Die neue WiWo App Jetzt kostenlos testen
Download Download

Aus für Wirtschaftszeitung FTD - Ich habe dich gern gelesen

Das Aus für die „Financial Times Deutschland“ markiert einen traurigen Tag für die ganze Branche.

  • Artikel teilen per:
  • Artikel teilen per:
Die guten Seiten einer Wirtschaftszeitung
Der seit 2004 amtierende FTD-Chefredakteur steht vor einer Aufnahme der Erstausgabe der „Financial Times Deutschland“, die am 21. Februar 2000 erschien. Die Zeitung etablierte einen frechen Wirtschaftsjournalismus und punktete mit einem sehr späten Redaktionsschluss. Quelle: dpa
Im Bundestagswahlkampf 2002 veröffentlichte die Financial Times Deutschland eine viel beachtete Wahlempfehlung, wie es sie im deutschen Journalismus bis dahin nicht gegeben hatte. Die Wunschkoalition lautete Schwarz-Grün. „Trotz aller Bedenken bietet die Union die besten Aussichten für eine Politik, die Wachstum und internationale Integration in den Mittelpunkt stellt. Weil auf dem Wahlzettel nur eine Zweitstimme gegeben werden kann, gilt unsere Stimme der Union“, hieß es im Leitartikel.
Ende April 2004 druckte die FTD Hunderte Porträtfotos europäischer Bürger auf der Titelseite. Zwei FTD-Journalisten befragten und fotografierten 1000 von 75 Millionen neuen EU-Bürger.
Im November 2003 platzte der Redaktion die Hutschnur. Die Praxis der nachträglichen Autorisierung von Interviews ging den Redakteuren gegen den Strich und sie stießen eine öffentliche Debatte dazu an. Politiker wie Manager wollen nachträglich nicht immer zu den gesprochenen Worten stehen.
Im Februar 2010 kam Bundeskanzlerin Angela Merkel auf Stippvisite in die Redaktion, um mit der Redaktion das zehnjährige Bestehen der Zeitung zu feiern. An der Sonderausgabe arbeiteten unter anderem TUI-Chef Michael Frenzel und Grünen-Politiker Cem Özdemir mit (beide nicht im Bild). Quelle: dpa
Zehn Jahre nach dem Höchststand des Nemax, dem Index der „Neuen Markt“-Werte, schaute die FTD-Redaktion im März 2010 in einem großen Special auf diese Zeit zurück. Das hohe Interesse an Aktien zur Jahrtausendwende war mit ein Auslöser für die Gründung der „Financial Times Deutschland“.
Als Gründungs-Chefredakteur hatte Andrew Gowers das Sagen. Er kam vom Mutterblatt „Financial Times“, mit der die deutsche Ausgabe jahrelang eine – auch finanziell – enge Beziehung pflegte. Später zogen sich die Briten zurück und kassieren seitdem aber weiter Geld für die Nutzungsrechte der Marke. Quelle: dpa

Man kann sich die Sache leicht machen und schlicht auf die Zahlen schauen. Die „Financial Times Deutschland“ hat im dritten Quartal 2012 im Schnitt jeden Tag knapp 102.000 Exemplare verkauft. Fast 42.000 gingen an Abonnenten; im Einzelverkauf, also an den Kiosken, zahlten gerade mal 3000 Käufer jeweils 2,20 Euro für das lachsfarbene Blatt. Die Zahl der Bordexemplare - also jener Teil der Auflage, der direkt an Fluglinien wie die Lufthansa geht, die die Zeitungen kostenlos an ihre Passagiere abgeben - lag dagegen bei mehr als 46.000 Stück und damit über der Summe der zahlenden Leser.

Die „Financial Times Deutschland“ wird nicht verkauft. Der Verlag Gruner + Jahr hat die Verhandlungen abgebrochen. Eine Schließung wird wahrscheinlicher, am Freitag sollen die Mitarbeiter informiert werden.

Diese Zahlen, man ahnt es, sind nicht gut. Zusammen mit einem einbrechenden Anzeigengeschäft ergeben sie eine teuflische Mischung, die unter dem Strich zu Verlusten bei der Herstellung dieser Zeitung führen musste. Insofern ist die Einstellung der „Financial Times Deutschland“ nach fast 13 Jahren ohne schwarze Zahlen, nüchtern betrachtet, nur folgerichtig. Natürlich ist eine Zeitung keine Schraubenfabrik. Aber ganz ehrlich: Brächte der Vorstandschef oder Geschäftsführer eines Unternehmens, über das die „Financial Times Deutschland“ wie auch alle anderen Wirtschaftstitel für gewöhnlich berichten, eine vergleichbare Geduld mit einem darbenden Geschäftszweig auf, dann würde es ihm nicht viel anders ergehen als einem glücklosen Fußballtrainer wie Felix Magath beim VfL Wolfsburg: Erst würde er massiv kritisiert und am Ende den Job verlieren.

Insofern kann man Gruner + Jahr als dem Verlag der „Financial Times Deutschland“ nicht den Vorwurf machen, zu wenig Geduld, Mühe und vor allem Geld aufgebracht zu haben, um diese bislang letzte große Neugründung einer Tageszeitung in Deutschland doch noch zu einem Erfolg zu machen. Nach Verlusten von mehr als 250 Millionen Euro werden aber auch Hardcore-Fans einsehen: Da war nix zu machen.

Fakten zur Financial Times Deutschland

Man kann es sich aber auch schwerer machen. Und dann wird es sehr schnell komplexer. Denn man kann jetzt viel schreiben über die Probleme der Medienbranche und vor allem der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, mit den sich sehr schnell immer wieder verändernden Rahmenbedingungen der Online-Welt zurande zu kommen, sie zu nutzen oder unter ihnen zu leiden. Man kann viel schreiben über den Blödsinn, völlig unterschiedlich getaktete und temperierte Redaktionen zusammenzulegen, als wäre es total egal, in welchem intellektuellen Klima etwa eine Zeitung oder ein Magazin erscheint, und zu verfahren, als würde man schlicht aus zwei Fließbändern ein einziges machen. Man kann das Aus der „Financial Times Deutschland“ auch einbetten in die Welt- und Wirtschaftsgeschichte der vergangenen fast 13 Jahre, seit das Blatt am 21. Februar 2000 erstmals erschienen ist, in die Zeiten von Ruck-Rede und Börsen-Hype, Twin Towers und Lehman-Pleite. Das kann man machen, und das haben in den vergangenen Tagen auch schon viele getan.

Eine neue Marketing-Studie von Arthur D. Little belegt: 80 Prozent verstehen ihre Kunden und deren Wünsche nicht. Manchmal ergeht es sogar Verlagen so. Von Claudia Tödtmann

Noch schwerer ist es allerdings, wenn es persönlich wird. Denn natürlich war die „Financial Times Deutschland“ ein Konkurrent, sie stand im täglichen Wettbewerb mit unserem Schwesterblatt Handelsblatt und der WirtschaftsWoche um exklusive Nachrichten und Geschichten, um Leser und Abonnenten, um Anzeigenkunden und Media-Entscheider. Klar haben wir uns hier gar nicht mal so selten darüber geärgert, wenn die Kollegen aus Hamburg mit einer Geschichte vor uns erschienen.

Das Aus für die „Frankfurter Rundschau“ zeigt, dass die Zusammenlegung von Redaktionen fatale Folgen haben kann.
von Peter Steinkirchner

Klar ist aber auch: Diese Branche ist nicht so groß. Jeder Redakteur hier bei der WirtschaftsWoche kennt mindestens sein Pendant bei der FTD, denjenigen, der über die gleichen Unternehmen und Branchen berichtet. Jeder Redakteur hier kennt auch Kollegen, die nach Hamburg gewechselt sind. Und jeder hier hat Respekt vor der Leistung der Redaktion der „Financial Times Deutschland“. Deshalb am Schluss nur eins: Ich habe sie täglich gern gelesen, und ich werde sie vermissen, ihre klugen Analysen, coolen Überschriften und ihre Geschichten.

PS: Und wenn mir vielleicht noch bei Gelegenheit jemand sagen könnte, wo ich in Zukunft „Alex“ wiederfinde, fände ich das übrigens auch sehr nett.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%