Autor für Netflix Der berechnete Zuschauererfolg

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„Wir haben viel Freiheit bei den Geschichten“

Das sei ein großer Unterschied zu ihrer Arbeit für die Öffentlich-Rechtlichen, räumt Golch ein. „Wir können viel engmaschiger und intensiver erzählen, da der Zuschauer keine Woche Pause zwischen den Folgen hat“, erzählt Golch. Serien-Produzent Siggi Kamml sagte auf einen Netflix-Event in Rom, dass „Dogs of Berlin“ sich nicht hinter „Dark“ zu verstecken brauche. Die erste in Deutschland produzierte Serie brachte Netflix viel Pressrummel, Lob und gute Zuschauerzahlen. „Es motiviert uns eher, als das es uns Druck macht“, sagte Kamml. Ein börsennotiertes Unternehmen mit Hang zu Zahlen, das nicht mit klaren Vorstellungen an die Ausführenden herantritt?

Nein, übertrieben exakte Vorgaben mache Netflix dem Team rund um Autorin Golch und den Produzenten Kamml und Christian Alvart nicht. „Wir haben viel Freiheit bei den Geschichten“, sagt die gebürtige Münchnerin.

Das verwundert, weiß Netflix doch genau, wie viele Nutzer abgeschaltet haben in einer Folge der Serie „House of Cards“, in der Protagonist Frank Underwood einen verletzten Hund stranguliert. Abschalten ist das letzte, was Netflix wünscht. Dass die extrem erfolgreiche Serie ihres Hauptdarstellers schließlich verlustig wurde, nachdem Vorwürfe sexueller Belästigung gegen Schauspieler Kevin Spacey bekannt wurden, stellt auch die Drehbuchschreiber vor Probleme.

So entschlossen das Unternehmen in der Causa Spacey handelte, so viel Überzeugung steckt in dem Unternehmen, einen einmal eingeschlagenen Weg bei der Auswahl eines Films oder dem Auftrag für eine Serie, bei der Stange zu bleiben. „Da hat Netflix gezeigt, dass es auch Durchhaltevermögen hat“, sagt Golch. Netflix könne es sich leisten, inhaltlichen Mut zu zeigen, da es eine große Bandbreite an qualitativ hochwertigen Programmen habe. 

Dieser Mut basiert auf Fakten. Ob und welchen Kinohit Netflix für seine Abonnenten kauft, wird auf Basis tiefgehender Kenntnisse der Beliebtheit von anderen Filmen getroffen. Die Zahl der nicht erfolgreichen Programmentscheidungen sinkt so deutlich. Das Unternehmen, dessen Angebot laut eigener Aussage für mehr als ein Drittel des Datenverkehrs in Nordamerika verantwortlich ist, sucht zur Zeit allein 40 Datenanalysten in verschiedenen Unternehmenszweigen. Welche Art von Stories funktionieren, was nicht passieren darf – es wird immer detaillierter analysiert, was früher eine Frage von Instinkt und Talent war.

Golch sieht die möglichen Informationen, die ihr die Zuschauerreaktionen geben, nicht als Problem. „Mir geht es beim Schreiben darum, dass es immer Konflikte gibt, Menschen in einem Dilemma stecken und die Punkte herauszuarbeiten, wo ein Charakter eine andere Ausfahrt hätte nehmen können“, sagt sie. Dank des geschlossenen Bogens einer Staffel, deren Folgen alle am gleichen Tag online zur Verfügung stehen, sind solche Inhalte besser umzusetzen.

Die US-Amerikaner lassen sich die Fortschritte der Arbeit zwar präsentieren und geben Hinweise, als Bevormundung eines Algorithmus nimmt Golch das jedoch nicht wahr. Fundamentale Erkenntnisse, die jedoch nicht allein für „Dogs of Berlin“ zutreffen, seien der Serie jedoch ins Lastenheft geschrieben worden. Das begänne bei der Länge einer Folge und der Anzahl der Folgen pro Staffel. Das seien acht. Und obwohl die Länge der Folge zwischen 45 und 65 Minuten liegen könne und eigentlich egal sei, da keine Sendeplätze zu berücksichtigen seien, gäbe es doch quasi das Idealformat: 45 Minuten. Dann wäre eine Staffel in Summe 360 Minuten, also sechs Stunden – etwas, was ein Zuschauer im besten Falle in einem Tag weggucken kann.

Dafür besäßen sie als Autoren Freiheiten, die nicht mehr jede öffentlich-rechtliche Sendeanstalt gewähren würde, wo sehr frühzeitig viele Beteiligte mitsprechen wollten. „Bei Netflix haben sie viel Vertrauen in die Kreativen“, sagt Golch. Was sie aufschreiben, ginge als Übersetzung in die USA und würde dort abgesegnet, gegebenenfalls mit dem Wunsch nach einigen Änderungen. „Das sind zum Beispiel Wünsche, einen Charakter stärker in Erscheinung treten zu lassen“, sagt Golch.  

Die Autorin setzt auf den längeren Atem, den Netflix habe, um eine Serie auch zunächst mal beim Publikum ankommen zu lassen. Den Willen zu mutigeren, kantigeren Serien: „Etwas zu machen, das nicht im Fernsehen zu finden ist, das ist das Programm.“ Das sei der Grund, warum sich so viele gute Serien dort fänden.

Was aber, wenn der Druck steigt, je mehr die Vorgaben präzisiert werden? Golch sieht darin eher eine Chance als ein Risiko für Kreative. Dass Serien nur noch nach Baukastensystem entstünden, fürchtet sie nicht. „Es wird keine Art Gleichschaltung geben“, sagt sie. Vielleicht auch, weil die Kunden viel zu unterschiedlich sind. Selbst die, die viele Jahre trotz unterschiedlichen Filmgeschmacks einen gemeinsamen Account nutzten.

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