieren die Angreifer den Kunden den Preis, der auf dem Angebot steht: nichts Kleingedrucktes, keine Lockvogelangebote, es gilt der ausgewiesene Betrag, egal, wie kompliziert die Gläser sind.

Auf der anderen Seite preschen Online-Anbieter vor. Was lange als unmöglich galt, nämlich auf individuelle Sehschwächen zugeschnittene Brillen im Internet zu verkaufen, greift immer mehr um sich. Die Optiker im Web werben vor allem mit angeblich niedrigeren Preisen und dem Argument, sie ersparten sich und damit den Kunden das teure Filialnetz. Die Verlierer des verschärften Wettbewerbs sind voraussichtlich die traditionellen Augenoptik-Betriebe, die im Schnitt nur zwei Brillen pro Tag verkaufen und mit besserem Service kontern wollen. Doch auch den bieten schon viele Ketten.

Die Zeit ist mit den Optikern

Der Kampf geht um Einnahmen von 4,9 Milliarden Euro im vergangenen Jahr, um 11 Millionen verkaufte Brillen jährlich, um 34 Millionen Gläser – von der Sonnen- bis zur komplizierten Gleitsichtbrille. Und der Markt wächst. Noch gucken die deutschen Brillenträger im Durchschnitt drei Jahre lang durch dieselbe Sehhilfe. Doch das Gewerbe profitiert von einer Entwicklung, die andere Branchen fürchten: dem demografischen Wandel.

Zweifelhafte Schnäppchen

Optiker Quelle: dpa/dpaweb

„Weil jetzt die geburtenstarken Jahrgänge der 40- und 50-Jährigen reif für Lese- oder Arbeitsplatzbrillen und viele auch für Gleitsichtgläser werden, ist uns die wachsende Nachfrage sicher“, freut sich Dirk Meier, Chef des Online-Anbieters Netzoptiker, „und Seehilfen sind unverzichtbar.“ Bei rund 62 Prozent der Deutschen hapert es schon jetzt am Augenlicht, je älter die Bevölkerung wird, desto mehr. 2,5 bis 3,0 Prozent Umsatzwachstum pro Jahr erwartet die Branche. Doch die Mittel, mit denen die Anbieter untereinander rangeln, sorgen nicht nur für Freude bei den Konsumenten. Vor allem die großen Ketten preisen gern ihre hochwertigen Gestelle und Brillengläser an. Ob sie das sind, erfährt der Kunde erst nach dem Kauf. Was in Regalen und Schaufenstern als Top-Qualität daherkommt, kann in Wirklichkeit ein Auslaufmodell sein, das ein Hersteller für 99 Cent das Stück verramscht hat. Teure Designer-Brillengestelle entpuppen sich nicht selten als Billigware aus Asien für 3,50 Euro im Einkauf – Haltbarkeit ungewiss.

Pfusch und Täuschung

Zusätzlichen Gewinn machen viele Optiker, indem sie nicht nur Gläser, sondern auch Brillengestelle bescheidener Qualität einkaufen und teuer an die fehlsichtige Kundschaft bringen.

Denn auch bei Fassungen vagabundieren technisch veraltete Angebote, Massenwaren, Restposten und zu viel produzierte Teile im Markt: häufig billig in Asien gefertigt, denn dort sind nicht nur die Löhne, sondern auch die Umweltauflagen niedrig.

Zum großen Rätselraten für die Kunden, worauf sie sich einlassen, kann der Kauf einer Gleitsichtbrille werden: Mal kostet das gleiche, angeblich hoch qualitative Glas 50 Euro pro Stück, mal 500 Euro und mehr. Ein Düsseldorfer Augenarzt nennt die Preispolitik mancher Optiker „skrupellos“ und die Qualität mancher Gläser „indiskutabel“. Kleine wie große Optiker bestätigten dies gegenüber der WirtschaftsWoche, wollen aber anonym bleiben.

Der Kunde muss teuer bezahlen

Angebote wie das vom Online-Anbieter Brille24 , nämlich „jede Brille für 39,90 Euro“, betrachten Marktbeobachter mit Skepsis. Komplette Gleitsichtbrillen für „99 Euro statt 478 Euro“ sind bei Augenärzten nicht viel besser beleumundet. Immerhin vereint solch ein Glas für Nah- und Fernsicht unterschiedliche Stärken, mehrere Sichtfelder plus Oberflächenschutz. Es gibt sie vorgefertigt, aber auch maßgeschneidert als High-Tech-Version.

Den Gewinn machen die Optiker dank der großen Spannen zwischen Einkaufs- und Verkaufspreisen. So wird ein Paar Gläser zum Einkaufspreis von vier Euro dem Kunden schon Mal für 80 Euro in Rechnung gestellt.

Der große Preiskampf hat begonnen

Optiker Quelle: dpa/dpaweb

Wie unlauter das Geschäft mit der Sehschwäche teilweise läuft, zeigte sich im vergangenen Jahr. Da mussten fünf Glashersteller – Rodenstock, Essilor, Zeiss, Rupp+Hubrach und Hoya Lens – wegen unerlaubter Kartellabsprachen 115 Millionen Euro Strafe zahlen. Bis dahin hatten sich die Unternehmen – die zusammen auf einen Marktanteil von 90 Prozent kommen – bei ihren Preisen abgesprochen.

Vor diesem Hintergrund sorgen sich vor allem die kleinen traditionellen Meisterbetriebe um ihre Zukunft. „In zehn Jahren wird es das Handwerk so nicht mehr geben“, sagt Kai Rosinsky, seit 1992 Optikermeister in Rodgau nahe Frankfurt. „Schon jetzt lassen sich Nachfolger schwer finden, es gibt zu wenig Gesellen, Auszubildende interessieren sich für andere Berufe.“ Als einen Ausweg sieht der Düsseldorfer Innungsobermeister der Optiker, Michael Hauck, „durch Qualität, Einkaufsgemeinschaften und Kundenbindung“ gegen die neuen Wettbewerber zu punkten. Für Rosinsky liegt die Zukunft seiner Handwerkskollegen in der Nische, im Service und in der Verschränkung des stationären Geschäfts mit dem Internet. So ließen sich auch die Werkstätten optimal nutzen.

Alles-inklusive-Brillen

Das wird nicht einfach. Denn Angreifer wie René Krass, der Chef der gleichnamigen Kette, erweisen sich als sehr kreativ. Der Münchner Optiker mit bundesweit 50 Filialen will den Markt mit Alles-inklusive-Preisen aufrollen. Krass rechnet so: „Dank unserer Fixpreise bauen wir Stammkundschaft auf, und die kauft wegen des günstigen Preises mehr als eine Brille alle drei Jahre bei uns.“ Über die anschließende Zweit- und Drittbrille rechne sich für Krass Optik auch eine teure Spezialanpassung zum günstigeren Festpreis.

„Ich habe mir das Konzept von Zara und anderen Modeketten angeschaut“, sagt Krass. Ständiger Kollektionswechsel bei überschaubarer Auswahl, aber das in kleineren Läden, die wenig Miete kosten und kaum Personal benötigen. Dazu Festpreise von 149 Euro für einfachere bis 379 Euro für die komplizierteste Gleitsichtbrille.

Online-Anbieter drängen auf den Brillenmarkt

Zum großen Preiskampf blasen hingegen die Optiker im Internet. So wie das Online-Portal Zalando den vermeintlich unmöglichen Verkauf von Schuhen ohne Anprobe salonfähig machte, legen jetzt Ketten wie Mister Spex oder Netzoptiker erfolgreich nach. Selbst Gleitsichtbrillen werden online angeboten und geordert. Dabei bedient sich mancher Onliner kleiner Tricks. Per Gericht ließ der Zentralverband der Augenoptiker 2010 einem Online-Händler die Werbung „in erstklassiger Optiker-Qualität“ verbieten, der Beklagte hatte Asien-Importe ins Netz gestellt.

Die Geschäftsmodelle, mit denen die Internet-Optiker ihre stationären Konkurrenten bedrängen, sind unterschiedlich. Beispiel Mister Spex. Seit 2007 leitet Dirk Graber das Unternehmen, finanziert von Risikokapitalgebern. Mister Spex ist ein Online-Portal mit Infos über eine große Zahl von Brillen und Marken. Die Kunden können sich kostenlos bis zu vier Modelle zur Ansicht bestellen. Partneroptiker in einzelnen Städten – noch sind es wenige – übernehmen die Augenvermessung und Brillenanpassung in ihren Geschäften und werden am Umsatz beteiligt. Der Laden läuft: Elf Millionen Euro Umsatz machte er 2010. „Unser Umsatz soll in den dreistelligen Millionenbereich wachsen“, plant Graber.

Onliner: flexibler und billiger

Augenoptikerkette Fielmann Quelle: AP

Vor der Konkurrenz durch niedergelassene Optiker, die im regionalen Rahmen ins Online-Geschäft einsteigen, ist dem Mister-Spex-Chef nicht bang: „Ein Marktvolumen von 10 bis 15 Prozent ist online machbar. Aber viele unterschätzen den Aufwand an Know-how und Kapital für E-Commerce ganz gewaltig .“ Grabers Zielgruppe sind die online-erprobten, modebewussten 20- bis 50-jährigen Kunden, die Brillen im mittleren Preis- und Qualitätssegment schätzen. In den schwarzen Zahlen ist er noch nicht. Das dürfte für die Mehrheit der Online-Anbieter gelten.

Versäumt über den Tellerrand zu schauen

Hybrid nennt hingegen Dirk Meier, Chef von Netzoptiker, sein Geschäftsmodell. Meister Meier startete 2002 mit einem traditionellen Ladengeschäft im hessischen Limburg und erweiterte es 2007 um einen bundesweiten Online-Handel. Allein dafür bauen 13 angestellte Optiker täglich 200 bis 500 versandfertige Brillen. Zuvor mailen die Kunden ihre Augenwerte, die ein Arzt oder ein anderer Optiker ermittelt hat, an Netzoptiker. Die Gestelle haben sie vorher virtuell ausprobieren können, indem sie auf der Homepage des Unternehmens ihr Foto hochladen und experimentieren.

Meier kritisiert die fehlende Flexibilität der Branche, trotz Preiskriegen wie sie Fielmann anzettelte. „Seit 40 Jahren haben sich die Optiker kaum bewegt, statt über den Tellerrand zu schauen. Der Kunde hat doch keine Holpflicht“, findet er. Onliner geben sich zum Beispiel oft kulanter als ihre niedergelassenen Kollegen. Sie tauschen die Ware lieber um, statt einen Kunden zu verlieren.

Alles bereit zur Übernahme

Fielmann und Apollo haben die Gefahr erkannt und lauern auf den richtigen Zeitpunkt zum Einstieg ins Online-Geschäft. Doch die Marktführer fürchten ein Dilemma: Die Transparenz im Netz könnte die höheren Preise in den eigenen Läden gefährden. Gut möglich, dass sich einer der Großen deshalb künftig hinter fremdem Namen versteckt. „Fielmann wartet ab, wie sich die bestehenden Online-Anbieter entwickeln, kauft sich den besten und firmiert dann im Internet weiter unter dessen Namen. So leiden seine Geschäfte nicht unter der Expansion“, sagt ein Branchenexperte.

Günther Fielmann, Milliardär und Chef der Kette, erklärte bereits: „Finanziell wären Übernahmen kein Problem.“ Wäre da zumindest offiziell nicht der Haken, der seiner Meinung nach auch heute noch gilt: „Wir würden die Chance im Internet nutzen, wenn wir unseren Kunden auch darüber Fielmann-Qualität bieten könnten.“ Auch Apollo argumentiert mit Qualität.

Meier von Netzoptiker sieht das anders, ohne Namen nennen zu wollen: „Manche Kollegen haben es mit den hohen Preisen so überzogen, dass es bald vermutlich nicht mehr heißt: Preise wie beim Apotheker, sondern wie beim Optiker.“

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