Ausverkauf bei Gruner + Jahr „Ich bin fassungslos angesichts dieser desaströsen Managementleistung“

Mitarbeiter protestierten in der vergangenen Woche gegen die Verkaufspläne der Gruner+Jahr-Titel. RTL Deutschland hatte die Zeitschriften des Hamburger Verlags 2022 übernommen. Quelle: dpa

„Kühl, kalt, humorlos“: Peter-Matthias Gaede, langjähriger „Geo“-Chef, rechnet mit Bertelsmann-Chef Thomas Rabe ab. Der sich abzeichnende Ausverkauf von Gruner + Jahr sei „eine unfassbare Wertzerstörung“.

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„Die Portfolio-Überprüfung läuft“: So nüchtern kommentiert RTL das, was gerade bei Gruner + Jahr passiert. Eigentlich sollten die Zeitschriften des Traditionsverlags Synergien mit RTL bilden – so hatte es Bertelsmann-Chef Thomas Rabe 2022 angekündigt, als er RTL und Gruner + Jahr zusammenführte. Stattdessen werden die G+J-Marken jetzt größtenteils verkauft oder eingestellt. Am Dienstagmorgen will die Geschäftsführung von RTL die Belegschaft „über die weiteren Schritte“ informieren. Das Medienmagazin DWDL.de berichtet am Freitag von einem womöglich bevorstehenden Stellenabbau in dreistelliger Höhe.

Peter-Matthias Gaede war 20 Jahre lang Chefredakteur bei „Geo“, saß bis 2014 bei Gruner + Jahr im Aufsichtsrat. Im Interview rechnet er hart mit der „desaströsen Managementleistung“ von Bertelsmann-Chef Thomas Rabe ab. Es sei bedauernswert, „dass Gruner + Jahr, einst ein Juwel in der Krone von Bertelsmann, aus der Sicht eines gelernten CFO, der offenbar mehr gejoggt als gelesen hat, derart als Ramschware empfunden wird“. Der Bertelsmann-Chef sei ein kühler Rechner, der kein Gespür dafür habe, „womit sich seine Belegschaft täglich zu befassen hat“.

WirtschaftsWoche: Herr Gaede, in den Redaktionen von Gruner + Jahr kursierte in der vergangenen Woche ein offener Brief, in dem Sie hart mit Bertelsmann-Chef Thomas Rabe ins Gericht gehen. Wie kam es dazu?
Peter-Matthias Gaede: Das war nicht als offener Brief gedacht. Es war ein Wutanfall, den ich zunächst an einige „Geo“-Kollegen per E-Mail geschickt habe. Als eine Art Trost, ohne trösten zu können.

Peter-Matthias Gaede Quelle: Lia Darjes

Zur Person

Was hat diesen Wutausfall ausgelöst?
Ich war und bin fassungslos angesichts dieser sich abzeichnenden desaströsen Managementleistung bei Bertelsmann. Etwa ein Jahr ist es her, dass Gruner + Jahr mit RTL fusioniert worden ist. Thomas Rabe sprach da von einem Masterplan, von Synergieeffekten, von „Cross-Media-Champions“, von einem „Meilenstein in der Stärkung von Bertelsmann“. Und es gab die Versicherung, dass der Name Gruner + Jahr nicht getilgt würde. Und all das wird nun, wie es aussieht, bis auf Restpartikel einfach einkassiert.

Offenbar lief die angekündigte Synergiebildung für Rabe nicht schnell genug. Schon wenige Monate nach der Fusion sprach er plötzlich davon, das Magazinportfolio bei Gruner + Jahr zu „überprüfen“ und „nur solche Titel mit RTL zusammenzuführen, die wirklich synergetisch sind“.
Tja, da scheint selbst ihm bewusst geworden zu sein, wie wenig sich vom RTL-Programm – vom bisherigen zumindest – mit dem Portfolio von Gruner + Jahr mal so einfach vereinen lässt. Surprise, surprise! Ich sag’s polemisch: „Bauer sucht Frau“ geht halt nicht mit „Art“ zusammen. Und Bohlen nicht mit „Geo Epoche“. Was aber dann? Es hat wohl jede Menge Gipfeltreffen auf der Suche nach den versprochenen Potenzialen zu einer Gemeinsamkeit gegeben. Ergebnis: Ratlosigkeit.

Nach dem Zusammenschluss schaute sich der TV-Konzern die Zeitschriftentitel genauer an. Er will an Kernmarken festhalten, aber auch Magazine einstellen. Nicht nur am Hamburger Standort steht indes ein Stellenabbau bevor.

Rabes Aussagen dazu, womöglich den ein oder anderen Titel von Gruner + Jahr verkaufen oder einstellen zu wollen, stammen aus dem September des letzten Jahres. Warum ist erst jetzt die Wut mit Ihnen durchgegangen?
Weil jetzt sogar die Nachricht kursierte, dass Thomas Rabe womöglich bis auf den „Stern“ sämtliche Zeitschriften von Gruner + Jahr zur Disposition stellen wolle. Auch wenn es nicht so kommen sollte: Es ist doch eine unfassbare Wertzerstörung, ausgerechnet den anerkanntesten Zeitschriftenverlag der deutschen Nachkriegsgeschichte, der fast in jedem Segment bis heute die anerkanntesten Marken hat, derart verhäckseln und verscherbeln zu wollen. Und es mag ja nostalgisch sein: Trotzdem bedauere ich es, dass Gruner + Jahr, einst ein Juwel in der Krone von Bertelsmann, aus der Sicht eines gelernten CFO, der offenbar mehr gejoggt als gelesen hat, derart als Ramschware empfunden wird.

Sie und Herr Rabe werden in diesem Leben wohl keine Freunde mehr.
Nein, bestimmt nicht. Sie mögen das vielleicht naiv nennen, aber: Ein Spitzenmanager in einem Publishing House sollte meiner Ansicht nach doch irgendetwas zu tun haben mit der Ware, die in diesem Publishing House entsteht. Eine Mindestempathie sollte er doch haben, irgendein Gespür für die Inhalte, irgendein Gefühl dafür, dass auch ein Zeitschriftenverlag eine Bedeutung für die demokratische Willensbildung hat. Für die Wissensvermehrung einer Gesellschaft, für die Stilbildung, für die Qualität des Vergnügens, für die Qualität der gesellschaftlichen Informiertheit und Partizipation. Gibt es ein kleinstes Indiz dafür, dass ein Herr Rabe merkt, womit sich seine Belegschaft täglich zu befassen hat? Ich glaube nicht.

„Wenn im Aufsichtsrat Überzeugungstäter vor ihm tanzten, Räder schlugen, Begeisterung zu entfachen versuchten, saß er regungslos daneben“, sagt Gaede über Bertelsmann-Chef Thomas Rabe. Quelle: dpa

Als Thomas Rabe 2012 den Vorsitz von Bertelsmann übernahm, waren Sie selbst noch Teil der Führungsriege bei Gruner + Jahr. Sie saßen zu dieser Zeit auch im Aufsichtsrat.
Ich habe Herrn Rabe als einen messerscharfen Chief Financial Officer kennengelernt. Präzise, kühl, kalt, humorlos. Eine Verlegerpersönlichkeit? Nein. Dafür hätte er sich unter anderem einlassen müssen auf diese komische Spezies der Journalist*innen. Dafür hätte er ein Gespür für, ja, auch Verrücktheit, Träume, Abenteuer, Gedankenspiele, Tragödien, Triumphe jenseits der Zahlen entwickeln müssen. Konnte er wohl nicht. Wenn im Aufsichtsrat Überzeugungstäter vor ihm tanzten, Räder schlugen, Begeisterung zu entfachen versuchten, saß er regungslos daneben. Die Sexyness des Journalismus: eine Terra incognita für ihn, wie mir schien.

Sie waren 20 Jahre lang „Geo“-Chefredakteur, sind bis heute eng mit der Marke verbunden. Greift Sie Rabes kühler Umgang mit dem G+J-Portfolio deshalb auch persönlich an?
Klar, aber auch aus anderen Gründen. Wir bei „Geo“ hatten bei Gruner + Jahr ja mitunter das Image, etwas über den Wolken zu schweben, eine gewisse Arroganz zu haben. Was ungerecht war, denn wir haben uns über alle Maßen angestrengt. Aber es geht doch um viel mehr: „Beef“ zum Beispiel war eine wunderbare Innovation im Food-Segment, „11 Freunde“ ist ein herrliches Hallo Wach im Kicker-Segment, „Art“ ein großer Schatz für alle, die ihrer Intelligenz ein Kompliment machen wollen. Ich werfe Rabe nicht vor, mein Lebenswerk zu zerstören, ich werfe ihm vor, das Gruner+Jahr-Werk zu zerstören.

Waren die angekündigten Synergien denn wirklich allesamt Worthülsen? Womöglich mag sich die Bertelsmann-Führung mit ihren ursprünglichen Fusionsplänen ja auch einfach ein bisschen verhoben haben.
Das lässt sich nicht ausschließen. Thomas Rabe hat schließlich auch einiges anderes anzuheben versucht, was er letztlich nicht stemmen konnte: die Aufkäufe des US-Verlags Simon & Schuster oder einer niederländischen Fernsehgesellschaft etwa. Aber wenn er sich bei der Fusion von RTL mit Gruner + Jahr wirklich nur verträumt hätte, dann wäre die Verantwortung für das jetzige Desaster an die Ebene unter ihm zu delegieren. Dann müsste man die Akteure dort fragen: Was habt ihr diesem Mann eigentlich erzählt? Was habt ihr in den vergangenen zwölf und mehr Monaten gemacht? Was ist aus der berühmten Super-App RTL+ geworden, auf der sich alle Inhalte von Gruner + Jahr und RTL zu einer Krone der Inhalteschöpfung vereinen sollten? Wart ihr Phantasten? Wart ihr betrunken?

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„Wenn in den letzten Monaten ernsthaft nach Synergien und Möglichkeiten gesucht worden wäre, die G+J-Marken in den RTL-Kosmos zu integrieren, warum ist dann mit keinem einzigen Chefredakteur jenseits des ‚Sterns‘ darüber gesprochen worden?“ Diesen Satz twitterte Philipp Köster, Chefredakteur des Gruner-Titels „11 Freunde“, in der letzten Woche. Deckt sich dieser Eindruck mit dem, was Sie von früheren Kollegen hören?
Deckt sich. Zum Beispiel mit der „Geo“-Redaktion hat es kein Gespräch seitens Rabe gegeben. Dabei war meines Wissens in der Redaktion ja durchaus die Bereitschaft gegeben, über mögliche Kooperationen zu reden. Und „Geo“ ist schließlich nicht einfach nur irgendein Titel im Portfolio von Gruner + Jahr, sondern eine große, traditionsreiche Marke, die nicht dahinsiecht, die immer noch jährlich Millionen Euro Profit abwirft, sechs oder sieben Millionen im vergangenen Jahr – auch wenn das aus der Gesamtsicht von Bertelsmann Peanuts sein mögen.

Redaktioneller Hinweis: Dieser Artikel wurde am 3. Februar 2023 erstmals auf wiwo.de veröffentlicht - wir zeigen ihn aufgrund des hohen Leserinteresses erneut.

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