Den Brief an Hannelore Kraft unterschrieb Rüdiger Grube "mit freundlichen Grüßen" und - handschriftlich ergänzt - "in persönlicher Verbundenheit". Der Bahnchef will die Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen überreden, die Regeln für die Ausschreibung eines der größten Nahverkehrsverträge in NRW doch noch mal zu überdenken. Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) vergibt ab 2018 neue Regionalexpresslinien zwischen den Städten Köln, Düsseldorf und Dortmund - ein Milliardenvertrag mit 15-jähriger Laufzeit. Doch anders als bisher üblich soll der Betrieb des "Rhein-Ruhr-Express" (RXX) von der Beschaffung und Wartung der Züge abgekoppelt werden.
Die Deutsche Bahn, die die Linien derzeit betreibt, könnte damit Umsatz verlieren. Denn für das Wartungsgeschäft bringen sich die Zughersteller wie Siemens, Bombardier und Alstom in Stellung. Und beim Betrieb sieht sich die Nahverkehrstochter DB Regio im Nachteil zu den Wettbewerbern.
Schienengüterverkehr - Planzahlen und Kennziffern
Wie die Kennziffern im Schienengüterverkehr der Deutschen Bahn von den Planzahlen abweichen (in Prozent, Werte sind gerundet)
Quelle der Werte: Deutsche Bahn
2012
Plan 2012: 121,1 Milliarden Tonnenkilometer
Ist 2012: 105,9 Milliarden Tonnenkilometer (-13 Prozent gegenüber dem Plan)
2013
Plan Januar - April 2013: 35,7 Milliarden Tonnenkilometer
Ist Januar - April 2013: 34,2 Milliarden Tonnenkilometer (- 4 Prozent) gegenüber dem Plan)
2012
Plan 2012: 5,29 Milliarden Euro
Ist 2012: 4,93 Milliarden Euro (-7 Prozent gegenüber dem Plan)
2013
Plan Januar - April 2013: 1,76 Milliarden Euro
Ist Januar - April 2013: 1,61 Milliarden Euro (-9 Prozent gegenüber dem Plan)
Plan 2012: 161 Millionen Euro (Ebit)
Ist 2012: 87 Millionen Euro (Ebit) (-46 Prozent gegenüber dem Plan)
...davon in Osteuropa:
2012
Plan 2012: 21 Millionen Euro (Ebit)
Ist 2012: 8 Millionen Euro (Ebit) (-62 Prozent gegenüber dem Plan)
2013
Plan Januar - April 2013: 45 Millionen Euro (Ebit)
Ist Januar - April 2013: -30 Millionen Euro (Ebit) (-166 Prozent gegenüber dem Plan)
Plan 2012: 58 Millionen Euro
Ist 2012: 1 Millionen Euro (-98 Prozent gegenüber dem Plan)
Plan 2012: 288 Millionen Euro
Ist 2012: 371 Millionen Euro (+29 Prozent gegenüber dem Plan)
Operativer freier Cash-Flow
Plan 2012: 200 Millionen Euro
Ist 2012: 31 Millionen Euro (-85 Prozent gegenüber dem Plan)
Plan 2012: 1,04 Milliarden Euro
Ist 2012: 1,83 Milliarden Euro (+76 Prozent gegenüber dem Plan)
Bei der Betriebsausschreibung "werden die Personalkosten das entscheidende, wenn nicht das einzige Kriterium über Sieg oder Niederlage in der Ausschreibung darstellen", schreibt Grube. Die Personalkosten lägen zehn Prozent über den entsprechenden Kosten der Wettbewerber. Grube fordert daher, dass der Gewinner der Ausschreibung verpflichtet werde, die 530 Mitarbeiter bei DB Regio mit gleichen Konditionen zu übernehmen - und bittet SPD-Ministerpräsidentin Kraft um Unterstützung.
Der Streit um einen der größten Nahverkehrsaufträge in Deutschland zeigt, wie blank die Nerven liegen. Die Deutsche Bahn weiß, dass der Verkehrsvertrag die Regeln im SPNV-Markt nachhaltig verändern könnte. Sollte der VRR mit der getrennten Ausschreibung Erfolg haben, könnte es Modell stehen für andere Bundesländer. Bislang gibt es ähnliche Ausschreibungen nur in Niedersachsen.
Und der Deutschen Bahn scheint jedes Mittel recht, die Entwicklung zu verhindern.
Die Deutsche Bahn drohte bereits mit einem Boykott, sollte sich an den Ausschreibungsbedingungen nichts ändern. "Wenn die Kriterien der Ausschreibung so bleiben wie bislang formuliert und damit die entsprechenden Risiken für die Deutsche Bahn, müssten wir uns sehr ernsthaft überlegen, ob wir da mitbieten können", sagte Manfred Rudhart, Vorstandschef der Bahntochter DB Regio, gegenüber der "Welt".
Zu den Methoden gehört offenbar auch, die Wahrheit zu verdrehen. Das legen zumindest die Aussagen von VRR-Chef Martin Husmann nahe. „In den letzten sechs Ausschreibungen im VRR hat DB Regio nur bei einer einzigen Vergabe die höchsten Lohnkosten aller Bieter gehabt und diese Vergabe auch noch für sich entscheiden können", sagte Husmann dem Eisenbahnjournal Zughalt.de. "Bei fünf der sechs letzten Verfahren hatte ein anderes Unternehmen als DB Regio die höchsten Lohnkosten. Die Aussage, dass man bei der Deutschen Bahn aufgrund höherer Verdienste der Belegschaft im Wettbewerb benachteiligt sei, ist aufgrund dieser Zahlen nicht zu halten.“
Husmann geht noch weiter. Den angeblichen Mangel an Bewerbern für ausgeschriebene Verkehrsverträge, wie zuletzt häufiger zu hören war, gebe es nicht. "Auch für die letzten Jahre können wir Berichte über zu wenige Bieter nicht bestätigen", so Husmann. Und er ergänzt: "Die Erfolge der letzten Vergaben zeigen, dass wir uns auf einem guten Weg befinden, auch wenn DB Regio sich an einigen oder allen künftigen Vergaben nicht mehr beteiligen möchte. Das müssen wir respektieren. Jedes Unternehmen, auch DB Regio, hat das Recht zum Marktaustritt.“
Die Aussagen Husmanns dürften sicher auch bei Hannelore Kraft schon angekommen sein. Es ist daher unwahrscheinlich, dass NRW die Bedingungen der Ausschreibungen noch einmal verändert. Und genauso unwahrscheinlich ist es, dass DB Regio dem bevölkerungsreichsten Land den Rücken kehrt. Säbelrasseln gehört seit jeher zum Spiel im Nahverkehr.